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»Heldenverehrung und Traditionspflege«

Einleitung

60 Jahre nach der Befreiung vom Nationalsozialismus gilt es zu verhindern, dass sich der Invalidenfriedhof im Berliner Bezirk Mitte zu einer Pilgerstätte für Alt- und Neonazis entwickelt. In direkter Nachbarschaft des Bundeswehrkrankenhauses liegen dort zahlreiche preußische Militärs, Offiziere des 1. Weltkrieges und NS-(Kriegs)verbrecher begraben. Im Herbst vergangenen Jahres geriet der Skandal um einen Grabstein für den NS-Rüstungsminister Fritz Todt in die Öffentlichkeit. Berliner Kommunalpolitiker beteiligten sich dabei aktiv an einer Entlastung und Verharmlosung dieses nationalsozialistischen Täters.

»Bezirksamt Mitte genehmigt Grabstein für Nazi-Minister« titelte am 30. August 2004 der Tagesspiegel im Lokalteil. Vorausgegangen war der seit 1990 andauernde Versuch von Ilsebill Todt, der 82jährigen Tochter des ehemaligen ranghohen Nazifunktionärs und Ministers für Bewaffnung und Munition Fritz Todt, anstelle der bisherigen anonymen Grabstelle auf juristischem Weg einen »angemessenen« Gedenkstein zu erkämpfen. Während Bezirksbürgermeister Joachim Zeller, Landesvorsitzender der Berliner CDU, Ende August 2004 gemeinsam mit der grünen Baustadträtin Dorothee Dubrau seine Zustimmung für die geforderte Grabstätte erteilt hatte, musste dieser Beschluss infolge zahlreicher Presseberichte und einem darauf folgenden erneuten Votum der Bezirksverordnetenversammlung im September 2004 widerrufen werden1 .

Die steile Karriere des überzeugten Nationalsozialisten Todt

Fritz Todt, Jahrgang 1891, war ein Nazi der ersten Stunde. Nach seiner Teilnahme am 1. Weltkrieg trat er 1922 in die NSDAP ein und avancierte 1931 zum SA-Standartenführer im Stabe Röhms. Seine erfolgreiche Laufbahn in der NS-Hierarchie durchlief Todt in nur wenigen Jahren: vom Fachberater im Amt für Wirtschafts- und Arbeitsbeschaffung stieg er 1933 zum Generalinspekteur für das deutsche Straßenwesen und Leiter des Reichsautobahnbaus auf. 1934 war er Leiter des Amtes Technik und Präsident des NS-Bundes Deutscher Techniker, ab 1938 im Rang eines SA-Obergruppenführers Generalbevollmächtigter im Vierjahresplan und als Chef der »Organisation Todt« (OT) verantwortlich für das gesamte Bauwesen und die militärischen Befestigungen des Reiches, somit auch für den Bau des Westwalls und die Errichtung von U-Boot-Bunkern.

In der OT wurden bis Kriegsende mehr als 1,4 Mio. Menschen als ZwangsarbeiterInnen und Kriegsgefangene ausgebeutet und gequält. Nach der Ernennung zum »Generalmajor der Flieger« 1939 trat Todt im März 1940 das Amt des Reichsministers für Bewaffnung und Munition an. Hitler verlieh ihm als Erstem den »Deutschen Orden« »für besondere Verdienste um Volk und Reich«. Hitlers Traueransprache nach Todt’s tödlichem Flugzeugabsturz im Februar 1942 endete mit den Worten: »Ich habe in diesem Mann einen meiner treuesten Mitarbeiter und Freunde verloren. Ich fasse seinen Tod auf als einen Beitrag der nationalsozialistischen Bewegung zum Freiheitskampf unseres Volkes«.

In den politischen Fußstapfen des verehrten Vaters

llsebill Todt, deren Anliegen die posthume Ehrung ihres Vaters ist, pflegt selbst gute Kontakte zu extrem rechten und neofaschistischen Kreisen. Neben der Teilnahme an den »4. Kulturtagen« des Kulturwerks Österreichs im Oktober 1995 – anwesend war u. a. die Ehefrau von Thies Christophersen dem Autor des Buches »Die Auschwitz-Lüge« – taucht die langjährige Abonnentin der »Jungen Freiheit« 1997 auf einer Spendenliste des Witiko-Bundesverbands auf.2 Juristisch vertreten lässt sich Ilsebill Todt von dem Mannheimer Rechtsanwalt Thor von Waldstein, selbst langjähriger Akteur im braunen Netzwerk3 .

Die Schlusstrichmentalität der Bezirksregierung

Dürften den politischen Entscheidungsträgern des Bezirks Mitte auch die biografischen Hintergründe der Beteiligten hinlänglich bekannt gewesen sein, waren sie dennoch nicht gewillt, dem Grabsteinbegehren eine klare Absage zu erteilen. Die Anträge der Töchter Todt’s habe man lange geprüft: »Eine Behörde ist immer daran gebunden, rechtssichere Bescheide zu erteilen, ob es einem moralisch oder politisch passt, steht außer Frage…«4 . Bürgermeister Zeller erklärte diesbezüglich: »… nach eingehender Rechtsprüfung aller neuen Umstände sind unsere Ämter, (…) zum Ergebnis gekommen, dass die bisher ablehnende Haltung nicht mehr aufrecht zu erhalten ist. (…) Ein deutsches Gericht hat den Mann freigesprochen«. Die (vorläufige) Genehmigung sei Dubrau »nicht leicht gefallen«. Heidemarie Fischer, innenpolitische Sprecherin der SPD-Fraktion überkam zwar »das kalte Entsetzen«, aber nach nüchterner Betrachtung sei die Sache besser «nicht hochzuspielen«.

Zeller argumentiert mit einem Freispruch im sog. Entnazifizierungsverfahren von 1955, in dessen Folge die Familie das Vermögen vor der Enteignung retten konnten. Todt sei kein aktiver Nationalsozialist gewesen. Prof. Wolfgang Benz, Leiter des Zentrums für Antisemitismusforschung an der TU Berlin kommentiert: »Fritz Todt war ein Nationalsozialist der ersten Garde. (…) Dokumente aus den 50er Jahren, die sich mit der nationalsozialistischen Vergangenheit beschäftigen, sind überhaupt nichts wert, denn damals, in diesem Klima hätte auch Adolf Hitler gute Chancen gehabt als Minderbelasteter oder als Mitläufer durchzukommen.« Nach der Verkündung des Widerrufs der Genehmigung und der plötzlichen »Erkenntnis«, der Stein könne sich zu einer »Kultstätte ultrarechter verfassungsfeindliche Kräfte entwickeln«, ist es zunächst still um den Fall geworden, dennoch stellt die unbeendete Auseinandersetzung möglicherweise einen Präzedenzfall im Umgang mit Gräbern von Nazitätern dar. Ilsebill Todt wird weiter klagen, gereichen ihr die Erfolge anderer Täter-Nachfahren zum Vorbild.

Geschichte und Gegenwart des Invalidenfriedhofs

Die erste Grabsteinlegung auf dem Invalidenfriedhof reicht in das Jahr 1748 zurück. Nachdem im Laufe des 1.Weltkrieges die Funktion eines deutschen Soldaten- und Heldenfriedhofs festgeschrieben worden war, wurden aufgrund des Alliierten Kontrollratsbeschlusses vom Mai 1946 »militaristische und nationalsozialistische Denkmäler« beseitigt. Im Zuge des Mauerbaus wurden mehr als 1000 weitere Gräber eingeebnet. Nach der Wende konnten Hinterbliebene dort Bestatteter sog. »Grabrestitutionssteine« beantragen, ausgenommen waren die Gräber von Größen des NS-Regimes. Einen positiven Bescheid zur Steinsetzung erhielten so die Nachfahren des einstigen Chefs des NS-Heerespersonalamtes und General der Infanterie Rudolf Schmundt5 . Bereits Wallfahrtsort ist das Grab des Wehrmachts-Oberst Werner Mölders. Im 2. Weltkrieg hoch dekoriert (Brillanten zum Ritterkreuz mit Eichenlaub und Schwertern) war er als Freiwilliger und zugleich erfolgreichster Flieger der Legion Condor am Bombenterror gegen das republikanische Spanien beteiligt. Bis heute wird Mölders, auch in der Bundeswehr, als Held gefeiert6 .

An seinem Todestag, am 22. November, halten seine alten und neuen Anhänger, unter ihnen die »Ordensgemeinschaft der Ritterkreuzträger«, in der viele ehemalige SS-Mitglieder aktiv sind, Gedenkfeiern am Grab des Kriegsverbrechers ab. Antifaschistische Traditionspflege betrieben am 63. Todestag Mölders diejenigen, die neben der Grabstelle mit der Parole »Keine Ruhe für ›Vati‹ Mölders« an die Verbrechen der Wehrmacht erinnern wollten. Die hier aufgezeigte Relativierung nationalsozialistischer Verbrechen auf Landes- und Bundesebene trifft sich mit anderen Vorgängen in der Berliner Politik, Joachim Zeller stellte sich im Februar diesen Jahres schützend vor seine Fraktionskollegen im Bezirk Steglitz/Zehlendorf, die einen geschichtsverfälschenden Antrag zur Begehung des 60. Jahrestages des Kriegsendes durchsetzten (siehe AIB 66 »Verblasenes Geraune«).

Diesen als Tag der Befreiung zu gedenken bedeutet, sich derjenigen zu erinnern, die mit ihrem Mut, dem Einsatz ihres Lebens und persönlichem Leid das Ende des nationalsozialistischen Terrors ermöglicht haben. Wer hingegen die Grabstätten für NS-Kriegsverbrechern nicht aktiv verhindert, leistet Vorschub für »Traditionspflege und Heldenverehrung«, und schafft (geistigen) Platz für neue Pilgerstätten von Alt- und Neonazis. 

  • 1Berliner Zeitung, 18.09.2004.
  • 2blick nach rechts, 20.09.2004.
  • 3Vorsitzender des Nationaldemokratischen Hochschulbundes 1979-82; Vorstandsmitglied »Gesellschaft für freie Publizistik«, 1989 Promotion »Die Pluralismuskritik in der Sicht von Carl Schmitt«; Verteidiger des Auschwitzleugners Fred Leuchter; Autor in »Aula«, »Junge Freiheit«, u. a.
  • 4Alle Zitate dieses Abschnitts aus: RBB Berlin-Brandenburg/rbb-online.de Beitrag KLARTEXT v. 08.09.2004.
  • 5Historiker Demps, Mitglied im Förderverein Invalidenfriedhof, bezeichnet den ehemaligen »Adjutant der Wehrmacht beim Führer und Reichskanzler«, laut Tagesspiegel vom 1.9.2004, als »honorigen Mann«.
  • 6Er war bis Ende Januar 2005 Namensgeber der »Werner Mölders Kaserne« in Neuburg an der Donau. Trotz Bundestagsbeschluss vom 25.4.1998 Bundeswehreinrichtungen umzubenennen, die Namen von Mitgliedern der »Legion Condor« tragen.