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»Braunes Sommerloch« – Neue Qualität rechtsextremer Umtriebe in der Schweiz?

Antifa Bern (Gastbeitrag)
Einleitung

Während auch in der Schweiz das Thema Rechtsextremismus in diesem Sommer die Medienland schaft prägt und sogar die Polizei Flugblätter gegen Rechts druckt, deuten ein bewaffneter Angriff auf ein alternatives Wohnprojekt in Bern und das vermehrte und regelmäßige öffentliche Auftreten  von Neonazis auf eine qualitative Veränderung der rechtsextremen Szene hin. 

Bild: Screenshot von youtube.com/SRF von Schweiz aktuell vom 20.03.2002

Der Schweizer Neonazi Pascal Lobsiger in einem Fernseh Interview.

Es war am 10. Juli gegen drei Uhr früh, als mehrere Salven Sturmgewehrmunition das Eingangstor der Wohngemeinschaft »Solterpolter« in unmittelbarer Nähe des Parlamentsgebäudes in Bern durchschlugen. Die BewohnerInnen waren zum Teil eben erst heimgekehrt und hatten sich noch nicht zur Ruhe gelegt – zum Glück, wie sich später herausstellen sollte. Was war geschehen?

Drei 19 – 22jährige Neonazis hatten ihre Dienstwaffe, die jeder Schweizer Wehrpflichtige zu Hause hat, durchgeladen – einer der Täter hatte als Mitglied eines Schützenvereins Zugang zu Munition –  und daraufhin ein »geeignetes« Objekt ins Visier genommen. Im Dauerfeuer wurden die Magazine geleert. 90 Einschläge zählte die Polizei. Wie die BewohnerInnen der Wohngemeinschaft zu Protokoll gaben, haben die Neonazis das Feuer unter dem Schlachtruf »Sieg Heil!« eröffnet.

Der Anschlag markiert den Höhepunkt von Einschüchterungskampagnen, Provokationen und Pöbeleien von Neonazis gegen mutmaßliche linke Jugendliche. Die »Solterpolter«-Attentäter gaben dann auch freimütig zu, die Tat aus Abneigung gegen Linke verübt zu haben. Das Sommerlochthema war gefunden. Die Berichterstattung mit allen verfügbaren Interviewpartnern reichte gerade aus, bis das nächste Ereignis, das überregionale Aufmerksamkeit erlangte, ins Haus stand: 1.8. – Schweizer Nationalfeiertag.

Auf der sogenannten Rütliwiese in der Zentralschweiz, wo sich vor etwas mehr als 700 Jahren drei Talschaften gegenseitigen Beistand geschworen haben sollen, hält Finanzminister Kaspar Villiger eine Festansprache. Wer den Weg auf sich nimmt, um am Nationalfeiertag an dem mythenverbrämten Ort die Rede eines Regierungsmitglieds anzuhören, darf sicherlich als empfänglich für patriotische Regungen bezeichnet werden. Schon seit Jahren tauchen auch die selbst ernannten Radikalsten aller Patrioten auf dem »Rütli« auf. Nun waren es aber über 100 Neonazis, die die Rede des Ministers störten.

Erstaunlicherweise war der Aufschrei in den Medien nach dem Propagandaauftritt der Neonaziskinheads am Nationalfeiertag um einiges größer als nach den nur zufällig nicht tödlichen Schüssen in Bern. Das Boulevardblatt »Blick« füllte seine Frontseite drei Tage in Folge mit dem Neonazi-Auftritt und seinen Folgen. Einzige spannende Enthüllung dabei: An vorderster Front dabei und in den Medien prominent abgelichtet: Pascal Lobsiger. Der 25jährige Neonazi-Skinhead war unter anderem der Drahtzieher des Überfalls auf das »Festival für Völkerfreundschaft« im November 1995 in Hochdorf. Für diese Gewalttat kassierte Lobsiger eine Gefängnisstrafe von einem Jahr. Aus der Haft entlassen soll der ehemalige Chef der Hammerskin Aufbau Organisation inzwischen bei der »Nationalen Hammerskin Organisation« beteiligt sein. Ein entsprechendes Emblem – eine schwarze Fahne mit den gekreuzten Hämmern –war auch bei der Nationalfeier zugegen.

Bereits Mitte Mai wurde in einem Berner Vorort bei Mitgliedern der »Nationalen Offensive« – einem lokalen Hammerskin-Ableger – ein umfangreiches Waffenlager sicher gestellt. Die Bundespolizei beschlagnahmte dabei 23 zusammengebastelte Sprengsätze. Einige der Splitterbomben haben die Neonazis zu Testzwecken in einer Kiesgrube nahe Bern gezündet. Wegen der Splitterwirkung werden sie von Fachleuten als sehr gefährlich eingestuft. Außerdem wurden bei der Polizeiaktion verschiedene Schuss- und Stichwaffen gefunden. Die beiden Besitzer der Waffen sind geständig und kamen für zwei Tage in Untersuchungshaft. Einer der beiden wird zudem verdächtigt, mit einer Schrotflinte auf eine alternative Wohngemeinschaft geschossen zu haben.

Die Nationale Offensive (NO) ist nicht unbekannt: Der mutmaßliche Haupttäter dieser Sturmgewehrattacke, Simon V., bewegt sich in ihrem Umfeld. Als Drahtzieher der NO gilt der 21jährige Fleischer Adrian S. Er wohnt in Moosseedorf nördlich von Bern. Adrian S. gehörte zu den rund einhundert Neonazis, die am 1. August während der offiziellen Bundesfeier den Schweizer Finanzminister niederschrieen. Vor fünf Jahren war er an einem bewaffneten Überfall auf das antifaschistische Festival für Völkerfreundschaft beteiligt. Im Zusammenhang mit den aktuellen Waffenfunden taucht der Name Adrian S. offenbar nicht in den Untersuchungsakten auf. Dennoch dürfte die NO zur Zeit als die aktivste Neonazi-Truppe in der Schweiz gelten.