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USA: Rechter Wahlkampf zwischen Corona und Black Lives Matter

Xavier Bonnet
Einleitung

Die gute Nachricht zuerst: Drei Wochen Massenproteste gegen Rassismus und Polizeibrutalität infolge des Mordes an George Floyd haben die Zustimmungsraten für den US-Präsidenten und die Trumpisten noch weiter nach unten gehen lassen. Der Demokrat Joe Biden, der seit Wochen US-weit mit bis zu acht Prozentpunkten vor Trump liegt, hat sich mittlerweile auch in wichtigen Swing States – dort also, wo die Präsidentschaftswahlen wegen des komplizierten Wahlsystems entschieden werden – knapp vor Trump gesetzt. Die schlechte Nachricht: Die Demokraten haben bis heute kaum eine Vorstellung oder einen Begriff von der durch Trump beschädigten bürgerlichen US-Demokratie, ganz zu schweigen von einem tragfähigen Konzept, wie die langsame „Faschisierung“ aufgehalten werden könnte.

Foto: Twitter @dewybleach

Der BLM-Demonstrant Robert Forbes starb durch den Neonazi Timothy Kieth Moore (links), der nach der Tat ohne Handschellen mit Zigarette am Polizeiwagen gelehnt fotografiert wurde.

Ihre Hoffnungen richten die Demokraten ausschließlich auf den beginnenden Wahlkampf sowie die Wahlen am 3. November. Dass sich das Land und die Gesellschaft bis dahin angesichts der Doppelkrise – Coronavirus und wirtschaftlicher Einbruch – erholt haben, ist auszuschließen. Im Gegenteil: In gut der Hälfte der Bundesstaaten ging die Zahl der Coronavirus-Todesfälle Mitte Juni steil nach oben. Ein zweiter Lockdown wird ausgeschlossen. Ab dem Sommer soll es keine staatlichen Hilfen, wie z.B. die wöchentliche $600-Dollar-Spritze pro Familienmitglied, mehr geben. Den USA stehen Monate von hoher Arbeitslosigkeit, Massenarmut und horrenden Sterberaten bevor. In dieser Chaos-Situation werden viele nach dem „starken Mann“ rufen. Und ein quantitativ anwachsendes Amalgam aus Neonazis, bewaffneten Paramilitärs und einer Republikanerpartei, die sich nach rechtsaußen hin radikalisiert hat, sieht in Trump eine Führungsfigur, die um jeden Preis im Weißen Haus bleiben muss.

Vor der Coronavirus-Krise bestand das Machterhaltungskalkül Trumps und seiner weit nach rechts gerückten Republikaner darin, den Wahlkampf mit Rassismus und Bezugnahmen auf die „blühende Wirtschaft“ zu bestreiten. Seit er auf letztere nicht mehr verweisen kann, rückte er noch weiter nach rechts. Im Mai gipfelte diese Entwicklung in seinem Aufruf, einzelne Bundesstaaten von den Coronavirus-Restriktionen zu „befreien“. Manche seiner Anhänger hörten den Ruf, der gekoppelt war mit Trumps codierten Verweis auf den zweiten Verfassungsgrundsatz, in dem vom Recht auf das Tragen von Waffen die Rede ist. Und sie erschienen bewaffnet. Am 17. Juni 2020  wurde das auf dem Kopf stehende Symbol des Naziregimes für politische Gefangene in Konzentrationslagern, das rote Dreieck, als Warnung vor “Antifa” dreifach gepostet – von den offiziellen Twitter-Accounts des Präsidenten, des Vizepräsidenten und des Trump-Wahlkampfbüros. “Eine Wiederwahlkampagne mithilfe eines Symbols aus Nazi-Konzentrationslagern”, bezeichnete daraufhin die fortschrittliche jüdische Organisation Bend The Arc.

Zu den „Anti-Lockdown“-Protesten in etlichen von Demokraten regierten Bundesstaaten, erschienen empörte Geschäftsleute, Verschwörungsanhänger, Trump-Fans der ersten Stunde und Rechte und Neonazis jeglicher Couleur. In Michigan stürmten bewaffnete rechte Milizen das Kapitolsgebäude. Auf Schildern stand „Punish treason by hanging“ ("Verrat durch Aufknüpfen am Strick bestrafen"). Die Polizei nahm niemanden fest. Der Aufmarsch im Kapitolsgebäude veranlasste die dortige Regierung, ihre Verwaltungstätigkeit vorübergehend einzustellen. Statt die Gewalt- und Morddrohungen zu verurteilen, beschlossen Republikaner in Michigan die demokratische Gouverneurin Gretchen Whitmer zu verklagen, weil sie mit der Lockdown-Anordnung angeblich ihre Befugnisse überschritten habe.

Solche „Proteste“ erfolgten auch in vielen anderen Bundesstaaten. Tatsächlich hatte es sich um koordinierte Aktivitäten gehandelt – das Weiße Haus, die Republikanerführung und bewaffnete Ultra-Rechte zogen dabei an einem Strang. Mitorganisiert wurden sie von konservativen Vereinigungen auf einzelstaatlicher Ebene und einer Reihe von reichen Republikaner-Mäzenen. Mit im Boot, ja führend dabei, war das Justizministerium um William Barr. Die gesamte rechte Medienmaschine, allen voran Fox News, Trumps Lieblingssender, sekundierte.

Dann ging das Video vom Mord an George Floyd durch die USA und um die Welt und die Bilder von brennenden Polizeiautos, abgefackelten Polizeistationen und Plünderungen durchzogen zunächst die Mainstreammedien. Interessanterweise gab sich Trump dabei nicht offen rassistisch gegenüber schwarzen Amerikanern, sondern sogar halbwegs mitfühlend. Stattdessen machte er „die Antifa“ zum Sündenbock. „Die Vereinigten Staaten von Amerika werden die ANTIFA als Terrororganisation einstufen“, verkündete er per Twittermeldung. Justizminister William R. Barr verdammte in einer  Erklärung zu George Floyds Tod und nach der ersten Protestwelle in Minnesota „anarchistische und ganz linke Extremisten, die Antifa-Taktiken anwenden“, während er die Wut von Demonstrierenden als „echt und legitim“ bezeichnete.

„Die Antifa“ auszulöschen steht allerdings schon seit Jahren auf der Wunschliste der extremen Rechten wie auch Konservativer. Entsprechend enthusiastisch wurde die Absichtserklärung des Weißen Hauses von Neonazis und anderen Rechten aufgenommen, vor allem von solchen die in der Vergangenheit staatliche Reaktionen auf ihre Gewalttaten hin zu spüren bekamen, etwa das „Rise Above Movement“ oder die „League of the South“.

Gleichwohl winkten Rechtsexperten umgehend ab. Diskussionen über die Verschärfung des Terrorismusstrafrechts – das heißt die Miteinbeziehung hausgemachter Organisationen – hatten sich  meist darum gedreht, ob extrem rechte Organisationen auf eine Terrorliste sollten. Diese waren von FBI-Chef Christopher Wray auf der Liste nationaler „Bedrohungen“ ganz nach oben gesetzt worden. Denn auf das Konto der Neonazis gehen Dutzende von Morden. Wichtiger ist aber, dass es in den USA überhaupt keine rechtliche Grundlage gibt, mit der inländische Gruppierungen zu Terrororganisationen erklären werden können. Ein solcher Schritt würde dem FBI und weiteren Bundespolizeien noch mehr Macht einräumen. Unter dem Schirm der Antiterror-Gesetzgebung wäre jeder, dem das Antifa-Label angehängt wird, zu überwachen und potentieller Gegenstand von Ermittlungen.

Teile der Neonazi-Szene wiederum versuchten, bei den militanten George-Floyd-Protesten mitzumischen. Für  weiße Nationalisten sind diese der Beweis dafür, dass eine multikulturelle Gesellschaft nicht funktionieren könne. Rechte Milizen und Waffenfans sehen die Zeit näher rücken, in der sie gegen die Regierung und die „neue Weltordnung“ vorgehen können. Und „Boogaloo“-Gruppierungen glauben, dass Bürgerkrieg und Apokalypse in sichtbare Nähe gerückt sind. Im offiziellen Twitter-Konto der „Oath Keepers“, der größten regierungsfeindlichen Miliz der USA, waren auch Dutzende ihrer bewaffneten Mitglieder zu sehen. Für Selfies reisten andere Führer von Hassgruppen, etwa Jessica Reavis von der „League of the South“, in gleich zwei Bundesstaaten. Hier und dort kreuzten „Boogaloo“-Anhänger auf. Doch zu echten Aufmärschen kam es nicht.

Gleichwohl übten einzelne Neonazi Gewalt gegen Demonstrierende aus. Dabei fiel die Tatwaffe Auto auf. Gleichsam nach dem Vorbild von James Alex Fields, der bei einem „Unite the Right“-Aufmarsch in Charlottesville in die Menge von abziehenden Gegendemonstranten gefahren war und Heather Heyer umgebracht hatte, gab es mehrere solcher Attacken.

Am 7. Juni fuhr beispielweise der 36-Jäh­rige Harry Howard Rogers in Richmond im Bundesstaat Virginia in eine Menschenmenge, ohne dabei allerdings jemand zu verletzen. Später gestand er gegenüber der Polizei, er sei Chef des rassistischen „Ku Klux Klan“ (KKK) in Virginia. Kurz davor hatten dort Demonstranten eine Konföderiertenstatue niedergerissen und eine Woche davor wurde das Hauptquartier der KKK-Frauen von einem Feuer zerstört. In Bakersfield in Kalifornien wurde der Demonstrant Robert Forbes auf diese Weise umgebracht. In Seattle fuhr ein Rechter am 7. Juni in eine Menschenmenge Demonstrierender, stieg aus und gab mehrere Schüsse ab. Ein Mensch wurde dabei verletzt. Ähnliche Zwischenfälle ereigneten sich in Florida, North Dakota, Ohio, Colorado und mehrmals in Kalifornien.

In Brooklyn und in Florissant in Missouri rammten Polizeifahrzeuge Demonstranten. In beiden Fällen erfolgten die Angriffe absichtsvoll und mit Kalkül. Polizeieinheiten werden seit den Jahren der Bürgerrechtsbewegung und von "Black Power" gezielt von rechten Organisationen infiltriert. Es handelt sich um solche, die einen „Rassenkrieg“ für unvermeidbar halten. Die weiße Polizei müsse dann eine Führungsrolle innehaben, damit die „weiße Seite“ gewinnt. Zu wichtigen Anlaufstellen sind dabei auch Polizeigewerkschaften geworden.

Nun wird von linken US-Amerikanern und Black-Lives-Matter-Aktivisten zunehmends die Forderung nach „Defund the Police“ erhoben. Umstritten ist dabei, in welcher Form Polizeigewerkschaften reformiert werden müssten. Der Forderung nach einer Gleichbehandlung mit anderen Gewerkschaftsverbänden steht als Argument entgegen, dass Polizeigewerkschaften der wichtigste Unterschlupf für infiltrierende Rassisten seien und deshalb nicht mit normalen Gewerkschaften zu vergleichen sind. Eine „Wand des Schweigens“ umgebe Polizeigewerkschaften. Und nicht umsonst würden sie sich „fraternities“ (Bruderschaften) nennen, in der jeder jeden deckt.

(Nachtrag: Die befürchtete „Faschisierung“ in den USA schreitet voran. Mit Stand vom 18. Juni 2020 waren fünf afroamerikanische Männer innerhalb weniger Tage an Seilstricken aufgehängt aufgefunden worden. Das erinnert an frühere KKK-Hinrichtungen. Kein Statement dazu aus dem Weißen Haus.)