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USA: Fangen, festnehmen und beschießen

Max Böhnel (New York)
Einleitung

Die US-Regierung rüstet die Grenzen gegen mittelamerikanische MigrantInnen auf. Per Proklamation hatte US-Präsident Donald Trump unter Berufung auf seine Vollmachten im Fall eines nationalen Notstands Anfang November 2018 eine Asylrechtsverschärfung verfügt. Die ist vorläufig ad acta gelegt. Der Bundesrichter Jon Tigar in San Francisco erließ Mitte November 2018 eine einstweilige Verfügung gegen Trumps Erlass, demzufolge vorläufig nur noch legal eingereiste Menschen in den USA Asyl beantragen dürfen. Damit bleibt es weiter beim Anspruch auf Asyl auch bei unerlaubter Einreise.

Foto: Jonathan McIntosh, Wall of Crosses in Nogales; CC BY 2.0

Doch die längst militarisierten Grenzabschnitte – etwa Tijuana – werden noch weiter ausgebaut. Rund 5.600 Soldaten der US-Army, die auf Anordnung des US-Präsidenten an die Südgrenze zu Mexiko entsandt wurden, verstärken die bestehenden offiziellen Übergänge und Landstriche weiter mit schwerem Stacheldraht und Barrikaden. Zur Militarisierung trägt darüber hinaus die Ausrüstung der Zoll- und Grenzpolizei „Customs and Border Protection“ (CBP) mit martialischem Gerät bei: ausladende Schutzschilder und Schienbeinschützer, lange Knüppel, Tränengas und Gummigeschosse. Sie kamen am 25. November 2018 zum ersten Mal gegen Flüchtende zum Einsatz. Selbstverständlich lobte Trump den Beschuss von Männern, Frauen und Kindern. Viele seien „eiskalte Kriminelle“, twitterte er und drohte, die Grenze „wenn nötig, auf Dauer zu schließen“. Die Demokraten und „aktivistische“ Gerichte würden es der Grenzpolizei schwer machen, der Kongress müsse „endlich die Mauer finanzieren“.  
Zahlreiche Privatunternehmen, die von der US-Regierung in Irak und Afghanistan lukrative Aufträge erhalten hatten, befinden sich im Wartemodus. Laut einem Pentagonsprecher besteht die Aufgabe des Militärs neben dem Ausbau der Grenzanlagen in der Unterstützung der CPB mit Fluggerät, Aufklärung, medizinischer Versorgung und dem Bau von Unterkünften. Laut einem Bericht der linksliberalen Zeitschrift „The Nation“ geht die US-Armee nach einer im Irak angewandten Abschreckungsdoktrin namens „terrain denial“(Geländeverweigerung) vor. Die Soldaten werden dabei den Kontakt mit Immigrationswilligen vermeiden, sagte der Pentagonsprecher. Denn polizeiliche Aktivitäten sind ihnen auf US-Territorium gesetzlich untersagt.

Dass es sich um mehr als ein Wahlkampf­spektakel handelte, das Trump vor den Midterm-Wahlen inszenierte, war schon vor dem Grenzpolizeieinsatz in Kalifornien deutlich geworden. Gleich zweimal hetzte er per Twitter gegen Asylsuchende und Ein­wanderer. „Catch and detain“ (Fangen und festnehmen) lautete das Motto. Kurz davor hatte Trump ebenfalls per Twitter dem Bürgermeister der mexikanischen Grenzstadt Tijuana sekundiert, in der am Wochenende mehrere hundert Flüchtlinge angekommen waren. Auch die USA seien „auf diese Invasion“ nicht vorbereitet, schrieb Trump, „sie schaffen Kriminalität und große Probleme in Mexiko. Geht nach Hause!

Die Teilnehmer_innen der „Karawanen“, die sich bis zu den US-Grenzübergängen durchschlagen können, stoßen in der Regel nicht auf bewaffnete Soldaten. Stattdessen bekommen sie Baukräne zu sehen, die weitere Metallbefestigungen anbringen, sowie Hubschrauber, die CBP-Polizisten transportieren. Dabei wird es Asylsuchenden so schwer wie möglich gemacht. Der Übergang San Ysidro nördlich von Tijuana wurde für 750 Millionen Dollar modernisiert, kann aber täglich nur 100 Asylanträge bearbeiten – falls die Menschen überhaupt so weit durchgelassen werden. Viele drehen deshalb frustriert wieder ab und versuchen, die offiziellen Grenzposten zu umgehen und an zugänglichen Stellen entlang der etwa 3.200 Kilometer langen Grenze auf US-Territorium zu gelangen.

Doch ihnen wurde auf Anweisung von Trump seit dem 9. November 2018 die Chance auf Asyl verweigert, nachdem sie von CBP-Beamten erwischt wurden. Erst die Entscheidung des Bundesrichters Jon Tigar hat den unbeschränkten Anspruch auf Asylantragstellung vorerst wieder hergestellt. Ob sich die Grenzpolizei, in deren Reihen sich viele Trump-Anhänger befinden, daran hält, ist seitdem unklar. Wie schon bei seinen umstrittenen Einreiseverboten gegen Bürger aus mehrheitlich muslimischen Staaten wird erwartet, dass die Trump-Regierung eine weitere Instanz anruft. Beim Einreiseverbot hatte das Oberste Gericht schließlich eine abgeänderte Version bestätigt.

Trumps Tiraden ermuntern erneut auch Neonazis und extreme Rechte. Laut einem Armee-Bericht, den „Newsweek“ Ende Oktober 2018 veröffentlichte, gehen die Behörden von bis zu 200 Mitgliedern schwer bewaffneter Bürgerwehren aus, die sich auf dem Weg in die Grenzregion machen. In dem Bericht wurde vor „Zwischenfällen“ gewarnt. Ultra-Rechte könnten versuchen, Militärausrüstung zu stehlen. Anführer diverser Milizen kündigten zudem an, dass noch mehr ihrer Mitglieder an die Grenze mobilisiert würden.

Das antifaschistische „Southern Poverty Law Center“ (SPLC)  sieht zudem die Gefahr eines bewaffneten Angriffs durch einen sogenannten „einsamen Wolf“. In der Milizbewegung hätten sich Verschwö­rungstheorien in den vergangenen Jahren noch stärker ausgebreitet. Das SPLC erinnert an den antisemitischen Massenmörder von Pittsburgh, der Ende Oktober 2018 in einer Synagoge um sich geschossen hatte. Er hatte nur Minuten davor seine Motivation in sozialen Medien dargelegt. Juden in den USA seien für die nicht-weißen „Eindringlinge“ verantwortlich, die die weiße Rasse abschaffen würden. „Ich kann nicht zusehen, wie unsere Leute abgeschlachtet werden“, schrieb er. 

Die „Karawanen“

Der Marsch mit einer Karawane ist sehr anstrengend, dennoch garantiert er, sicher voranzukommen. Wer die mindestens 2.200 Kilometer lange Strecke durch Mexiko in die Vereinigten Staaten auf eigene Faust bewältigen will, lebt gefährlich: Kriminelle rauben die Reisenden aus, Migrationsbeamte kassieren Schmiergeld, Vergewaltigungen drohen. Die NGO Pueblo Sin Fronteras bietet dem aktuellen Migrant_innenkonvoi logistische Unterstützung. Die gemeinnützige Organisation begleitet und unterstützt „Einwanderer-Karawanen“ und ist Mitglied des National Day Laborer Organizing Network (NDLON – Nationales Tagelöhner Netzwerk) mit Sitz in Los Angeles (Kalifornien, USA). Sie kümmert sich vor allem um die Rechte von Migrant_innen und hat Ableger in den Vereinigten Staaten. Inzwischen steigt der politische Druck auf die Organisation. Der honduranische Präsident kündigte an, er wolle „die volle Härte des Gesetzes gegen jene anwenden, die diese Wanderungen mit politischen oder kriminellen Zielen organisieren und fördern“. Die Ursache für die Karawanen aus Honduras wird von regierungskritischen Gruppen in der Politik der USA, beginnend mit dem Putsch in Honduras 2009, für den die damalige US-Außenministerin Clinton verantwortlich gemacht wird, gesehen. Hilfsorganisationen sprechen von einem Exodus, der hier vor sich geht. Im Jahr 2017 haben laut UNHCR 294.000 Menschen aus Guatemala, Honduras und El Salvador in den benachbarten Ländern und den USA eine Anerkennung als Flüchtling beantragt – das bedeutet eine Verdopplung der Zahl von 2016 und das sind ganze 16 Mal so viele wie 2011.