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USA: BLM, Trumpismus, Portland & QAnon

Max Böhnel
Einleitung

Nach dem Wahlsieg von Biden wandte sich die Black Lives-Matter-Mitgründerin Patrisse Cullors mit einem offenen Brief an das Team Biden/Harris. Sie bat um ein Treffen mit der neuen Regierung, um „gehört zu werden und damit unserer Agenda Priorität eingeräumt wird“. Die Gründe: Schwarze seien nicht nur die beständigsten und zuverlässigsten Wähler der Demokraten. „Diese Bewegung gewann diese Wahlen, ganz eindeutig“, so ullors. Vor allem aber lebten Schwarze Menschen „in einer Krise in einer Nation, die auf unserer Unterwerfung aufgebaut ist. Bis heute weigern sich die USA, sich direkt mit der Tatsache auseinanderzusetzen, dass sie Schwarze Menschen herabwürdigt und unser Leben zerstört. Das darf nicht so weitergehen.“

Foto: Matthew Roth; CC BY-NC 2.0

4. Juni 2020: Den siebten Tag in Folge gingen tausende Menschen in Portland aus Protest gegen den Mord durch Polizisten an George Floyd, Breonna Taylor, Ahmaud Arbery und vielen anderen auf die Straße. Die Forderung nach „Defund the Police“ wird wird wohl auch nach dem Wahlsieg von Biden nicht konkret.

Das „Movement for Black Lives“ (M4BL) schlug in einem Entwurf namens „Breathe Act“ Polizei- und Strafrechtsreformen vor. Damit wird die Forderung „Defund the Police“ konkretisiert. So sollen u.a. Bundesmittel, die bisher ins Knast- und Polizeisystem gehen, in Community-Projekte umgeleitet werden. Der auf über 700 Milliarden Dollar angeschwollene Pentagon-Haushalt soll eine „drastische Reduzierung“ erfahren. Weitere Vorschläge sind die Abschaffung von Überwachungsmaßnahmen und -technologien, die überproportional gegen Nicht-Weiße eingesetzt werden, wie elektronische Fußfesseln, Tracking-Apps oder Drohnen. M4BL will Bundesknäste und Abschiebezentren auflösen und nicht zuletzt Drogen entkriminalisieren.

Die Reaktionen des designierten neuen Weißen Hauses lassen auf sich warten. Unterdessen organisieren BLM, M4BL und weitere Gruppierungen Aktivitäten auf lokaler und einzelstaatlicher Ebene. In Kalifornien fordern die Netzwerke beispielsweise ihre Unterstützer auf, mit Anrufen beim Gouverneur dafür zu sorgen, dass Kamala Harris‘ frei gewordener Senatssitz mit einer Schwarzen Frau besetzt wird.

Rechtsaußen, Trumpismus und Bidenismus

Außer der Befürchtung, Trump würde Bidens Sieg nicht anerkennen, traf keine der düsteren Prophezeiungen vor den Wahlen ein. Weder gelang es dem Trump-nahen Chef der Bundespost, Briefwahlunterlagen verschwinden zu lassen, noch wurden die Massen an Menschen, die zum Wählen an den Wahllokalen anstanden, flächendeckend von trumpistischen Horden belästigt. Es marschierten keine extrem rechten Milizen in mehrheitlich von Nicht-Weißen bewohnten innerstädtischen Bezirken auf, um sie einzuschüchtern oder anzugreifen. Am Wahltag selbst kam es weder zu Auseinandersetzungen noch zu bürgerkriegsähnlichen Zuständen, wie es für die Nachwahltage – unabhängig vom Sieger – vorausgesagt worden war. An einigen Orten versuchten „Proud Boys“ oder bewaffnete Milizionäre, Pro-Biden-Kundgebungen zu stören. Doch die regionalen Behörden unterbanden Angriffe.

Offenbar war auch das FBI gut informiert und einsatzwillig. In Michigan wurde eine Gruppe von extrem Rechten festgenommen, die die Entführung und Ermordung der Gouverneurin geplant hatten. Die Bundespolizei sackte außerdem zwei Mitglieder der „Boogaloo-Bewegung“ sowie zwei Mitglieder der rechtsterroristischen „The Base“ ein.

Als einen Grund für die relativ ruhig verlaufenen Wahlen sehen Antifa-Gruppen die Implosion einiger gewaltbereiter extrem rechter Zusammenschlüsse, insbesondere des Teils der „Alt Right“, der sich dem weißen Nationalismus verschrieben hat. Richard Spencer, der vor vier Jahren noch „Heil Trump, heil unserem Volk“ verkündet hatte, versagte Trump die Unterstützung. Das „American Identity Movement“ (früher „Identity Evropa“) erklärte einen Tag vor den Wahlen seine komplette Auflösung. Auch die „Patriot Front“, die letzte größere Neonazi-Gruppe sieht in Trump keine Hoffnung mehr. Laut Antifa-Beobachtern in Pittsburgh im Staat Pennsylvania, wo die „Patriot Front“ nach den Wahlen eine Kundgebung abhielt, beschränkte sie sich auf die Verdammung des Zweiparteiensystems.

Der New Yorker Aktivist Spencer Sunshine hält Löschungen von extrem rechten Organisierungs- und Rekrutierungsversuchen in sozialen Netzwerken für einen weiteren Grund. Nicht zuletzt lässt auch der rechte Sender Fox Distanz zu Trump erkennen. Gleichwohl ist die Szene nicht geschlagen. Einige rechte Milizen hatten vor den Wahlen angekündigt, sich erst danach wieder melden zu wollen.

Trump ist abwählbar aber der Trumpismus nicht.

74 Millionen Amerikaner wählten ihn. Die nach weit rechts gerückten Republikaner - Trumps Partei - hielten ihre Mehrheit im Senat. Der von den Demokraten erhoffte Erdrutschsieg im Repräsentantenhaus blieb ganz aus. Ihre Mehrheit schrumpfte gar, weil etliche Parteizentristen verloren. In den meisten Landesparlamenten dominiert die Trump-Partei weiterhin die dortige Politik. Kritiker aus den Reihen der Demokra-ten gaben sich angesichts dessen offen erschüttert. Der stellvertretende Gouverneur von Wisconsin Mandela Barnes sagte auf CNN, „diese Scheiße hat mit den Wahlen sogar noch zugenommen... Es wird einen Trumpisten geben, der smarter ist als der im Weißen Haus. Eine kompetentere Person mit derselben Politik hätte diese Wahlen nicht verloren.

Dass Biden und mit ihm die Zentristen keinesfalls kraftvolle Reformen, etwa ökonomischer Natur in Gang setzen werden, die einem Teil der Trump-Protestwähler das Wasser abgraben könnte, hatte sich schon im Vorwahlkampf gezeigt. Damals stellten sich die Zentristen hinter Biden und gegen den sozialdemokratischen Reformer Sanders. Nach den Wahlen kündigten die Parteizentristen das Wahlbündnis mit den Parteiprogressiven auf: statt BLM, Bernie Sanders oder Elizabeth Warren positive Signale zu senden, erfolgte freundliches Handschütteln mit Never-Trump-Republikanern. Ins Übergangsteam wurden Wall-Street- und Pentagonfreundliche Insider gebeten. Zu befürchten sind eine Politik der kleinen Schritte, das Zugehen auf die Republikaner und der Versuch, die Parteilinke ganz an den Rand zu drängen.

Portland

Der 48-jährige Antifaschist Michael Forest Reinoehl hatte in einem Vice-Interview eingeräumt, das „Patriot-Prayer“-Mitglied Aaron Danielson während eines rechten Protests gegen BLM-Demonstranten in Portland erschossen zu haben. „Ich hatte keine Wahl“. Reinoehl beschrieb sich selbst in sozialen Medien als „100prozentig Antifa durch und durch“. Er hatte mehrmals als „Security“ bei BLM-Protesten fungiert.

In Lacey (Washington) kam es am 3. September zu dem „Zwischenfall“: US-Marshalls, eine Polizeiabteilung des Washingtoner Justizministeriums, gaben mehr als 30 Schüsse auf ihn ab und ließen in verbluten. Laut Justizminister William Barr und Polizei habe Reinoehl die Beamten vor seiner Festnahme mit einer Waffe bedroht. Seine Tötung sei ein „wichtiger Erfolg bei der Herstellung von Recht und Gesetz in Portland“ gewesen, so Barr. „Genauso muss es sein“, sagte Trump. Mehrere Menschen waren Augenzeugen. Niemand von ihnen konnte bestätigen, dass Reinoehl eine Waffe in der Hand hatte. Die US-Marshalls hätten ohne auch nur den Versuch einer Festnahme oder Warnung sofort auf Reinoehl gefeuert. Von der Szene gebe es keinerlei Video- oder andere Aufnahmen, hieß es.

QAnon

QAnon-Anhänger haben es schwer. Wie gehen sie mit der Abwahl Trumps um, den sie für den Retter vor allem Bösen hielten und der nun doch nicht, wie ursprünglich von Eingeweihten versprochen den „deep state“ zerschlagen wird? Es handelt sich um die Sorte rechter Verschwörungsgläubiger, deren Social-Media-Accounts keine Hakenkreuze zeigen, sondern rot durchgestrichene Covid-Masken, „Blue Lives Mat-ter“-Smileys und SaveOurChildren-Hashtags.

Quälende neun Tage nach der Wahl meldete sich ihre ominöse Insider-Quelle „Mister Q“ überhaupt nicht. Dann kam nur gänzlich Kryptisches. Inmitten der Verwirrung entschlossen sich offenbar Tausende von Anons, der Mär von den gestohlenen Wahlen zu folgen. Am 5. November nahm die Polizei in Philadelphia zwei bewaffnete QAnon-Anhänger fest, die auf dem Weg zu einem Stimmenauszählungslokal waren.

Zwischen Verzweiflung und Realitätsverleugnung“ lautete der Befund, den die NYT der Szene attestiert. Doch sie kann durchaus auf Erfolge verweisen. Mehrere Volksvertreter, die QAnon verbunden sind, sind in die Parlamente gewählt worden. Das bekannteste Gesicht ist Marjorie Taylor Greene aus dem Nordwesten Georgias. Noch in der Wahlnacht behauptete sie per Twitter, Trump habe alle nötigen Stimmen zusammen und forderte „Stop the Steal!“ Sie wurde in ihrem Wahlbezirk mit 74,8 Prozent der Stimmen (227,863) gewählt.

Verbindungen zu QAnon hat außerdem die ebenfalls frisch gewählte Abgeordnete Lauren Boebert aus dem westlichen Colorado. Boebert trat mehrmals mit den „Proud Boys“ und den „Three Percenters“ auf. Darüber hinaus ist sie eine Vertreterin des Waffenkults. Sie betreibt ein Restaurant, in dem die Bedienungen mit offen getragenen Colts arbeiten müssen.