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Staatliche Repression gegen linke kulturelle Freiräume

Erstveröffentlicht von Mikael in den Fahrt bei Metronaut aktualisiert und redigiert vom AIB
Einleitung

An den Beispielen der Musikfestivals „Fusion“ und „Resist to Exist“ lässt sich aufzeigen, wie staatliche Institutionen in Zeiten des Rechtsrucks und gesellschaftlichen Rollbacks versuchen, immer stärker gegen linke kulturelle Freiräume vorzugehen.

Foto: flickr.com; Klop Pe, CC BY-NC 2.0

Fusion- die politische Dimension des Konflikts 1

Einen Monat vor dem seit 1997 jährlich in Lärz, Mecklenburg-Vorpommern stattfindenden Fusion-Festival, wurden die Pläne des zuständigen Neubrandenburger Polizei­präsidenten öffentlich, das Festival einem absurden Eskalationsszenario zu unterziehen. Neben überzogenen Sicherheitsforderungen wurde ein Einsatzkonzept mit 1.000 Beamt_innen, Wasser­werfern, Räumpanzern und Spezialkräften vorbereitet. 100 Polizeibeamt_innen pro Schicht sollten fest auf dem Festivalgelände stationiert und das Gelände mit uniformierten und zivilen Beamt_innen anlasslos bestreift werden. Sogar Unterstützung der Bundeswehr war angefordert worden.

Darüber hinaus wurde von Zeit Online2 2 aufgedeckt, dass das Polizeipräsidium Neubrandenburg eine Bachelorarbeit über das Fusion-Festival bei der Polizeihochschule Güstrow angeregt hatte, und in diesem Zusammenhang das Sicherheitskonzept des Festivals samt personenbezogenen Daten wie Namen und Telefonnummern von Mitarbeiter_innen des Festivals ungeschwärzt an Ulf-Theodor Claassen, ehemaliger Vizevorsitzender der AfD Mecklenburg-Schwerin und rechtskräftig verurteilter rechter Gewalttäter, weitergeleitet hatte. Claassen ist Dozent an der FH Güstrow und Betreuer der Bachelor-Arbeit, in der die Polizeiwache auf dem Fusion-­Gelände und die anlasslose Bestreifung gefordert und begründet wurden.

Diesen Plänen widersetzten sich die Veranstalter_innen des Fusion-Festivals und gingen erstmals in der über 20-jährigen Festivalgeschichte mit der Forderung an die mediale Öffentlichkeit, die überzogenen Kontroll- und Überwachungsforderungen der Polizei zurückzunehmen und Grund- und Freiheitsrechte zu verteidigen - und gewannen. Wären die Pläne der Mecklenburgischen Behörden aufgegangen, hätte es das Ende der Fusion bedeutet. Und das Ende eines weiteren Freiraums.

Zwei Ebenen des Konfliktes

Der Konflikt um das Fusion-Festival hat politisch zwei Ebenen. Erstens geht es um die Verteidigung von Grund- und Freiheitsrechten, um die Freiheit der Kunst und die Selbstgestaltungsfreiheit kultureller Ereignisse. Um den Erhalt von gesellschaftlichen Freiräumen. Es geht also um nicht weniger als die Frage: Wie frei wollen wir leben? Die zweite Ebene, deutlich weniger diskutiert, aber ebenso wichtig, ist der politische Angriff auf ein großes heterogenes, linksalternatives, hedonistisches Netzwerk. Beide Ebenen können unter dem Vorzeichen des derzeitigen gesellschaftlichen Rechtsrucks gesehen werden.

Das Ende von Freiräumen

Wir erleben mit den neuen Polizeigesetzen und dem Trend zum Ausbau von Sicherheitsbehörden und deren Befugnissen immer mehr den Zugriff eines Apparates, der keine Orte mehr toleriert, in denen er nicht sichtbar Präsenz und unmittelbar Kontrolle ausüben kann. Die Fusion ist ein Ort, an dem es Sicherheit gibt – ohne die permanente Kontrolle und Überwachung des Staates. Die Polizei hat bislang nur Zugang zum Gelände bei konkreten Anlässen der Strafverfolgung oder zur Abwehr konkreter Gefahren. So wie das in einer freiheitlichen Demokratie selbstverständlich sein sollte, aber leider nicht mehr ist. Deswegen ist das Fusion-Festival aus Perspektive von Grund- und Freiheitsrechten beispielhaft – und Sicherheitsbehörden offenbar ein Dorn im Auge. Es zeigt lebenswerte Alternativen zur Normalität des immer weiter um sich greifenden Überwachungsstaates auf und erinnert gleichzeitig an jene Zeiten, wo der staatliche Zugriff nicht so allgegenwärtig war wie heute.

Der neue Sicherheitsstaat will aber überall eingreifen, durchgreifen, zugreifen. Er will Macht demonstrieren. Abstrakte Gefahren sollen ausreichen, damit die Polizei anlasslos und ohne Verdacht gegen Menschen eingesetzt werden kann. Diese Dauerpräsenz von Polizei engt die Möglichkeiten zur freien Entfaltung der Menschen ein. Menschen verhalten sich anders in der Gegenwart der Polizei, ganz unbenommen davon, ob sie sich rechtstreu verhalten oder nicht. Die Polizei schafft eine andere Ebene des Umgangs, sie passt nicht in Freiräume. Die Polizei ist nicht frei, zwanglos und unbeschwert. Sie ist die Polizei. Mit Uniform, Waffe, Helm. Die Polizei erzeugt immer einen Konformitätsdruck. Oder wie das der Polizeipräsident von Neubrandenburg sagt: Polizei hemmt. Man kann die Polizei generell gut und wichtig finden – und trotzdem dieses beklemmende Gefühl in ihrer Anwesenheit haben: unter Kontrolle zu sein, überwacht zu sein, nicht mehr so frei.

Angriff auf linksalternatives Netzwerk

Der zweite Punkt ist der politische Angriff auf eine seit Jahren etablierte, aber fluide Struktur. Das Festival wird von einem großen linksalternativen, freiheitlichen, hedo­nistischen und antifaschistischen Netzwerk getragen. Etwa 200 Gruppen aus ganz Deutschland und Europa sind daran beteiligt. Es ist ein mächtiges, weltoffenes Netzwerk, das nicht nur Kunst, Musik und Theater macht, sondern gegen Nazis auf die Straße geht, Seenotrettung und Geflüchtete unterstützt, alternative Lebensformen propagiert, den Kapitalismus kritisiert, Häuser und Wagenplätze besetzt, Kommunikationsguerilla und Aktionskunst praktiziert, Druck für Gleichberechtigung aufbaut, in Mietenkämpfen aktiv ist und viele andere progressive Politikfelder bedient. Im Kern fordert dieses hedonistisch geprägte Netzwerk eine andere Welt, das schöne Leben für alle und den Ausbau von Grund- und Freiheitsrechten.

Der Angriff auf die Fusion ist also nicht nur ein Angriff auf den Freiraum Fusion und damit auf die Grund- und Freiheitsrechte, sondern er ist auch der Versuch, dieses politische Netzwerk zu schwächen. Findet die Fusion nicht mehr statt, fehlt dem Netzwerk ein wichtiger jährlicher Kulminations- und Bezugspunkt, der dem Zusammenhalt, dem Austausch, der Vernetzung und nicht zuletzt auch gemeinsamer Ausschweifung dient.

Resist to Exist

Das seit 2003 jährlich stattfindende selbstorgansierte Punkrock-Festival Resist to Exist scheiterte in diesem Jahr in Brandenburg an bürokratischen Hürden. Die von den Behörden verlangte Baugenehmigung für die Umnutzung des Ackers, auf dem Zäune und Zelte aufgebaut werden sollten, konnten vom ehrenamtlichen Verein nicht getragen werden. Der Verein klagte dagegen, da seiner Ansicht nach keine Nutzungsänderung des Geländes vorliege. Das Verwaltungsgericht Potsdam erklärte die Verbotsverfügung für gültig, ein Eilantrag beim Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg scheiterte. Das Festival musste kurzerhand nach Berlin umziehen.

Die AfD hatte bereits im vergangenen Jahr eine sog. „Kleine Anfrage“ gestellt, um das Festival zu diskreditieren. Erfolglos, denn es gab weder eine staatliche Unterstützung für das Festival, noch registrierte politische Straftaten. Selbst das Kremmener Stadtparlament hatte sich für das Festival ausgesprochen. Der CDU rechtsaußen Bürgermeister wurde bei seinem ablehnenden Kurs von der NPD unterstützt. Der erzwungene Rückzug ist als klarer Erfolg für AfD und NPD zu werten.

Es geht um mehr

Eine freie Gesellschaft braucht Orte, wo Menschen friedlich und frei, unkontrolliert und zwanglos, unbeobachtet und uneingeschränkt das tun und lassen können, was sie wollen, solange ihr Tun die Rechte und Freiheiten anderer nicht tangiert. Wer diese Freiräume einschränkt, der stellt die Freiheit als Ganzes in Frage und hantiert an den Grundfesten der offenen Gesellschaft und der Demokratie. Genau das geschieht aber mit den letzten verbliebenen linken selbstorgansierten Festivals, die noch nicht in das enge, autoritäre, spaßfreie Korsett des allgegenwärtigen Sicherheitsstaates gepresst wurden. Die Verteidigung dieser Freiräume ist deshalb ein wichtiges politisches Signal, um die Fortschreibung dieser Politik und deren Ausdehnung auf andere, viel kleinere Freiräume zu stoppen.