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'Sorgen und Ängste' als Rassismus ernst nehmen

"deutschland demobilisieren - Kampagnengruppe der Naturfreundejugend Berlin" (Gastbeitrag)
Einleitung

„sobald die ersten asylanten in die container einziehen, wird es nie wieder wie es gerade is..ich habe echte angst um viele anwohner, besonders die älteren und kinder. […] schon alleene wenn hundebesitzer mit ihren hunden ne runde gehn und dat in den wald hinterm sportplatz. dat traut sich doch garkeener mehr. […] ick weiss garnicht ob ick traurigkeit oder hass empfinde.“

Zitat aus einer Facebook-Gruppe, November 2014

Bild: Das Kampagnen-Logo der Naturfreundejugend Berlin

In den letzten Monaten hat sich in Berlin eine soziale Bewegung formiert, die massiv gegen die Einrichtung neuer Sammelunterkünfte für Geflüchtete, vor allem gegen die im Ostteil der Stadt geplanten Containerlager, hetzt. Im Rahmen dieser Bewegung kam es neben Online-Aktivitäten auf Facebook, verschiedenen Petitionen und zahlreichen Demonstrationen auch zu Angriffen auf die im Bau befindlichen oder bereits bestehenden Unterkünfte sowie auf Geflüchtete, Journalist_innen und Linke. Parallel stieg PEGIDA in Dresden zu einem bundesweit beachteten Phänomen auf, mit kleineren Ablegern in verschiedenen weiteren Großstädten und beispielsweise mit LEGIDA in Leipzig auch einer radikaleren Abspaltung. Obwohl beide Bewegungen sich offensiv gegen vermeintliche 'Fremde' richten und dabei entschiedene Feindbestimmungen vornehmen, werden immer wieder 'Ängste und Sorgen' - vor vermeintlicher 'Überfremdung' und 'Islamisierung' oder konkreter vor Kriminalität, Schmutz, Lärm, Unordnung und Wertverlust der eigenen Immobilien - als Motive der Teilnehmenden wie auch als Erklärungsansatz von Politiker_innen angeführt. Diese sogenannten 'Ängste und Sorgen' sind jedoch eine Ausdrucksform von Rassismus, wie wir im vorliegenden Text anhand des rassistischen Angst-Diskurs verdeutlichen werden. Wir wollen diesen Diskurs in einen weiteren gesellschaftlichen Rahmen einordnen und werden dazu zunächst einige theoretische Überlegungen zum Konzept der 'Angst' anstellen, ohne jedoch eine inhaltlich umfassende Analyse leisten zu können.

Deutsche Angst und Deutsche Gewalt

In Deutschland scheint es im politischen Diskurs einen besonderen Hang zum Motiv der 'Angst' zu geben. In der Ideologie des Nationalsozialismus wurden Schreckensszenarien von bolschewistischer Bedrohung und jüdischer Weltherrschaft entwickelt, um den Eroberungs- und Vernichtungskrieg zu legitimieren. Die Bundesrepublik, die bereitwillig die Rechtsnachfolge des Deutschen Reiches antrat, hat ihr materielles und teils ideologisches Fundament im Grauen des singulären Massenmordes und dessen Nachwirkungen. Auch in anderen Bewegungen und Debatten wurde 'Angst' als politischer Topos und als Argumentationsmuster wieder aktualisiert, z.B. in der Friedens- und der Anti-AKW-Bewegung der 1980er Jahre als 'Angst' vor einem Wettrüsten bzw. vor einem 'atomaren Holocaust'.

Seit 1989 der Realsozialismus zusammenbrach, wurde die wieder erlangte nationale Größe in Form des Anschlusses der Ost-Bundesländer gefeiert. Die rassistischen Pogrome der frühen 1990er Jahre mit zahlreichen Verletzten und Ermordeten waren ein Ausdruck dessen. Hier wurden rassistische Projektionen von einer vermeintlich furchteinflößenden 'Überfremdung' und ein wahrgenommener kollektiver Privilegien- und Statusverlust artikuliert. Die neue deutsche Volksgemeinschaft formierte sich gegen die vermeintlichen 'Fremden'. Eine politische Folge daraus war die von einer Großen Koalition beschlossene Abschaffung des Asylrechts im Jahr 1992, das als eine Konsequenz aus den Erfahrungen des Nationalsozialismus in das Grundgesetz aufgenommen worden war.

Die Verantwortlichen der Pogrome waren in ihrem Selbstverständnis keine Neonazis, sondern 'normale Bürgerinnen und Bürger'. Spätestens seit dem 'Aufstand der Anständigen' infolge eines antisemitischen Brandanschlags im Jahr 2000 und der darauf folgenden Etablierung einer Zivilgesellschaft gegen Rechts ist es noch stärker verpönt, Nazi zu sein. Keine_r will (mehr) Nazi sein, aber nationalsozialistische Ideologiefragmente kehren in gewandelter Form zurück: als Ressentiments gegen Geflüchtete, Muslim_a, Sinti_ze und Rom_nja, vermeintlich 'Fremde', gegen Israel, gegen Russland, gegen den Westen, gegen die Banken, die Medien.

Angstbürger_innen oder Hassprediger_innen?

In den letzten Jahren konnte sich mithilfe der etablierten Parteien ein rassistischer Mainstream durchsetzen, der nachhaltig die Möglichkeiten des offen Sagbaren erweitert hat. Als Beispiele seien hier Sarrazins Bestseller „Deutschland schafft sich ab“ oder die Kampagne der CSU zur angeblichen „Armutsmigration“ unter dem Slogan „Wer betrügt, der fliegt“1  genannt. Alle Studien der letzten Jahre zeigen, dass rassistische Ressentiments gegen Geflüchtete, aber auch gegen Sinti_ze und Rom_nja und Muslim_a weit in der Bevölkerung verbreitet sind.

Darüber hinaus haben sich schwerpunktmäßig in den letzten zwei Jahren neue reaktionäre Bewegungen etabliert, in denen ein mehr oder weniger offener Rassismus zum Ausdruck kommt. Seit 2012/2013 sind insbesondere die „Nein zum Heim“-Initiativen zu nennen, die sich in der Regel gegen geplante Einrichtungen für Geflüchtete wenden. Diese Bewegung agiert beispielsweise seit Herbst 2014 unter dem Label „Handeln statt Klagen“ in den Ost-Berliner Stadtteilen Marzahn, Buch, Köpenick und Hohenschönhausen gegen geplante Containerlager für Asylbewerber_innen. Dazu entstand im Winter 2014 mit PEGIDA zunächst in Dresden und darauf folgend bundesweit eine vordergründig gegen 'Islamisierung' gerichtete Bewegung, in deren Rahmen es zu zahlreichen verbalen Ausfällen und auch körperlichen Angriffen gegenüber (vermeintlichen) Muslim_a und Geflüchteten kommt. Diese Bewegungen verknüpfen verschiedene rassistische Diskurse und vereinen ein über organisierte Neonazis hinausgehendes breites gesellschaftliches Spektrum. 

In deren Positionen werden Ressentiments verbreitet, die den altbekannten Codes des Rassismus entsprechen: die Geflüchteten werden als kriminell, laut, unordentlich, schmutzig und unangepasst fantasiert. Meist wird in kulturalistischer Manier mit fehlender Vereinbarkeit der 'Mentalitäten' und mit kultureller Differenz argumentiert. Das Anwachsen der Teilnehmer_innenzahlen der PEGIDA- Demonstrationen bis auf 20.000 Personen macht deutlich, dass wir von einer rassistischen Massenbewegung sprechen müssen. Eine sonst politisch passive Mehrheit hat eine Ausdrucksform gefunden.

Auffällig ist, dass diese Mobilisierungen neben Neid und Wut häufig 'Ängste und Sorgen' als ihre wesentliche Triebfeder benennen. Sie schreiben den Geflüchteten und vermeintlich 'Fremden' eine bedrohliche, angsteinflößende Rolle zu. Diese 'Angst' erstreckt sich von der Bedrohung einzelner Personen, der Entführung und Misshandlung von Kindern, der Vergewaltigung 'deutscher Frauen' hin zum Verlust des eigenen Arbeitsplatzes. Es wird die Angst vor einer vermeintlichen 'Islamisierung' und 'frauenfeindlichen Muslimen' artikuliert, ebenso wie Forderungen an die Politik nach einer strikten Regulierung der Migration. Die 'Angst' der Rassist_innen bezieht sich darüber hinaus auch auf den Wertverlust des eigenen Immobilienbesitzes, die Bedrohung des 'sozialen Friedens' im Stadtteil sowie auf die Furcht vor einer generellen 'Überfremdung' Deutschlands.

In den Argumentationen tritt häufig die Figur des Leides der Kinder auf, die vor den Geflüchteten beschützt werden müssen. Beispielhaft sei dafür ein Kommentar aus einer Facebook-Gruppe zitiert; der Nutzer artikuliert „Angst um die Kinder, Angst um die älteren Mitbürger und Angst um die Behinderten. Wenn so viele verschiedenen Kulturen aufeinander treffen. Was wird dann aus dem friedlichen Köpenick?“. In dem Musikvideo „Für unsere Kinder“ des Nazi-Rappers Villain051, das vor dem in Berlin-Hellersdorf 2013 eingerichteten Lager gedreht wurde, heißt es beispielsweise: „Das ist für unsere Kinder / sie sollen nicht leben in Ketten / ohne Angst vor dem was kommt / ohne Träänen“. Eine Teilnehmende der Marzahner Montagsdemonstrationen erklärte: „Die Asylanten sind zu 90 Prozent Kriminelle. Wir haben Angst um die Kinnnn-deeeer“2 . In den einschlägigen Facebook-Gruppen zirkulieren immer wieder absurd anmutende Gerüchte über Kindesentführungen durch Geflüchtete oder über Asylsuchende, die Kinder aus den Fenstern ihrer Unterkünfte werfen. Die aggressive Argumentation mit dem Wohl der Kinder und die oft an infantile Schauermärchen erinnernden Facebook-Fantasien und -Gerüchte legen nahe, dass die Rassist_innen sich selbst mit den Kindern und deren Hilflosigkeit und Reinheit identifizieren. Als Inbegriff von Unschuld funktioniert das Motiv des Kindes als anschlussfähige Argumentationsstrategie, die keiner weiteren Erklärung bedarf.

Häufig geforderte bessere Informationen durch die Politik, etwa in Form von Veranstaltungen von Anwohner_innen, können diesen rassistischen Projektionen nichts entgegen setzen, denn Rassismus ist resistent gegenüber objektiv überprüfbaren Argumenten. Die Rassist_innen projizieren auf die Geflüchteten all das, was nicht mit 'deutschen Werten' von Ordnung, Sauberkeit, Sicherheit und Leistung vereinbar scheint: Müßiggang, Genuss, Sich-gehen-lassen. "Nicht Migrantinnen und Migranten im Allgemeinen werden abgelehnt, viele Deutsche denken nun: Die bringen uns was. Aber jene, die die Phantasie auslösen, sie seien grundlegend anders oder hätten ein gutes Leben ohne Arbeit, ziehen die Wut auf sich“3 . Andererseits symbolisieren die Geflüchteten den jederzeit möglichen Verlust der Autonomie, der in der kapitalistischen Krise an Wahrscheinlichkeit zugenommen hat: den Verlust von Privilegien und das Zurücksinken auf den rechtlosen Zustand des 'Flüchtlings'. Was die Rassist_innen als 'Angst' artikulieren, sind keine Ängste, sondern tatsächlich ihre geheimen Sehnsüchte danach, sich Gehen zu lassen, aber auch ihre Gelüste nach Unterdrückung der eigenen, 'deutschen Kinder und Frauen', wie sich u.a. an den wiederkehrenden anti-feministischen Bestrebungen von Pegida erkennen lässt. Andererseits repräsentieren die Geflüchteten all das, was den Rassist_innen selbst widerfahren kann, wenn die gesellschaftliche Autorität – der Staat, das Kapital – die schützende Hand über ihnen wegzieht. Diese reale Angst verdrängen die Rassist_innen jedoch. Je weniger die Rassist_innen diese ambivalente Mischung aus Lust und Angst an sich selbst zulassen, desto vehementer projizieren sie die Angst-Lust auf die 'Fremden'.

Auch wenn es im kapitalistischen System nachvollziehbare Gründe gibt, Angst zu haben, wollen wir an dieser Stelle noch einmal deutlich sagen: Bei der von den Bewegungen politisch artikulierten 'Angst' handelt es sich nicht um einen unvermeidlichen Automatismus angesichts übermächtiger gesellschaftlicher Strukturen. Was sich als 'Angst' vor Geflüchtete oder vor einer vermeintlichen 'Islamisierung' ausdrückt, ist kein Akt der Defensive oder der Verunsicherung. Im Motiv der 'Ängste und Sorgen' drückt sich dagegen eine autoritäre Dynamik aus, in der die Rassist_innen als eigenverantwortliche Akteur_innen auftreten. Jede_r kann sich entscheiden, für ein besseres Leben für sich und Andere einzutreten, für eine Solidarisierung mit Geflüchteten, Verfolgten und Ausgeschlossenen – oder dafür, diese Verfolgung noch zu verstärken und zu totalisieren im autoritären Treten nach ganz Unten. Darüber hinaus wird im Motiv der 'Ängste und Sorgen' eine Argumentationsstrategie deutlich, die als irrationales Element keiner weiteren Begründung bedarf und einen Raum für rassistische Argumentationen und Handlungen schafft. Wie nicht zuletzt die Kumpanei mit organisierten Nazis und die vor Hass triefenden Parolen der Bürgerinitiativen zeigen, sind es auf Mord und Totschlag zielende Aggressionen.

Kapital macht Angst

Die bürgerlich-kapitalistische Gesellschaft gibt ihren Mitgliedern allen Anlass zur Angst. Einerseits sollen die Subjekte prinzipiell autonom handeln, andererseits gilt diese Autonomie nur, solange man aktiv in den Prozess der kapitalistischen Verwertung einbezogen ist. Gesellschaftlich weniger verwertbare Personen werden im besten Falle mitgeschleift – als Empfänger_innen von Sozialleistungen – oder in Sondereinrichtungen wie der Psychiatrie, dem Gefängnis oder dem Heim verwahrt. Am Beispiel von Wohnungslosen oder seit einigen Jahren auch Pfandsammler_innen wird den Menschen vor Augen geführt, wie tief und nachhaltig der soziale Absturz sein kann. Der Zustand eines andauernden Kampfes von Jede_r gegen Jede_n produziert eine weit ausgreifende, abstrakte Angst vor einem möglichen gesellschaftlichen Ausschluss. Damit ist nicht allein die Angst vor materiellem Verlust gemeint, sondern eine generalisierte Angst, als vereinzeltes Individuum durchgestrichen zu werden, als Subjekt aus der Gesellschaft exkludiert und damit sozial und psychisch zerstört zu werden. Doch diese vor den Hintergrund einer kapitalistischen Logik berechtigten Ängste drücken sich oft nicht in einer umfassenden Kritik der kapitalistischen Verhältnisse aus, sondern führen im Gegenteil eher noch zu einer Identifizierung mit der angst-erzeugenden Gesellschaft.

Diese autoritäre Dynamik lässt sich mit dem von der Kritischen Theorie erarbeiteten Konzept des Autoritären Charakters erklären. Nach diesem Konzept haben Erwachsene Angst, weil sie nicht voll Verantwortliche ihrer sozialen und wirtschaftlichen Lage sind. Sie geben diese Angst an ihre Kinder weiter. Bereits als Kind werden die äußeren Autoritäten in das eigene Gewissen übernommen – von der Psychoanalyse Über-Ich genannt. Im Über-Ich ist mit den kapital-konformen und gewaltförmigen Normen von Produktivität, Anpassung und Unterwerfung auch die Angst vor den Autoritäten gespeichert. Die Autorität, von der man existentiell abhängig ist, wird so ins eigene Selbst integriert. Gesellschaftliche Zwänge - „Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen!“ - werden in der Regel als eigene Werte erfahren: „Ich liebe meine Arbeit“. Aggressive Impulse werden aus unbewusster Angst nicht gegen die externen Autoritäten gerichtet, sondern verdrängt und auf 'Andere', als schwächer Wahrgenommene projiziert, um nicht in Konflikt mit der Autorität zu gelangen: „Muss man den Hass gegen den Stärkeren verdrängen, so kann man doch die Grausamkeit gegen den Schwachen genießen.“4 Diese Projektionen finden ihren Ausdruck in Aggressionen gegenüber vermeintlich 'Anderen' und Nicht-Angepassten. Im Sinne einer konformistischen Revolte gehen diese 'besorgten Bürger und Bürgerinnen' auf die Straße und rufen nach der Autorität des Staates. Das Beispiel PEGIDA macht dabei diese Ambivalenz deutlich: Die Rassist_innen treten einerseits offensiv und aggressiv gegen 'die da oben' auf und fordern gleichzeitig ein hartes Durchgreifen von Staat und Politik. In den Protesten formiert sich die imaginierte Volksgemeinschaft gegen eine vermeintliche 'Überfremdung'.

Krise als Angst-Katalysator

In Krisenzeiten treten gesellschaftliche Tendenzen oft drastischer zutage als zuvor. Die anhaltende globale Krise hat der deutschen Volkswirtschaft bisher nicht geschadet, im Gegenteil: Deutschland konnte sowohl materiell wie auch politisch von der Krise profitieren und seine Vorherrschaft in Europa ausbauen. Dennoch wird anhand der destabilisierten Ökonomien insbesondere in Süd-(Ost-)Europa und daran geknüpfter Migrationsbewegungen ein rassistisches Bedrohungsszenario entwickelt. Auch psychosozial gab es einen Gewinn durch die Erniedrigung der Krisenverlierer_innen. Am Beispiel der Figur der 'faulen Griechen' wird deutlich, wie diese als eine rassistische Projektionsfläche funktioniert, über die Maßregelungen gefordert und legitimiert werden. Zugleich wurde durch die Krise die Fragilität ganzer, zuvor stabil geglaubter Volkswirtschaften bzw. des kompletten kapitalistischen Systems für alle offenkundig. Auch die Ohnmacht der etablierten Politik und sogar der USA als letzter verbliebener Supermacht wurde deutlich. Die Krise entwickelte sich angesichts des entfesselten destruktiven Potenzials zur angsteinflößenden Drohroutine, um die Bevölkerung gegenüber einer scheinbar alternativlosen Politik gefügig zu machen. Mehrarbeit, Ausbeutung und eine weitere Verschlechterung der Lebensbedingungen werden somit begründbar.

Obwohl Deutschland trotz Krise Exportweltmeister bleiben konnte, wird den Einzelnen durch den Krisen-Diskurs noch deutlicher als zuvor vor Augen geführt, dass sie nichts gelten, sondern jederzeit dorthin geschleudert werden können, wo es der gesellschaftliche Bedarf oder auch nur ein_e Sachbearbeiter_in will. Der Krisen-Diskurs trifft auf eine postfordistische Gesellschaft, die keiner großen gesellschaftlichen Erzählung mehr folgt. Die fordistischen Versprechungen vom Massenwohlstand sind überholt und angesichts fehlender Systemkonkurrenz zum Realsozialismus unnötig. Die fordistischen Strukturen von Kleinfamilie, paternalistischem Wohlfahrtsstaat, Massenproduktion in der Fabrik, Massenmedien, Volksparteien und mitgliederstarken Gewerkschaften sind erodiert. Durch den Abbau des Sozialstaates und die geforderte Flexibilisierung der Biographien werden früher scheinbar garantierte Sicherheiten zurückgenommen, Besitzstände werden prekärer, existentielle Bedrohungen häufen sich. Die daraus resultierende Wahrnehmung einer Fragmentierung und Entsolidarisierung der Gesellschaft – wie auch immer sie vorher tatsächlich beschaffen gewesen sein mag – eröffnet einen Raum für rassistische, sozialchauvinistische und nationalistische Diskurse der Abschottung. Das Motiv der 'Angst' erfährt eine Aktualisierung, die oben beschriebene autoritäre Dynamik verschärft sich.

Rassist_innen oder Rassismus ernst nehmen?

In der Öffentlichkeit werden die rassistischen Bewegungen vor allem auf die Artikulation von 'Ängsten und Sorgen', die es ernst zu nehmen gälte, reduziert. Partei- und medienübergreifend ist die Rede von der/den ‚verständlichen‘ „Angst vor jeder Veränderung“5 (Yasmin Fahimi), „soziale[n] Ängste[n]“6 (Wolfgang Schäuble), „Angst vor dem Fremden und Sorgen um die eigene Zukunft“7 (Süddeutsche Zeitung) und der „Angst [...], die Heimat hier zu verlieren“8 (Bischof Heiner Koch). In den Reaktionen der Parteien zeigt sich ein Verständnis dieser 'Ängste und Sorgen', welches inhaltlich begründet wird. Die Konservativen argumentieren kulturalistisch mit einer scheinbar natürlichen Angst vor dem Fremden. Von der Oranienburger CDU-Vorsitzenden Nicole Walter-Mundt werden die Rassist_innen mit kleinen Kindern verglichen: „Es ist normal, dass Ängste entstehen, wenn verschiedene Kulturkreise aufeinandertreffen. […] Jeder der Kinder hat, weiß, dass Ängste, die nicht besprochen werden, eher größer als kleiner werden."9 Die Ängste werden zum Teil als falsch, aber verständlich dargestellt, zum Teil aber auch für unabwendbar erklärt: „Natürlich gibt es Ängste und Vorbehalte bei Anwohnern, wenn ein Heim in der Nachbarschaft neu aufgemacht wird“ (Berliner Integrationsbeauftragte)10 . SPD-Chef Sigmar Gabriel setzte sich für den Dialog mit den Demonstrant_innen ein, unter denen gäbe es "viele, die verunsichert sind und mitlaufen, weil sie sich mit ihren diffusen Ängsten vor einer `Überfremdung` nicht ernst genommen fühlen von der Politik"11 . Heinz Buschkowsky fasst diese Spielart des Diskurses so zusammen: "Fakt ist, dass Menschen vor Fremdem Angst haben, das ist überall auf der Welt so […] und nun müsste sich die etablierte Politik diesen Ängsten und Sorgen der Menschen annehmen.“12 Die Linkspartei dagegen legitimiert nicht diese rassistischen Äußerungen, hantiert aber mit sozialpolitisch argumentierenden und damit verkürzenden Erklärungen des Phänomens. Der Rassismus wird so ebenfalls nicht benannt. Gregor Gysi etwa sagte: „Nicht selten ist die Angst vor einer so genannten Islamisierung verbunden mit sozialen Ängsten, mit der Unsicherheit hinsichtlich des Arbeitsplatzes, der Bezahlung der Miete und der Energie. Rechtsextremistische und rechtspopulistische Parteien benutzen diese Ängste für sich, um Stimmung gegen Flüchtlinge […] zu machen.“13 Auch die Rede von der „eigene[r] Abstiegsangst“14 (Andreas Zick) oder der „Angst, dass am Ende des Monats zu wenig Geld da ist"15 (niedersächsischer Innenminister  Boris Pistorius) laufen Gefahr, rassistische Äußerungen und Handlungen als zwar dumme aber verständliche Reaktionen auf sozialen Abstieg zu verharmlosen. In diesen verschiedenen Varianten des argumentativen 'Ernst-Nehmen' der 'Ängste und Sorgen' werden der dahinterstehende Rassismus in seiner aggressiven Äußerungsform und die Konsequenzen für die Betroffenen nicht wahr genommen. Eine Kritik der Bewegungen wurde erst öffentlich formuliert, als die Größe der PEGIDA-Demonstration die 10.000 Teilnehmer_innen überschritten hatte.

Mit dem Motiv der Angst wird eine Politik des (scheinbaren) Gefühls installiert, wie sie auch schon in anderen Bereichen regiert – man denke etwa an den Diskurs um die 'gefühlte Sicherheit', mit dem Polizeipräsenz und Überwachung legitimiert wird. Über das Angst-Motiv können die Themen Asyl und Islam platziert werden und den Akteur_innen der „Nein zum Heim“-Initiativen bzw. PEGIDA wird in den Medien eine Plattform geboten. Zugleich wird eine Trennung vorgenommen zwischen „rechtsextremistische[n] Rattenfänger[n] mit ihren dumpfen Parolen“16 (Bayerns Innenminister Joachim Herrmann) und 'normalen Bürgern'. Die Bürger_innen und ihre 'Ängste und Sorgen' erscheinen als authentisch und legitim, als sogenannte Mitte der Gesellschaft, die von den Extremist_innen und organisierten Nazikadern verführt wird: „[D]ie Sorgen vieler [werden] von wenigen ausgenutzt und instrumentalisiert“17 (stellvertretender sächsischer Ministerpräsident Dulig). Mithilfe der Extremismustheorie wird Rassismus in Deutschland mal wieder als Problem eines rechten Randes verkannt. Auch der Marzahner Bürgermeister Komoß „bedauer[t], dass sich verängstigte und aufgewühlte Bürger vor den Karren von organisierten Rechtsextremen spannen lassen."18 Es wird ein Bild von verunsicherten Bürger_innen gezeichnet, die nicht eigenverantwortlich handeln können. Dieses Motiv nimmt die Menschen als bewusst politisch Handelnde – entgegen allen Redens - jedoch nicht ernst. Die Politik inszeniert sich als haltgebende Führungsmacht, als gute und reife Autorität und die Demonstrant_innen von PEGIDA werden zum Dialog eingeladen. Einerseits findet damit eine Infantilisierung der Rassist_innen statt, andererseits die Schaffung eines Raums für rassistische Argumentationen. Neben den politischen Forderungen, mit den Teilnehmer_innen der PEGIDA-Demonstrationen zu sprechen, erhalten deren rassistische Argumentationen beispielsweise auch durch die zunehmende Präsenz in den Medien oder der Zusage der sächsischen Politik für eine noch restriktivere Asylpraxis eine Resonanz und Wirkmächtigkeit. Mithilfe des Angst-Diskurses kann von der etablierten Politik zwischen einer strukturell rassistischen Staatspraxis, den Bewegungen und nach einer Radikalisierung gierenden Rassist_innen wie auch den gleichzeitigen ökonomischen Forderungen nach einer verstärkten Zuwanderung von Fachkräften vermittelt werden.

Gegen den rassistischen Nonsens!

Während sich ganz Deutschland um die 'Ängste' der Rassist_innen sorgt, sind die Stimmen der in den letzten Jahren entstandenen selbstorganisierten Bewegung von Geflüchteten, wie beispielsweise in der Gerhart-Hauptmann-Schule in Berlin, kaum noch zu hören. Auch die Perspektiven der Geflüchteten, die in den Berliner Containerlagern leben (werden), oder der Migrant_innen, die mit PEGIDA leben müssen, sind medial kaum präsent. Die 'Sorgen und Ängste' der weißen deutschen Bevölkerung sind ein Hohn gegenüber der aktuellen Situation von Menschen, die als 'fremd' wahrgenommen werden. Das derzeitige gesellschaftliche Klima sorgt dafür, dass sie Angst um ihr Leben haben müssen. „Das Gefühl ist nackte Angst. Alle Flüchtlinge kennen die Geschichten von brennenden Asylbewerberheimen, viele machen Gewalterfahrungen. Deshalb verlassen Flüchtlinge oft nur in Gruppen die Heime, weil sie Angst haben.“19 Geflüchtete aus Dresden berichten: "Ein Auto hält vor der Unterkunft. Ein Typ reißt die Türe auf und schreit: In drei, vier Tagen brennt das Wohnheim!", "Alleine gehen wir nicht mehr auf die Straße. Nicht erst seit PEGIDA, auch vorher haben wir uns nur zu dritt auf die Straße getraut"20 . Im Dezember 2014 organisierten Teilnehmer_innen der PEGIDA Demonstration in Dresden im Anschluss daran eine rassistische Hetze auf Jugendliche - unter Zusehen 'normaler Bürger_innen' und der Polizei. Im November wurde aus einer „Nein zum Heim“-Demonstration ein bereits länger bestehendes Lager im Köpenicker Allendeviertel angegriffen, woraufhin die Bewohner_innen in Panik gerieten und sich im obersten Stockwerk verbarrikadierten – eine erschreckende Parallele zu Rostock-Lichtenhagen. Ein aus dem Irak Geflüchteter beschrieb seine Gefühlswelt im Anschluss an den Köpenicker Angriff: „Meine Frau wurde in meiner Heimat ermordet, mein Haus wurde zerbombt, ich bin der Gewalt und Angst entkommen und will zusammen mit meinem kleinen Kind hier in Frieden leben, und nun sind wir schon wieder bedroht und in Angst und Schrecken.“21 Doch diese Ängste bleiben häufig unbeachtet. Weder von der Presse noch von der Politik wurde etwa der Vorfall in Köpenick aufgegriffen. Die Angst der Geflüchteten wird damit unsichtbar gemacht und durch die mediale Ignoranz und den Mangel an klaren politischen Signalen gegen erneute Angriffe der Rassist_innen noch weiter verstärkt.

Wir solidarisieren uns mit den Geflüchteten gegen die außerparlamentarischen rassistischen Bewegungen und stellen uns    grundsätzlich gegen die staatliche und gesellschaftliche Sortierung von Menschen nach Kultur, Nation oder Staatsbürgerschaft. Wir betonen, dass für uns keine Hierarchie von Fluchtgründen existiert und wenden uns deutlich gegen eine Spaltung in Polit- vs. Wirtschafts- bzw. 'wahre' versus illegitime Geflüchtete. Auch wer betont, dass niemand freiwillig seine oder ihre Heimat verlässt, sondern nur in existentieller Not, spielt schon das Spiel des Staates und des Mobs, die allzeit auf der Suche nach vermeintlichen 'Asylbetrüger_innen' sind. Aus unserer Sicht ist es weder sinnvoll, implizite Normen für eine erlaubte Migration aufstellen, noch ist es emanzipatorisch, Geflüchtete als bloße Opfer darstellen, um das paternalistische Mitleid einer hartherzigen Bevölkerung zu wecken. Der militarisierten und bürokratisierten Fluchtabwehr, wie wir sie in Deutschland und Europa mit all ihren tödlichen Konsequenzen erleben, setzen wir die Forderung nach globaler Bewegungsfreiheit für Alle entgegen. Eine Gesellschaft, in der jede_r dort, wo sie möchte, ein gutes Leben führen kann, wird es jedoch nur jenseits von Nationalstaat und kapitalistischen Zwängen geben.