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Repression gegen Antifas in Griechenland

Einleitung

1. November 2019: In Athen kommt es zu einem Brandanschlag auf die Zentrale der neonazistischen Partei „Chrysi Avgi“, der unter anderem Schäden am Büro des Generalsekretärs der Partei verursacht. Den Ermittlungsakten zufolge verfolgen daraufhin Polizisten einer „Anti-Terror­is­mus-­Einheit“ die vermutlichen Täter auf der Flucht mit ihren Autos. Die Autos kollidieren, was zum Ende der Verfolgung führt. Der Vorfall diente den staatlichen Behörden dazu, ihre laufende Kampagne gegen die anarchistische Bewegung auszuweiten und führte zur Verhaftung von zwei Aktivisten, die in Untersuchungshaft genommen wurden.

Foto: Indymedia Athen

Ein Foto zeigt den ND-Funktionär Mavroudis „Makis“ Voridis zu seiner Studienzeit mit einer offen getragenen Axt auf Patrouille gegen linke und sozialdemokratische Kommiliton*innen.

Zunächst erschufen die Behörden gemäß Paragraph 187a des griechischen Strafgesetzbuches (Anti-Terrorismus­ge­setz) eine „terroristische Vereinigung“ mit dem Namen „Taksiarhia“ (Brigade). Diese soll im März 2017 mit dem Angriff auf die (damalige) Zentrale der "Chrysi Avgi" unter dem Namen „Pavlos Fyssas Brigade“ erstmals in Erscheinung getreten sein. Nach Aktenlage werden der Organisation in den folgenden Jahren insgesamt sechs Angriffe auf die Infrastruktur und Personen der Neonaziszene zugerechnet.

Dabei wählten die Strafverfolgungsbehörden unter einer Vielzahl von Aktionen der letzten Jahre, die zu einer erheblichen Schwächung der neonazistischen Bewegung geführt haben, kurzerhand diejenigen wenigen aus, in deren politischer Verantwortung der Name „Brigade“ auftauchte. Allein dieses Wort diente als Beleg dafür, die Existenz einer Gruppe zu inszenieren und die Beschuldigten wegen „Mitgliedschaft und Beteiligung an einer terroristischen Organisation“ mit jahrzehntelangen Haftstrafen zu konfrontieren. Die Anklageschrift benennt neben dem Angriff auf die "Chrysi Avgi"-Zentrale drei weitere Angriffe auf lokale Parteistrukturen und Kader im Athener Stadtteil Aspropyrgos, die zur endgültigen Schließung der Büros geführt haben. Die Absender dieser erfolgreichen Interventionen trugen verschiedene Namen wie die „Sahzat Loukman Brigade“, die „Petrit Zifle Brigade“ und die „Abd Elsalam Brigade“. Zu einem Brandanschlag auf die lokale Vertretung von "Chrysi Avgi" in der Stadt Menidi bekannte sich eine „Durruti Brigade“. Dieser führte zur endgültigen Einstellung der dortigen Parteiaktivitäten. Für die Zerstörung des Büros des Vorsitzenden der Partei in Deligiannis hat bisher noch niemand die politische Verantwortung übernommen.

Fast zwei Monate danach wurden die beiden Aktivisten festgenommen. Als Beweis wird angeführt, dass sie an den Tagen, an denen die Brandanschläge stattgefunden haben, Autos für den persönlichen Gebrauch angemietet hatten. Daneben werden in der Akte anonyme Telefonanrufe ohne Anruferidentifikation als Grund für die Anklage angeführt, die aber nicht weiter belegt werden können. Nach der Festnahme betonten die Behörden gegenüber der Presse die Verwicklung der beiden Aktivisten in städtische Guerillagruppen, sodass diese der Öffentlichkeit als Mitglieder einer antiautoritären Gruppe präsentiert wurden, die im Bezirk Exarchia aktiv sein soll. Von den Medien bereits als „Bombenleger in den Büros von Golden Dawn“ vorverurteilt, wurden sie dem Untersuchungsrichter als gefährliche Terroristen von Beamten der Anti Terror Einheiten (EKAM) in kugelsicheren Westen vorgeführt. Das Gericht reagierte wie bestellt und ordnete Untersuchungshaft an. Durch einen internationalen Spendenaufruf konnte erreicht werden, die geforderte Kautionssumme in Höhe von 15.000 Euro pro Person zu hinterlegen. Seitdem befinden sich die Beschuldigten wieder auf freiem Fuß, müssen sich aber jede Woche bei einer Polizeistation in ihrer Nachbarschaft melden. Mit den hohen Kautionsforderungen sollten die politischen Strukturen vor Ort finanziell ausgeblutet und geschwächt werden. Auch wurden die Bankkonten der beiden Aktivisten eingefroren, die nun nicht mehr für ihre Arbeit bezahlt werden können. Ein Termin für die Verhandlung ist bisher nicht festgelegt worden. Es ist zu erwarten, dass diese frühestens in einem, eventuell auch erst in drei Jahren beginnen wird.

All dies geschieht in einem gesellschaftlichen Kontext, in dem der Gerichts­prozess gegen "Chrysi Avgi" kurz vor dem Ende steht und die Staatsanwältin Adamantia Oikonomou - nachdem jahrelang versucht worden war, die Verstrickungen der Partei in die Ermordung des antifaschistischen Rappers Pavlos Fyssas nachzuweisen - plötzlich der Argumentation der Parteiführung von "Chrysi Avgi" folgt, nur noch den Einzeltäter Georgios Roupakias wegen Mordes verurteilen will und den Freispruch der mitangeklagten Parteirepräsentanten fordert. Darüber hinaus zögert sie nicht, in ihrem Plädoyer, das manchmal eher der Übernahme der politischen Verantwortung für die Partei ähnelt, deren rassistisch motivierte Armenspeisungen „nur für Griechen“ mit den Worten „Immerhin haben sie Griechen was zu essen gegeben“ zu kommentieren. All dies geschieht in einer Zeit, in der die neue Regierung der „Nea Dimokratia“ (Neue Demokratie, ND) den Armen und Ungehorsamen durch Häuserräumungen, erniedrigende Behandlung und Folter in den Polizeistationen und im Stadteil Exarchia ihre Zähne zeigt.

Mit einer beispiellosen Repressionskampagne der neuen Regierung werden unter dem Banner „Recht und Ordnung“ der Polizei viele zusätzliche Ressourcen und Technologien zur Verfügung gestellt, um die anarchistische Bewegung zu zerschlagen. Eine Zeit, in der sich die DELTA-Polizeieinheiten auf den Straßen wieder sichtbar ermutigt fühlen, Migra­n­t*­innen und Anarchist*innen offen zu schikanieren und sich dabei auf Straffreiheit verlassen können. Die unter Syriza suspendierte DELTA-Motorradeinheit der Polizei, die früher Demonstrant*innen in Exarchia terrorisierte, wurde unter der neuen Regierung wiedereingeführt. Regierungspräsident Kyriakos Mitsotakis hatte angekündigt, 1.500 neue Polizisten einzustellen, um die DIAS und die DELTA-Einheiten zu verstärken, deren Ausstattungen zu erneuern und neue Streifenwagen und Motor­räder anzuschaffen. Der jüngste Einsatzplan der Polizei ELAS zur „Prävention und Bekämpfung der Kriminalität in Exarchia“ sieht vor, dass insgesamt 90 Polizeibeamte, zusammengesetzt aus verschiedenen Einheiten wie OPKE (Einheiten der Kriminalitätsbekämpfung), den Motorradeinheiten DIAS und „Action“ sowie Einheiten zur Bekämpfung der Drogen- und „Ausländerkriminalität“ täglich in drei Schichten durch das Viertel patrouillieren. Neben Polizeihunden sollen auch Drohnen zum Einsatz kommen.

Die „Nea Dimokratia“ erklärt, sie würde so die „Normalität“ im Land wiederherstellen, betreibt aber eine politische Gegnerbekämpfung. Wenig verwunderlich, denn der stellvertretende ND-Parteivorsitzende kommt ursprünglich von der extrem rechten Partei LA.O.S. Auch der ND-Fraktionsvorsitzende Mavroudis „Makis“ Voridis ist ehemaliger Anführer mehrerer (extrem) rechter Gruppen und Parteien und war zuvor Minister für LA.O.S. Fotos belegen: Als Jugendführer der Partei des ehemaligen Diktators Georgios Papadopoulos patrouillierte er zu seinen Studienzeiten mit einem Schlägertrupp mit einer offen getragenen Axt auf der Suche nach linken und sozialdemokratischen Kommiliton*innen.

Durch die Verabschiedung von Gesetzen, die das Streik- und Demonstrationsrecht sowie das Recht auf Universitätsasyl beschneiden und abschaffen, versucht die neue Regierung in wenigen Monaten all das zurückzugewinnen, was in Jahrzehnten des Kampfes mit Aufwand und Opfern gewonnen wurde. Sie startet einen Frontalangriff auf soziale Errungenschaften und betreibt eine Politik der Ausgrenzung und Abschreckung gegenüber Geflüchteten und Migrant*innen, die sich aus den Innenstädten verbannt und in Lagern inhaftiert gegen die menschenunwürdigen Lebensbedingungen sowie gegen Angriffe der Aufstandsbekämpfungseinheiten der MAT und Neonazis auf den Inseln zur Wehr setzen. Gleichzeitig forciert sie die Entwicklung in Richtung einer autoritären Gesellschaft. Aktivist*innen, Zivi­list*innen und politische Räume werden überwacht, Strafregister ausgeweitet und Feindbilder geschaffen, um den Widerstand zu brechen und Angst und Konservatismus in der Gesellschaft zu fördern.

Gefangene mit lebenslanger Freiheitsstrafe sollen zukünftig nicht mehr entlassen werden dürfen, die Mindeststrafe für eine Verurteilung wegen „Terrorismus“ wurde von 17 auf 22 Jahre erhöht. Daneben wurden u.a. die Bedingungen für Haftentlassungen sowie Strafen für Bewährungsverstöße und „Unruhen“ verschärft. In diesem Kontext wird deutlich, dass die Verfolgung der beiden Antifaschisten exemplarisch für den Kampf der neuen Regierung gegen die Errungenschaften der anarchistischen und antifaschistischen Bewegung steht. Die internationale Solidarität ist daher unverzichtbar.