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Rechte Inszenierung auf der Frankfurter Buchmesse

Danijel Majic
Einleitung

Einen Tag nach den Tumulten bei der Frankfurter Buchmesse fällt das Fazit der Tageszeitung „Die Welt“ eindeutig aus. Was sich am Buchmesse-Samstag in Messehalle 4 abgespielt habe, sei nicht weniger als ein „Worst-Case-Szenario“, lässt Feuilleton-Redakteur Marc Reichwein seine Leser wissen. Für den Welt-Kommentator ist auch klar, wer für das Debakel die Verantwortung trägt. Niemand geringeres als „die Antifa“ habe versucht, einen Auftritt des thüringischen Landtagsfraktionschefs der AfD, Björn Höcke, zu „verunmöglichen“.

Foto: Protestfotografie Frankfurt

Der AfD-Politiker Björn Höcke (links) und der rechte Verleger Götz Kubitschek auf der Frankfurter Buchmesse.

Für Reichwein stellt dies den Tiefpunkt einer Auseinandersetzung dar, die sich bereits im Vorfeld der diesjährigen Frankfurter Buchmesse abgezeichnet hatte. Zum ersten Mal seit mehr als einem Jahrzehnt war der neurechte „Antaios-Verlag“ wieder mit einem eigenen Stand auf der weltgrößten Bücherschau vertreten. Neben der Präsentation der eigenen Werke hatte der Verlag — der als publizistischer Arm der neurechten Denkfabrik „Institut für Staatspolitik“ (IfS) fungiert — eine Reihe von Veranstaltungen mit eigenen Autoren angekündigt. Die „Frankfurter Rundschau“ prognostizierte bereits im August ein „Schaulaufen der Rechten“.

Verlorene Hegemonie

Bei eben diesem „Schaulaufen“ kam es schließlich zum von der „Welt“ beklagten „Worst-Case-Szenario“. Als am 15. Oktober 2017, dem Buchmesse-Samstag, Martin Sellner und Mario Müller die Bühne betreten, sehen sie sich unvermittelt mit dem Protest von etwa 200 Gegendemonstranten konfrontiert. Fast eine Stunde lang kommen die beiden prominenten Köpfe der völkischen Identitären trotz Einsatzes von Mikro- und Megafonen kaum zu Wort, weil sie permanent vom Chor der Gegendemonstranten übertönt werden. Ihre Versuche, dies mit Sprechchören wie „Europa — Jugend — Reconquista“ zu kontern, gehen kläglich unter. Dabei hatte es an diesem Buchmesse-­Samstag zunächst so ausgesehen, als ob die von Verleger Götz Kubitschek inszenierte Machtdemonstration der „Neuen Rechten“, zu deren Bühne die Frankfurter Buchmesse werden sollte, wie geplant vonstatten gehen würde. Zusammen mit dem AfD-Rechtsaussen Björn Höcke war Kubitschek über die Buchmesse gezogen — begleitet von einem Tross von rund 100 Anhängern. Ab 15 Uhr war die mittelgroße Bühne des Forums Wissenschaft und Bildung in Halle 4 für die Veranstaltungen des Antaios-Verlages reserviert.

Höckes Auftritt war kurz. Im Vorfeld der Präsentation des Buches „Mit Linken leben“ der Antaios-AutorInnen Martin Semlitsch (alias Martin Lichtmesz) und Caroline Sommerfeld darf er erklären, dass seiner Überzeugung nach eine Kulturwende nach Rechts bevorstehe und eine Diskussion mit „fanatisierten Linken“ keinen Sinn mache. Bereits seine Ansprache und das anschließende Podium von Semlitsch und Sommerfeld wurden von Zwischenrufen unterbrochen. Angefeuert von Martin Semlitsch kontert das Publikum diese Einwürfe immer wieder mit dem Sprechchor „Jeder hasst die Antifa“. Es kommt zu ersten Handgreiflichkeiten zwischen Antai­os-Unterstützern und Gegendemonstranten. Fast zwei Stunden lang scheint es so, als hätte die extreme Rechte die Hoheit über Halle 4.

Opferrolle und Raumnahme

Bereits während der drei ersten Messetage — die Fachbesuchern vorbehalten sind — hatten Antaios-Verleger Kubitschek und seine Mitarbeiter versucht, die Messe für ihre politische Selbstinszenierung zu nutzen. Mitarbeiter und Familienmitglieder Kubitscheks erhielten ein Podium, auf denen über den „Rechten Umgang mit den Rechten“ diskutiert wurde. Die Publizistin Ellen Kositza, Ehefrau Kubitscheks, nutzte den Stand der Amadeu-Antonio-Stiftung, der von der Buchmesse-Leitung schräg gegenüber von Antaios positioniert worden war, als Kulisse für Youtube-Videos.

Kubitschek und seine Anhängerschaft verfolgten während der Messe eine Doppelstrategie. Zum einen versuchten sie sich immer wieder durch demonstrative Auftritte Raum anzueignen. Gleichzeitig inszenierten sie sich als Underdogs, die mit ihrem Auftritt das „linke Establishment“ in Verlegenheit bringen. Am deutlichsten wurde dies immer dann, wenn Kubitschek auf die „Amadeu-Antonio-­Stiftung“ zu sprechen kam, die er als „staatlich eingefettete“ Stiftung bezeichnete — von der Buchmesse-Leitung eingeladen, um seinen „kleinen Verlag“ in Schach zu halten.

Die Einladung der „Amadeu-Antonio-­Stiftung“ dürfte einer der wenigen klugen Schachzüge der Buchmesse-Leitung gewesen sein, die ansonsten im Umgang mit der verstärkten Präsenz extrem rechter Publizisten keinen klaren Kurs fand. Der „Börsenverein des Deutschen Buchhandels“ und seine Tochtergesellschaft, die „Buchmesse GmbH“, hatten sich nach Bekanntwerden der Teilnahme von Antaios auf die Position zurückgezogen, dass die Messe auch „missliebigen“ Positionen Raum bieten müsse, sofern diese nicht strafrechtlich relevant oder klar verfassungsfeindlich sind. Dazu zählte neben dem Antaios-Auftritt auch die Präsentation zweier Bücher aus dem Programm der Stiftung „Europa Terra Nostra“, die von einem Zusammenschluss von 14 neonazistischen Parteien aus ganz Europa getragen wird.

Stattdessen riefen die Veranstalter zu einem „aktiven Umgang“ mit den Inhalten der „Rechten“ auf. Wie dieser aussehen sollte, zeigte sich schließlich am ersten Messetag, als Mitarbeiter des Börsenvereins in einem kleinen Demonstrationszug am Antaios-Stand vorbeizogen, um gegen Rassismus zu protestieren. Radikaler als die Messeleitung reagierten mutmaßlich linke Aktivisten, die bereits vor Eröffnung der Buchmesse einen Teil der Auslage von Antaios mit Kaffeepulver und Zahnpasta beschädigten. In einer Nacht- und Nebelaktion wurde zudem der Gemeinschaftsstand des Manuscriptum-­Verlages und des Magazins Tumult abgeräumt. Am Buchmesse-Freitag schließlich kam es am Stand der „Jungen Freiheit“ zu einem Angriff eines Besuchers auf den linken Verleger Achim Bergmann.

Neonazis im Publikum

Eine Szene kann symptomatisch für den Umgang der Buchmesse mit Antaios stehen. Als die Gegendemonstranten am Messe­samstag schließlich gegen 18.40 Uhr Halle 4 freiwillig verließen, erklärt die Buchmesseleitung die Veranstaltung des Antaios-Verlages für beendet. Kubitschek aber verkündet, einfach weitermachen zu wollen. Als Buchmesse-Direktor Juergen Boos die Bühne des Forums Wissenschaft und Bildung betritt, um das Wort an das Publikum zu richten, wird Kubitschek handgreiflich und drückt das Megafon des Buchmesse-Direktors beiseite. Das aufgebrachte Publikum ruft Boos „Heuchler, Heuchler“ hinterher. Der Chef der Buchmesse zieht unverrichteter Dinge von dannen. Eine perfekte Steilvorlage: Kubitschek kann sich als Opfer linker Meinungsdiktatur und als Herr im eigenen Haus zugleich aufspielen.
Das Publikum, das Kubitschek und Höcke zunächst im „Triumphzug“ in Halle 4 gefolgt war, und nun einsehen muss, dass der Auftritt von Sellner und Müller nicht wie geplant stattfinden kann, gab derweil einen interessanten Einblick in die Anhängerschaft der sogenannten Neuen Rechten. Neben bekannten Gesichtern der Identitären hatte sich mit Wolfgang Hübner ein ehemaliger Frankfurter Stadtverordneter der antimuslimischen „Bürger für Frankfurt“ (BFF) in den Höcke-Tross eingereiht. Ebenfalls unter den Zuschauern befanden sich bekannte Aktivisten der süddeutschen Neonazi-Szene. Dazu zählte neben Maximilian Reich — ehemals Freies Netz Hessen, Nationale Sozialisten Rhein-Main und Junge Nationaldemokraten Hessen; heute: Antikapitalistisches Kollektiv (AKK) — auch Patrick Schröder. Der NPD-Politiker ist Organisator der Neonazi-Konzerte im thüringischen Themar, die zuletzt mehrere Tausend Besucher anzogen.

Spin in den Medien

Am Tag nach den Tumulten indes beginnt sich der Spin, an dem Kubitschek und seine Mitstreiter während der Messe bereits gewerkelt hatten, effizient zu drehen. Die Neue Rechte inszeniert sich als Opfer eines repressiven links-liberalen Mainstreams und Teile der deutschen Presse sekundieren ihr dabei: „Eine Gesellschaft, in der bereits die schiere Buchmessepräsenz von Verlagen, die sich publizistisch gegen den linksliberalen Mainstream stellen, zum Politikum gerinnt, hat mit der Meinungsfreiheit ein Problem“, schreibt etwa die Welt. Im Deutschlandfunk Kultur beschränkt sich die Berichterstattung über die Tumulte auf die Wiedergabe von Aussagen der Antaios-Autorin Caroline Sommerfeld, welche die Gegendemonstranten unter anderem pauschal als „Linksextremisten“ titulieren darf. Die Anwesenheit bekannter Rechtsextremisten war keine Erwähnung wert.