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Rückblick: Unser Freund „Thümi“ ist erschossen worden

Einleitung

Vor 25 Jahren berichteten wir in der AIB Ausgabe Nr. 21 über den Tod eines Freundes: „Thümi war aktiver Antifaschist und schon lange dabei. Er war einer der vielen, die im Herbst 1989 die DDR-Regierung stürzten und die dann mit ansehen mußten, wie das Land von neuen Herren übernommen wurde. Als im Frühjahr 1990 Leipziger Neonazis mit Hilfe aus dem Westen ihren Terror auf die Straße trugen, war Thümi meist mit dabei, sie in monatelangen Kämpfen wieder zurückzudrängen. Innerhalb der „Antifa Jugendfront“ und der „Edelweiß-Piraten“ arbeitete er mit an einer neuen antifaschistischen Jugendbewegung und dafür, daß Neonazis auch auf der kulturellen Ebene der Boden entzogen wurde. Er war mit dabei, wenn Angriffe auf Flüchtlinge oder besetzte Häuser abgewehrt werden mußten und auch, wenn dies in anderen Städten nötig war. Zu uns in Berlin hatte er enge Verbindungen. Es war für ihn selbstverständlich, daß er am 22. Dezember mit losging, als es hieß, die Leopoldstraße wird überfallen.“

Thümi Leipzig
(Foto: thuemi.de)

Steffen Thüm im Sommer 1992.

Steffen „Thümi“ Thüm war im Leipziger Stadtteil Connewitz aktiv. Der Begriff des „Faschoalarms“ machte hier oft die Runde. Wenn ein Haus angegriffen wurde, eilten andere HausbesetzerInnen zur Verteidigung herbei. Als Thümi in der Dezembernacht 1992 helfen wollte, wurde er erschossen.

Der 21-Jährige war damals auch Sprecher einer Hausbesetzerinitiative. Ganze Straßenzüge im Viertel standen leer und wurden ab 1990 in rascher Folge besetzt. Die Häuser waren das Ziel von Neonaziangriffen, poli­zeilichen Übergriffen und politischer Hetze. Die CDU-Fraktion der SVV Leipzig erklärte im August 1992: „Eine weitere Ausbreitung autonomen Hausbesetzerterrors bringt die Gefahr mit sich, daß der Stadtteil Connewitz zu einer Mischung aus Hafenstraße und Bronx verkommt.“1 Im November 1992 wurde ein 17-Jähriger in der Connewitzer Leopoldstraße durch eine Polizeibeamtin angeschossen, zuvor war ein Einsatz gegen zwei Jugendliche wegen Sachbeschädigung eskaliert. Es folgten heftige Ausschreitungen. Die Rechtsausleger der CDU / DSU der Stadt machten Druck zur Räumung der Häuser.2 Der Präsident des sächsischen LKA Peter Raisch machte in der Presse Stimmung gegen „autonome linke Kräfte“ aus den Kreisen von „Sharp-Skins“, „Antifa“ und den „Edelweißpiraten“.3

Ein Haus in der Leopoldstraße bewohnten damals auch Teenager mit Vorliebe für Autorennen mit gestohlenen Wagen – die „Crashkids“. Diese hatten Ende 1992 den Hausbesetzer_innen bereits zugesagt, mit den Autorennen aufzuhören. In der Nacht von Thümis Tod kam ein Bewohner der Leopoldstraße in die alternative Kulturfabrik ZORO und berichtete von einem Angriff. Ein Autobesitzer war mit einer Gruppe “Schläger aus dem Rotlicht-Milieu4 ins Viertel gekommen. Einige Freunde machten sich auf den Weg, schon an der nächsten Hausecke begannen die Angreifer zu schießen. Es ging offenbar nicht um Politik, sondern um einen 51.000 DM teuren Mazda eines Professors der Uniklinik und möglicherweise um den Inhalt des Kofferraums. Vermutet wurde eine Racheaktion, weil im Auto Drogen versteckt gewesen seien und die Diebe sich bedient hätten.5

Anfang 1993 kommt es zu weiteren Angriffen auf besetzte Häuser von Personen aus dem „Auto­klaugeschäft“, darunter laut Anwohner_innen „höchstwahrscheinlich Faschos“.6   Sze­ne­­­kenner berichten seinerzeits vom Autoklauen als „Volksport der Volkstreuen“, eine lokale Neonazi-Szenegröße betrieb eine „Autoverwertung7 und es soll Szenekontakte zu Rocker-ähnlichen Strukturen um die „Road Lions“ gegeben haben.

Bei den Gerichtsverhandlungen nach Thümis Tod durch mehrere Instanzen blieben die Vorgänge nebulös. Der Autobesitzer wurde vom Land­gericht als Mittäter verurteilt. Der mutmaßliche Schütze, sein damaliger Schwiegersohn Gregor P., – der wie sein Mittäter Norman K. als „Türsteher“ bzw. „Zuhälter“ bezeichnet wurde – kam mit einer geringen Strafe davon. Die Motive der Angreifer – die sich bereits am Tag zuvor am 21. Dezember 1992 den unversehrten Mazda gewaltsam zurückgeholt hatten – blieben unklar.

  • 1Anfrage der CDU-Fraktion an die Stadtverwaltung zur SVV am 26.8.1992, Manfred Heine (Vorsitzender).
  • 2DSU-Fraktion: Wiederherstellung von Recht und Ordnung in Connewitz (A 358/92), Wolf-Dietrich Rost (Stadtverordneter). Im September 2009 zog Rost für die CDU in den Landtag von Sachsen ein.
  • 3Markus Lesch: In Leipzig Furcht vor den „Edelweißpiraten“, Faksimile: Epi-Rundbrief Nr. 7, Februar 1993
  • 4Der Spiegel: Hausbesetzer: Sog der Freiheit, 27. November 1995
  • 5Morgenpost Dresden: Chronik eines Connewitzer Todes, 23. Dezember 2012
  • 6Broschüre „Vier Wochen Connewitz: Zu den Ereignissen vom 27./28. November 1992 und der Ermordung von Thümy“, 1993: S.25
  • 7Broschüre „Leipzig ganz rechts“, 1995: S. 57