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Offensiv deuten

Sebastian Friedrich und Regina Wamper
Einleitung

Wenn sich Rechte Themen und Ästhetiken annehmen, die traditionell von links besetzt sind, verhalten sich die vermeintlich Beklauten häufig aufgeschreckt. Wir wollen Vorschläge machen, um diesen Sprachlosigkeiten etwas entgegen zu setzen. In der Praxis der Umdeutungen durch Rechte stecken für Linke auch Potenziale.

Bild: attenzione-photo.com

Neonazis mit Che-T-Shirts und "Pali-Tuch" bei einer Neonazi-Demonstration in Dortmund im September 2003 gegen die "Wehrmachtsausstellung".

Nicht erst seit dem Aufkommen von »Autonomen Nationalisten« oder Kameradschaften adaptieren Rechte von links. Im NS wurden zentrale Begriffe der Arbeiter_innenbewegung und Ästhetiken übernommen. Die Melodien von linken Arbeiter_innenliedern wurden mit rechten Texten unterlegt. Arthur Moeller van den Bruck und Oswald Spengler leisteten in der Weimarer Republik die Vorarbeit für die Umdeutung von Begriffen – sie gaben dem Begriff des »Sozialismus« eine völkische Bedeutung und ermöglichten es dem NS, das Erbe des »Deutschen Sozialismus« anzutreten.

Kein Copyright auf Themen und Ästhetiken

Mit einer gewissen Ratlosigkeit ist häufig den Übernahmen von Ausdrucksformen durch Rechte begegnet worden. Manchmal heißt es, Adaptionen hätten keine Relevanz, wenn sie nur auf der Ebene des Ausdrucks stattfinden. Dabei wird verkannt, dass ästhetisch-kulturelle Fragen seit jeher eine wichtige propagandistische Funktion für faschistische Bewegungen hatten. Es geht um die Notwendigkeit, ein »Produkt« wirksam zu verkaufen – unter den Bedingungen der Grenzen des juristisch Sagbaren und einer breiten gesellschaftlichen Diskreditierung von NS und Shoa.

Aktuelle neonationalsozialistische Bewegungen sind mit dem Stigma des »Ewiggestrigen« behaftet, sie rekurrieren mit dem Bekenntnis zum NS auf einen vergangenen gesellschaftlichen Zustand und sind so mit dem Vorwurf der Reaktion konfrontiert, den der NS in seiner Selbstinszenierung als moderne politische Massenbewegung rhetorisch strikt zurückwies. Demnach bedarf eine sich revolutionär gebende politische Bewegung moderner Selbstinszenierungspraktiken. Dass sich Ausdrucksformen progressiver Bewegungen anbieten, um diesem Dilemma zu entgehen, liegt nahe.

So gesehen entkräftet dieses Beispiel zumindest teilweise die oft gehörte Reaktion: Was da adaptiert wurde, muss vorher schon irgendwie falsch gewesen sein. Der Prozess der Adaption von Symboliken ›beweise‹ also bereits, dass an dem jeweiligen Konzept, auf das sie verweisen, etwas ›nicht stimme‹. Übernommene Konzepte oder Symboliken sind aber nicht per se dadurch diskreditiert. Bedeutungsverschiebungen sind immer möglich, zumindest wenn wir davon ausgehen, dass Sinn nicht in den Dingen liegt, sondern Bedeutung zugewiesen wird. Sinn kann durch permanente Wiederholung gefestigt, aber ebenso verschoben werden. In der Auseinandersetzung mit Adaptionen ist also nicht danach zu fragen, was ursprünglich, richtig oder wahr sei, sondern was als wahr gilt. Aus dieser Perspektive kann nur schwer von Übernahmen als Diebstahl und Piraterie durch die extreme Rechte gesprochen werden. Diskurse können nicht geklaut oder gestohlen werden. Linke haben kein Copyright auf Themen wie Feminismus und Antikapitalismus, wohl aber die Möglichkeit, um die Deutungen innerhalb dieser Themenfelder zu kämpfen.

Rein in die Deutungskämpfe

Adaptionen der extremen Rechten auf der Ebene von Codes, Symboliken und Ästhetiken können langfristig nur aufgehen, wenn es der extremen Rechten gelingt, diese Codes inhaltlich neu zu besetzen. Es mag sinnvoll für progressive Bewegungen sein, manche Elemente aufzugeben oder kritisch zu hinterfragen, die allzu leicht vereinnahmt werden können. Allzu einfach sollte es politischen Gegner_innen jedoch nicht gemacht werden. Überlassen wir politisch uncodierte Räume der extremen Rechten und ziehen uns aus Deutungskämpfen zurück, bieten wir ihnen Handlungsspielräume. Adaptierte Ästhetiken finden sich häufig in Themenfeldern, die traditionell von links besetzt sind. Extrem Rechte versuchen in diesen Themenfeldern, ihre völkischen Deutungen konsensfähig zu machen. Wenn gesagt wird, dass es keinen absoluten Schutz vor Adaptionen gibt, heißt das jedoch nicht, dass es keine Möglichkeiten gäbe, Anschlussstellen nach rechts zu vermindern.

Linke Kapitalismusanalyse und -kritik beispielsweise, die Anschlussstellen für extrem rechte Diskurse vermindern will, sollte ein nicht personalisiertes Verständnis von Kapitalismus in den Vordergrund stellen. Wenn Kapitalismus konsequent als gesellschaftliche Totalität begriffen wird und die dem Kapitalismus immanenten antiegalitären Herrschafts- und Gewaltverhältnisse im Mittelpunkt der Kritik stehen, dürfte es extrem Rechten schwer fallen, diese Kapitalismuskritik für sich nutzbar zu machen. Ein solches Verständnis sollte sich aber nicht durch die Abgrenzung nach rechts handlungsunfähig und/oder sprachlos machen, indem zum Beispiel keine Funktionsträger_innen mehr benannt werden können. Die Vermeidung der Personalisierung heißt daher nicht, keine Akteur_innen und Verantwortlichkeiten mehr zu kennen. Nicht personalisieren in diesem Sinne bedeutet anzuerkennen und zu benennen, dass ›der Kapitalismus‹ nicht von einigen wenigen geplant und umgesetzt wird, sondern ein Ordnungssystem ist, das kein Außen kennt.

Zudem gilt es, die Verschränkungen von Herrschafts- und Unterdrückungsdiskursen anzuerkennen, ohne diese (z.B: race, class, gender) bloß zu addieren. Das wird vermieden, wenn zum Beispiel die kapitalistische Nutzbarmachung von Rassismus und Patriarchat untersucht wird. Weiterhin sollten Zusammenhänge wie die zwischen Staatlichkeit, Nationalismus und Kapitalismus berücksichtigt werden, um etwa der Deutung »guter Staat vs. böses Kapital« den Boden zu entziehen.

Schließlich müssen offensiv Themen besetzt werden. So können Referenzpunkte geschaffen werden, an denen sich die Rechte abarbeiten muss, will sie aufkommende Fragen nicht unbeantwortet lassen. Sich aus umkämpften Deutungsfeldern herauszuziehen hieße, der extremen Rechten das Feld zu überlassen. Nur weil Neonazis etwa Atomtransporte aufgrund von Blut und Boden-Diskursen kritisieren, darf weder das Thema Ökologie aus linken Diskursen verschwinden, noch darf schlicht der Umkehrschluss gezogen werden, eine politische Linke sollte nicht mehr progressiv in Anti-Atom-Diskurse mitmischen. Wenn die extreme Rechte meint, Ökologie sei Heimatschutz und die Linke daraufhin diese Recodierung mitträgt, wird das Thema der extremen Rechten überlassen.

Fazit

Voraussetzung für diese möglichen Gegenstrategien ist es allerdings, dass sich antifaschistische Politik nicht bloß als Ein-Punkt-Politik begreift, sondern als Teil linker sozialer Bewegungen. Antifaschismus selbst macht noch keine Bewegung aus, die alleinige Dekonstruktion rechter Deutungsangebote wird nicht reichen.

Jenseits der Gefahren, die Adaptionen von rechts mit sich bringen, neben dem eigenen Rücken in die Defensive seien hier Extremismuskonstruktionen genannt, die gerade durch das Phänomen ›Autonome Nationalisten‹ Aufschub erhalten, können sie aber auch Chancen für progressive Politik beinhalten. Sie können zum Anlass genommen werden, eigene Inhalte zu schärfen, genauer zu argumentieren und umkämpfte Themenfelder wie die Frage nach sozialen Kämpfen zu intensivieren, um linke Referenzpunkte zu schaffen. Auch eine umfassende Zurückweisung von Ausgrenzungs- und Herrschaftsdiskursen ist nicht schlicht antifaschistischer Selbstzweck. Gesellschaftliche Räume müssen politisch wie kulturell besetzt, eigene Inhalte und Visionen offen vertreten werden – um sie wahrscheinlich zu machen.