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Konservativer Rückenwind für Neonazi-Terror?

Einleitung

1996 befand sich die (extreme) Rechte in einer Phase der Umorientierung. Unter der Parole „Einheit der Rechten“ wurde wieder einmal erfolglos gegen die Zersplitterung der ultra-rechten Parteienlandschaft, konservativen Zirkeln und  neonazistischen Gruppierungen mobilisiert. Streitigkeiten waren in allen diesen Lagern an der Tagesordnung.1 Doch während dieser Umbruchphase entstanden auch punktuelle Allianzen, die bis heute eine politische Brisanz haben. Gerade im Rückblick auf die Entstehung des späteren NSU steht die Frage im Raum, ob die TäterInnen und UnterstützerInnen nicht auch im Spektrum der bürgerlichen Rechten bzw. konservativer Kreise politisiert wurden.

  • 1Vgl. AIB 33: „Rechte 1995 - Ausgrenzung ist out“
Foto: Privat

Beate Zschäpe (3.v.r.) interessiert sich für das Angebot eines rechts-konservativen Büchertisches.

Von Knütter bis Zschäpe

Bilder einer Veranstaltung im Festsaal am Hotel-Restaurant „Burghof“ in der Nähe des Kyffhäuser-Denkmals (auch Barbarossa-Denkmal) zu Ehren von Kaiser Wilhelm im Norden von Thüringen geben die damalige Situation wieder. Vor dem Bergmanns-Orchester „Glückauf Sondershausen“ halten ultra-rechte Referenten wie der Professor Dr. Hans-Helmuth Knütter, der rechte Ökologe Baldur Springmann, der Bundesvorsitzende der „Deutschen Partei“ (DP) Johannes von Campenhausen, der Sprecher des „Staatspolitischen Clubs Rhein-Main“ Lothar Lauck, der DSU-Politiker Roberto Rink und der Professor Dr. Bernd-Thomas Ramb vom „Bund Freier Bürger“ (BFB) ihre Reden. Die Jenaer Neonazis Andre Kapke und Tino Brandt vom „Thüringer Heimatschutz“ (THS) laufen zielstrebig durch den Raum. Im Hintergrund sitzt die spätere NSU-Terroristin Beate Zschäpe. Der DSU-Politiker Joachim Nothdurft (Dessau) führt mit einer Ausgabe der rechten Wochenzeitung „Junge Freiheit“ in der Hand Pausengespräche mit seinem damaligen Parteikollegen Rudolf Dießner. Später sitzt er gemeinsam mit jungen Burschenschaftlern beim Bier. Im Publikum befinden sich vor allem ältere Herren in Anzügen, ein junger Mann hält eine schwarz-rot-goldene Fahne mit Bundesadler in die Höhe. An einem Informationstisch liegen die „Junge Freiheit“, das „DSU-­Grundsatzprogramm“ sowie das „Ostpreußenblatt“ aus. Beate Zschäpe greift interessiert nach einem Buch. Drei Personen, darunter ein kleiner Junge, laufen in der schwarzen „Jungenschaftsjacke“ (Juja) des rechten Jugendbundes „Freibund“ ­herum.

Für welche Art von Veranstaltung hatten sich die Jenaer Neonazis des „Thüringer Heimatschutzes“ interessiert, aus denen später Teile des „Nationalsozialistischen Untergrund“ (NSU) wurden?

Anhand der Referenten und des Ortes bleibt nur der Schluss übrig, dass es sich um die „konservative“ Fest-Veranstaltung zum „Tag der deutschen Einheit“ handelte, die u.a. von Rudolf Andreas von der „Initiative 3. Oktober“ organisiert wurde. Dieser war damals als Generalsekretär der Partei „Deutsche Soziale Union“ (DSU) tätig. Die rechte Nachwende-Partei DSU war zeitweilig in Ostdeutschland regional verankert und öffnete sich für Projekte rechts von der CDU.1 Der Zusammenschluss „Ini­tiative 3. Oktober“ entstand auf Betreiben des rechten „Bündnis konstruktiver Kräfte Deutschlands“ (BKKD). Dieses Bündnis bestand aus Funktionären rechter Parteien wie DSU, BFB, DP und wurde von Gruppierungen wie „Friedenskomitee 2000“ (Alfred Mechtersheimer), „Unabhängige Ökologen Deutschlands“ (UÖD), „Gesamtdeutscher Studentenverband“ (GDS), „Aktion Deutsche Mark e.V.“ und „Vereinigung 17. Juni 1953 e.V.“ unterstützt. Das Motto der Initiative war: „3. Oktober: Tag der Deutschen Einheit. Für die Bewahrung unserer nationalen Identität in einem freien Europa“. Mit Veranstaltungen zum 3. Oktober forderte das rechte Bündnis dazu auf, „nach dem Ende des sowjetischen Regimes auf deutschem Boden und der Vormundschaft der Siegermächte des Zweiten Weltkriegs“ endlich zur „Verwirklichung der nationalen Einheit“ überzugehen. Die vorjährige BKKD-Veranstaltung am Kyffhäuser-Denkmal am 3. Oktober 1995 war von 700 TeilnehmerInnen besucht worden.2

Die antifaschistischen Journalisten des DISS wussten hierzu zu berichten: „Führender Kopf des „Bündnisses Konstruktiver Kräfte“ ist Lothar Lauck, ehemaliger Landesvorsitzender der „Jungen Nationaldemokraten“ (JN) in Hessen. Mobilisiert wurde für die Veranstaltung u.a. mittels Anzeigen in der Tageszeitung FAZ (23.09.1996) und der „Jungen Freiheit“ (40/96). Mitgetragen wurde der Aufruf auch von Neonazis wie Wolfgang Juchem, Redner beim Rudolf-­Heß-Gedenkmarsch im thüringischen ­Rudolstadt, Michael Krämer, einst Aktivist der zwischenzeitlich verbotenen „Freiheitlichen Deutschen Arbeiterpartei“ (FAP) und Hans-Ulrich Kopp, Pressesprecher der Deutschen Burschenschaften. Hingewiesen wurde auf die Veranstaltung auch in „Nation und Europa“ (NE; 10/96). Festredner war der emeritierte Bonner Poli­t­olo­gieprofessor Hans-Helmuth Knütter, führender Kopf der intellektuellen Anti-­Antifa. Ihm standen als Redner u.a. Roberto Rink, DSU-Bundesvorsitzender, Professor Bernd-­Thomas Ramb, stellvertretender BFB-­Bundesvorsitzender und Baldur Springmann von den „Unabhängigen Ökologen Deutschlands“ zur Seite.“3 Aus heutiger Sicht erscheint aus dem Aufrufer-Kreis auch der frühere Aktivist der Dresdner „Wiking Jugend“ (WJ) Hans-­Holger Malcomeß relevant, der mittlerweile als Leiter der AfD-Bundesgeschäftsstelle tätig ist.

Konservative Stichwortgeber ?

Das politische TV-Magazin „Report Baden-­Baden“ sendete am 28. Oktober 1996 Ausschnitte aus der Rede Hans-Helmut Knütters auf dem Treffen:

Wir sollten uns zusammenschließen. Ohne Berührungsängste. Diese Berührungsängste sind ja das Schlimmste. Der eine will nicht mit dem anderen, weil der eine zu extrem ist und der andere einer Sekte angehört, dann der dritte ist umstritten, der vierte ist von irgendwelchen fragwürdigen Gerichtsurteilen vorbestraft. Und daraus folgt, daß fünf Finger eben keine Faust sind. Die fünf Finger können einzeln gebrochen werden – die Faust nicht.

Die offizielle Abschrift von Knütters „Festrede“ in einer Broschüre des BKKD mit dem Titel „Kyffhäuser 1996“ belegt, wie er u.a. die Gefahr einer „weltweiten Migration mit ihren bedrohlichen Folgen“ beklagt. Nach der bereits zitierten Passage folgte demnach die Aussage: „Man möge getrennt marschieren, um vereint schlagen zu können.“ Später erklärt er seinen ZuhörerInnen: „Es ist eine Schwäche der Rechten, auf den Staat und die Staatsmacht selbst dann zu vertrauen, wenn diese das Vertrauen nicht verdienen.“ Laut Knütters Redepublikation sei „die Erkenntnis des Übels und seine Bekämpfung nichts Negatives, sondern bereits das Positive (...)“ „Nötig ist, die Anwandlungen zur Feigheit, zur Resignation zu überwinden“ habe er festgestellt. Seine Rede beendete er demnach mit den Worten: „Gehen sie von hier mit kämpferischer Stimmung und handeln Sie!

Hier lässt sich natürlich im Nachhinein die Überlegung aufstellen, wie diese Worte eines „konservativen“ Politik-Proffessors auf Beate Zschäpe und ihre Begleiter gewirkt haben könnten. Doch dazu wurde bisher nicht ernsthaft ermittelt, geforscht oder aufgearbeitet. Besonders pikant: Knütter war bis Mitte der 1990er Jahre als Extremismusexperte und Autor für die „Bundeszentrale für poli­tische Bildung“ und für das „Bundesministerium des Innern“ tätig.

Einige Jahre später wurd eine weitere Rede von Hans-Helmuth Knütter bekannt: „Diese jüngeren Leute werden sich, wie Jüngere das tun können, mit persönlichem, mit körperlichem Einsatz für die Durchsetzung der politischen Ziele einsetzen, und das ist gut, das ist hervorragend. Die Älteren können aber auch etwas tun. Man wird auch den hier Anwesenden aufgrund des Alters wohl kaum zumuten können, sich an Saalschlachten und Straßenkämpfen zu beteiligen. Aber was sie tun können, ist natürlich: Geld sammeln, Aktionen ermöglichen.

Wer diese Worte aus dem Munde eines früheren staatsnahen konservativen Extremismusexperten hört, muss feststellen, der NSU-Komplex ist noch lange nicht aufgeklärt.