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Italien: Raketen-Neonazi entschärft

Einleitung

Die Bilder der Razzien in Gallarte und in Rivanazzano gingen um die Welt: Italienische Polizisten präsentieren stolz die von ihnen am 16. Juli 2019 sichergestellten NS-Reliquien und ein Arsenal an Handfeuerwaffen, Gewehren und vor allen Dingen eine graue Mittelstreckenrakete. Noch am selben Tag geistern vermeintliche Anschlagspläne durch die Medien.

Bild: Screenshot YouTube/SRF

Die Rakete wurde im Hangar der "Star Air Services" in Rivanazzano Terme gefunden. Eine Firma, die Kleinflugzeuge repariert und verkauft. Das Unternehmen gehört dem Italiener Fabio Amalio Bernardi (51) und dem Schweizer Alessandro Michele Aloise Monti (42). Der Schweizer arbeitete zwischen 2010 und 2013 beim Schweizer Rüstungskonzern RUAG. Ihre Verteidigung besteht allerdings darauf, dass beide keinerlei politische Verbindungen zur extremen Rechten hätten.

Tatsächlich wurden die NS-Reliquien zusammen mit etwa 40 Waffen und der dazu gehörenden Munition in der Wohnung des dritten Verhafteten gefunden. Genau genommen war es die Wohnung der Mutter, in welcher der ehemalige Grenzschützer Fabio Del Bergiolo (60) wohnt. Seine politische Positionsbestimmung ist eindeutig: 2001 kandidierte er erfolglos auf der Liste der neonazistischen Partei "Forza Nuova" (FN) für den italienischen Senat.

Ukraine-Söldnern auf der Spur

Die Beamten waren zufällig auf ihn gestoßen. Eigentlich hatten sie im Umfeld der Neofaschisten und anderen Söldnern ermittelt, die sich an Kämpfen in der Ostukraine beteiligt hatten und zum Teil noch immer im Donezbecken aufhalten. Del Bergiolo hatte irgendwem die Rakete zum Kauf angeboten. Per WhatsApp schickte er dem potenziellen Kunden offenbar noch ein Foto von der feilgebotenen Ware. Fast eine halbe Million Euro soll er dafür verlangt haben. Nach der Razzia in der Wohnung seiner Mutter hat er die Ermittler bereitwillig zum Hangar seiner Komplizen geführt.

Am Nachmittag schaltete sich der (inzwischen entlassene) Innenminister und Lega-Chef Matteo Salvini in die Berichterstattung ein. Er behauptete, den Ermittlern den entscheidenden Hinweis gegeben zu haben und selbst das Ziel eines geplanten Anschlags durch eine ukrainische Gruppe gewesen zu sein. Wenn er damit andeuten wollte, ukrainische Nationalisten hätten die Rakete auf ihn abfeuern wollen, wäre das in vielerlei Hinsicht skurril. Denn Bernardi teilte auf seiner Facebook-Seite Memes wie „Ehrliche Italiener stehen hinter Salvini“ und der Schweizer Monti ist im selben Netzwerk als Mitglied der Gruppe „Lega – Salvini News“ zu finden.

Zar Putin regiert

Auch die offen neofaschistische Rechte in Italien zeigt kaum Sympathien für die ukrainischen Nationalisten. Die neofaschistische Kleinstpartei Forza Nuova (FN), für die Del Bergolio einst kandidierte, ist vielmehr solidarisch mit der pro-russischen Seite. Der Neofaschist Andrea Palmeri, der in der Ostukraine seit Jahren für Neu-Russland kämpft, durfte auf FN-Veranstaltungen via Skype referieren. Und auch die Glorifizierung von „Zar“ Putin wird durch die Partei zelebriert.

Von seinen politischen Gegnern musste sich Salvini deshalb den Vorwurf gefallen lassen, er wolle nur von seiner „Moscopoli“ Affäre ablenken. Dabei geht es um eine möglicherweise illegale Finanzierung seiner Partei mit Geld aus Russland.

Scharf oder Schrott?

Doch wie kam der Neonazi Bergiolo zu einer fast vier Meter langen, 250 Kilogramm schweren Lenkrakete, die laut Staatspolizei „voll funktionsfähig“ sei? Dazu gibt es eine naheliegende Theorie:

Die Rakete vom Typ Matra Super 530 wurde vom französischen Rüstungskonzern Matra ab 1979 gebaut und gemeinsam mit Mirage-Kampfflugzeugen unter anderem nach Katar verkauft. Als der reiche Golfstaat sich neue Flugzeuge gönnte, wurden die Mirage mitsamt ihrer Raketen nach Spanien verkauft. Das bestätigte in etwa auch das Außenministerium Katars auf dem Sender "al-Jazeera". Die Rakete sei 1994 „an einen befreundeten Staat“ verkauft worden. In Spanien müssen die Waffen aus den Militärbeständen verschwunden sein. Unklar ist, ob dies auf legalem oder illegalem Weg passierte.

Ein im Schweizer Wallis wohnhafter Sammler alter Flugzeugteile besitzt zwei solcher Raketen. Eine hängt in seinem Wohnzimmer an der Wand, natürlich ohne Antrieb und Sprengkopf. Der Tages-Anzeiger konnte sich ein Bild davon machen. Einem Journalisten der Zürcher Tageszeitung berichtete er, dass er die Raketen 2013 bei einem Schrotthändler in Madrid gekauft habe. Er habe eine Durchfuhrbewilligung für Frankreich und eine Einfuhrbewilligung in die Schweiz erhalten. Zudem habe er den Behörden in Bern die Ungefährlichkeit der Raketen nachweisen müssen. Danach habe er die Raketen auf einem Autoanhänger bis in seine Wohnung transportiert.

Bergiolos Anwalt beteuert, die in Rivanazzano Terme sicher gestellte Rakete verfüge ebenfalls über keinen Sprengkopf, kein Radarsystem und keinen Antrieb. In diesem Fall hätte der ehemalige Forza Nuova Kandidat lediglich einen stolzen Preis für das Altmetall verlangt. Der Schweizer Sammler bezahlte vor sechs Jahren in Madrid keine 470.000 Euro, sondern gerade einmal 6.000 Euro und zwar für zwei Raketen.