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Interview mit Showan

Einleitung

In der Nacht zum 8. März 2014 wurde der Antifaschist und Aktivist der Fußball-Ultraszene Showan mit drei Freund_innen im Stadtzentrum von Malmö / Schweden von Neonazis angegriffen und schwer verletzt. Die Freunde kamen von einer Demonstration zum Internationalen Frauenkampftag. Alle vier mussten ins Krankenhaus und haben bis heute mit den Folgen zu kämpfen — Showan traf es am schwersten, er musste mehrere Monate im Krankenhaus liegen und befand sich zeitweise im künstlichen Koma. Wir trafen Showan knapp ein Jahr danach im Februar 2015 zum Interview, um zu hören, wie es ihm und seinen Freund_innen geht.

Hallo Showan. Wir haben im März über den Überfall auf dich und deine Genoss_innen in Malmö berichtet. Das ging uns sehr nahe. Du wurdest bei diesem Angriff von schwedischen Neonazis schwer verletzt und musstest lange im Krankenhaus liegen. Deshalb die wichtigste Frage vorweg: Wie geht es dir und deinen Genoss_innen heute?

Für mich persönlich war 2014 ein sehr emotionales Jahr. Es gab viele Reaktionen auf die Attacke, auch von Leuten, die ich noch nie gesehen habe. Es war sehr beeindruckend für mich, wie sehr die Leute um mich herum die ganze Geschichte mitgenommen hat. Das macht mich nur stärker und erinnert mich daran, dass wir für die richtige Sache kämpfen.

Mir geht es ok. Ich gehe dreimal die Woche zur Reha, um an meinen Gehirnverletzungen zu arbeiten, die immer noch meine Erinnerung beeinträchtigen und die Fähigkeit, mehrere Dinge gleichzeitig zu tun. Auch Emails zu lesen fällt mir noch schwer. Mein linker Arm und linkes Bein sind noch sehr schwach. Abgesehen davon hat es sich in den letzten sechs Monaten sehr gut entwickelt. Trotzdem ist es noch ein sehr weiter Weg, bis ich mein altes Leben zurückhabe.

Den drei anderen verletzten Genoss_innen geht es auch wieder besser. Es war sehr schwer für mich zu sehen, wie schlecht es ihnen geht. Zwei von ihnen können seit einem halben Jahr nicht mehr arbeiten und ihre schulische Laufbahn wurde zerstört. Es war auch deswegen schwer, weil ich die größte Unterstützung und Aufmerksamkeit bekommen habe. Ich wünschte, es wäre auch den anderen Genoss_innen so ergangen.

Kannst du dich daran erinnern, was in der Nacht zum 8. März 2014 passiert ist?

Der 8. März war ein Samstag. Je näher ich dem Angriff gedanklich komme, desto mehr erinnere ich mich nur noch an einzelne Bruchstücke. Ich sehe mich in einem Restaurant sitzen und Burger essen, ich sehe mich in der Demo gehen. Ich sehe mich auch, wie ich angegriffen werde und eine Person mich schlägt. Danach ist alles schwarz. Dass ich mich nicht mehr an so viel erinnere, ist aber in gewisser Weise auch Glück für mich. So habe ich die einzelnen Details des Überfalls nicht direkt vor Augen und werde dadurch nicht noch extra belastet.

Vier der Angreifer sind bekannte Neonaziaktivisten. Drei wurden wegen des Vorwurfs des versuchten Mordes inhaftiert, einer aus unerklärlichen Gründen wieder auf freien Fuß gesetzt. Wie ist der aktuelle Stand des Verfahrens?

Drei Neonazis wurden in der Nähe des Tat­orts festgenommen und saßen für drei Wochen in Untersuchungshaft. Seitdem sind sie auf freiem Fuß und warten auf den Prozessbeginn. Zwei Genoss_innen, die auch von dem Überfall betroffen waren, konnten den Haupttäter klar als Täter benennen, sogar mit Namen. Er wurde am Abend des Überfalls in der Nähe des Tatorts von der Polizei gestoppt, aber wieder gehen gelassen. Erst nach drei Tagen versuchten sie, ihm habhaft zu werden. Er hatte also drei Tage Zeit, um vor der Anklage des versuchten Mordes zu fliehen und ist auch immer noch nicht gefasst. Das Verfahren wird laut unseren Anwälten frühestens im Herbst 2015 beginnen.

Hast Du ein Interesse an der staatlichen Strafverfolgung bzw. verfolgst du die staatlichen Ermittlungsergebnisse?

Das Verfahren ist deshalb wichtig für mich, weil ich auf Papier haben möchte, dass die Täter Neonazis und gewalttätig sind, dass sie uns angegriffen und versucht haben, uns umzubringen. Dass es ein Angriff auf die Linke war. Vier von uns wurden mit einem Messer verletzt. Und natürlich ist es wichtig für mich, dass eine Person, die versucht hat mich umzubringen, im Gefängnis landet. Aber ich bin mir nicht sicher, dass sich bei mir dadurch ein Gefühl der Zufriedenheit einstellen wird, denn Neonazis existieren natürlich weiter. Grundsätzlich denke ich nicht, dass Repression und Gefängnis der richtige Weg sind, um Neonazis zu bekämpfen. Es ist gut, wenn sie im Gefängnis sitzen, aber wir werden dadurch nicht die Neonaziszene stoppen.

Von welchen Seiten hast du Solidarisierung erfahren und wie sieht die Unterstützung aus, die du bekommen hast bzw. bekommst?

Wir haben viel Solidarität erfahren. Sehr viel aus Europa, vor allem aus Schweden und natürlich am meisten aus meinem direkten Umfeld, was mir besonders viel bedeutet hat. Aber das absolut Wichtigste für mich war die Solidaritätsgruppe, die sich zur Unterstützung der Betroffenen gegründet hat. Sie hat rund um die Uhr dafür gearbeitet, dass wir alles bekommen, was wir brauchen und hat auch den Kontakt zu unseren Familien hergestellt. Sie hat meinen Umzug organisiert: Als ich im Juli aus dem Krankenhaus kam, hatte ich eine neue, frisch renovierte Wohnung. Meine Rechnungen wurden bezahlt. Sehr wichtig war auch, dass sie ein Treffen mit meinen Freunden organisiert hat, auf dem diese auf meine gesundheitliche Situation vorbereitet wurden und darauf, dass ich nicht mehr ganz der Alte sein werde und worauf sie sich einstellen müssten. Außerdem haben sie viel Geld gesammelt und Demos organisiert. Freunde von meinem Fußballverein, dem Malmö FF, haben klar Stellung gegen Faschismus bezogen und viele gute Solidaritätsaktionen gemacht. Das war für mich auch Bestätigung dafür, dass meine Arbeit gegen Faschismus, Sexismus und Homophobie richtig und wichtig ist. Als ich aus dem Krankenhaus kam und gesehen habe, wie viele Aktionen gemacht wurden, war ich der glücklichste Mensch auf der Welt. Auf der Demo, die hier in Malmö mit 15.000 Menschen stattfand, waren Fans des Malmö FF, Homosexuelle, Feminist_innen und antirassistische Initiativen — sie alle sind zur Demo gekommen und haben gemeinsam demons­triert.

Diese Solidarität, besonders aus Malmö, aber zum Beispiel auch aus Hamburg, Stock­holm, Göteborg, England und Griechenland — das war unsere Bestätigung.

Welche Konsequenzen sollte die antifaschistische Bewegung aus dem Fall ziehen?

Ich denke es ist sehr wichtig für uns Antifaschist_innen — jedenfalls in Schweden — den Weg, den wir vorher gegangen sind, weiter zu gehen. Es wäre falsch, unsere Ansichten zu ändern, nur um mehr Leute auf unsere Seite zu ziehen. Die Argumentation, dass Antifaschismus Selbstverteidigung ist, ist richtig und offensichtlich. Ich hoffe, dass Antifaschist_innen in Schweden und in Europa weiterkämpfen. Denn sie werden immer wieder versuchen, unsere Leben zu zerstören und die Arbeiterklasse anzugreifen.

Es war super, dass auch Leute, die sich gegen Homophobie oder für Frauenrechte engagieren, nach dem Angriff solidarisch waren. Über Antifaschismus zu reden erscheint im Augenblick vielleicht am wichtigsten, aber wir sollten auch die Analyse der Arbeiterklasse nicht vergessen, die eben viel mehr Leute mit einschließt. Es ist wichtig, dass wir immer mehr Leute mit einbeziehen, aber eben auch zu unseren Werten stehen.

Wie war die gesellschaftliche Reaktion außerhalb der linken Szene, der bürgerlichen Mitte, der Polizei, der Medien?

Die Arbeiterklasse hat sich in einer tollen Art und Weise solidarisiert. Viele Leute sind einfach unglaublich sauer über diese Attacken. Zwei Monate vorher wurde eine friedliche antifaschistische Demo in Kärrtorp, südlich von Stockholm, von 35 Neonazis angegriffen. Die Polizei hat das nicht verhindert. Das zeigt deutlich, dass wir nicht auf Polizei und Sicherheitsorgane zählen können, wenn es darum geht, Faschismus und Neonazismus zu stoppen. Dafür ist es wichtig, dass die Arbeiterklasse sich selbst verteidigt und ihre eigenen Allianzen schmiedet. Es war sehr schön für mich zu sehen, dass das nach dem Angriff sehr gut funktioniert hat. Von offizieller Seite haben wir leider nicht viel Unterstützung erfahren. In den Medien herrschte der Tenor, es würde sich um Kämpfe zwischen Extremisten handeln, was natürlich sehr problematisch ist.

Was hat sich durch den Angriff für dich verändert?

Auf der einen Seite hat der Überfall ein Stück meines Lebens zerstört. Auf der anderen Seite ist es total schön, so viel Bestätigung zu kriegen für die Sache, für die man gearbeitet hat und dass diese Arbeit vielen Leuten etwas bedeutet. Ich verstehe, dass das Symbol „Showan“ gut funktioniert hat. Ich bin ein Migrant, ich wurde in dem linken Viertel Möllevången in Malmö attackiert, ich bin Feminist und wurde am internationalen Frauentag angegriff­en, ich arbeite als Antifaschist und für die Rechte von Homosexuellen. Insofern kann ich verstehen, dass ich die Kämpfe vereint habe und sich dadurch viele Leute mit mir, den Kämpfen und der Situation identifizieren konnten und es ihnen gezeigt hat: Wenn Showan das kann, wenn er durchkommt, dann kann ich das auch!

Ich möchte mich auch noch für die große Unterstützung aus Deutschland bedanken, besonders von den verschiedenen Fußballfans. Es war super zu sehen, dass viele Fans Position bezogen haben. Danke an alle Fußballfans und Antifaschist_innen in Deutschland für die vielen Demos, Transparente und Aufkleber! Die internationale Solidarität ist eine unserer größten Stärken, wenn solche Dinge geschehen und es ist gut, wenn diese Solidarität auch praktisch wird.