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Interview mit Jörg Fischer über Aussteigerprogramme

Einleitung

»Akzeptierende Sozialarbeit«

Jörg Fischer machte eine steile Karriere in der rechten Szene. Er leistete Aufbauarbeit für die NPD, gehörte mit zu den Gründern der DVU und arbeitete als Redakteur in Gerhard Freys (DVU) Münchner Partei- und Medienzentrale. Anfang der 90er Jahre stieg er aus. Inzwischen ist er in der antifaschistischen Arbeit tätig. Das Antifaschistische Infoblatt (AIB) sprach mit Jörg Fischer über das neue Aussteigerprogramm der Bundesregierung.

Bild: flickr.com; Metro Centric/CC BY 2.0

AIB: Was hat dich persönlich zu einem Ausstieg motiviert?

Jörg Fischer: »Ausstieg« ist vielleicht nicht das richtige Wort. Ich bin nicht Sonntag Abend als überzeugter Neonazi ins Bett gegangen bin und Montag früh nach einer göttlichen Eingebung als Demokrat und Antifaschist aufgewacht. Es hat zwei konkrete Anlässe gegeben, die dazu geführt haben, dass ich mich mit der Szene und mit der Ideologie nicht mehr soweit identifizieren konnte, dass ich weiter mitmachen konnte. Die beiden konkreten Anlässe waren zum einen Ende 1991 die pogromartigen Übergriffe gegen die Flüchtlingsunterkünfte - Stichwort Hoyerswerda - und die Reaktion innerhalb der Nazi-Szene.

Diese Begeisterung, auch in höheren Führungsebenen, und auch mein Wissen darum, dass diese Übergriffe keine Aktionen von sogenannten Einzeltätern waren, sondern dass sie sehr wohl planmäßig von dahinter stehenden Organisationen vorbereitet worden waren. Das fand ich durchaus erschreckend. Zum anderen gab es einen ganz persönlicher Widerspruch: Es ist ja bekannt, dass in der Nazi-Szene der Überlebenskampf des deutschen Volkes, also die Massenproduktion deutscher Babys, einen sehr hohen Stellenwert einnimmt.

Ich beteilige mich jedoch nicht an der Produktion von deutschen Babys, da ich schwul bin und somit auch einer Minderheit angehöre, die mit zu den großen Feindbildern der Nazi-Szene zählt. Wobei anzumerken ist, dass es durchaus einige Kameraden gegeben hat, mit denen die Kameradschaft auch körperliche Ausdrucksformen gefunden hat. Ich habe mich dann zuerst einmal aus der Szene zurückgezogen und nach einigen Jahren, in denen ich die Zeit in der Nazi-Szene für mich aufgearbeitet und reflektiert habe, angefangen, öffentlich gegen »rechts« zu arbeiten und mich antifaschistisch zu engagieren.

AIB: Du hast soeben von einem Rückzug gesprochen. Glaubst du, dass es so etwas wie verallgemeinerbare Kriterien gibt, um von einem »Ausstieg« reden zu können?

Jörg Fischer: Ja. Es gibt Sachen, an denen man einen Ausstieg nicht festmachen kann. Ich kann einen Ausstieg nicht daran festmachen, ob sich jemand die Haare wachsen lässt und die Bomberjacke auszieht, auch wenn's im Moment in den Massenmedien Mode geworden ist, politische Gesinnung an der Haarlänge und an der Kleidung festzumachen.

Einen Ausstieg mache ich daran fest, ob jemand bereit ist, sich wirklich ideologisch zu trennen und offen darüber zu reden, was er getan hat, mit wem er zusammengearbeitet hat, ob er bereit ist, auch Strukturen offenzulegen und Namen zu nennen. Also Ausstieg und Rückzug ins Private sind zweierlei Sachen, und ein Ausstieg muss schon greifbar vonstatten gehen. Die konsequente Trennung muss nachprüfbar und nachvollziehbar sein.

AIB: Glaubst du, dass in dem neuen Aussteiger-Programm solche Kriterien der »Überprüfbarkeit« angelegt sind?

Jörg Fischer: Es wäre etwas völlig Neues, wenn in dieser staatlichen Pseudokampagne gegen Rechts, die seit dem August letzten Jahres geführt wird, irgendetwas außer blindem Aktionismus dabei wäre, bei dem man ein Konzept, Köpfchen oder sonst irgendwas erkennen könnte. Und genauso verhält es sich mit diesem sogenannten Aussteigerprogramm. Dieses Programm zeugt erstens davon, dass sowohl Otto Schily als auch der Verfassungsschutz (VS) keine Ahnung von der Szene haben, sonst würden sie nicht ernsthaft glauben, dass Führungskader sich mit sozialen Anreizen herausbrechen lassen. Dazu sind sie viel zu fanatisiert. Die Erfahrung zeigt, dass dies nur einen Sinn macht, wenn der Impuls von den Menschen selber kommt, dass sie raus wollen.

Es hat keinen Sinn, auf jemanden einzureden wie auf einen kranken Gaul; das bringt keinen Erfolg, außerdass dem Missbrauch Tür und Tor geöffnet wird. Es zeugt also davon, dass hier sehr wenig Wissen vorhanden ist auch über die Strukturen. Selbst wenn es denn gelingen sollte, einen Führungskader der Kameradschaft Hintertupfingen rauszubrechen, die Kameradschaft im Nachbarort wird davon kaum tangiert sein. Es ist, ja gerade das Wesen dieser »Freien Kameradschaften«, dass sie so strukturiert sind, dass sie gegenüber Infiltrationen und Verbotsmaßnahmen relativ immun sind. Im übrigen kann ich auch beim besten Willen keinen Sinn darin erkennen, Menschen dafür zu belohnen, dass sie aufhören, andere Menschen zu jagen oder umzubringen.

AIB: Die Intention von Otto Schily war ja nicht nur das Herauslösen von Führungspersonen, sondern auch das Verunsichern der Szene insgesamt. Durch Anreize zum Ausstieg kann ja jeder zum potentiellen Verräter werden. Ist es realistisch, dass so Verunsicherung in die Szene hineingetragen werden könnte?

Jörg Fischer: Ich halte das für völlig unrealistisch und die ersten Reaktionen aus der Szene, ihre Stellungnahmen, zeigen auch, dass sie diesem Schily-Programm nur mit Häme begegnen und sich darüber lustig machen. Herr Otto Schily hat ja auch allen Ernstes im September letzten Jahres behauptet, dass Verbot von »Blood & Honour« würde die Szene verunsichern. Doch selbst der VS musste auf die Frage, was die »B&H"-Mitglieder seit dem Verbot machen, zugeben, dass diese Konzerte abhalten. Vertriebsstrukturen haben und ansonsten mehr oder weniger konspirativ arbeiten, genau wie vor dem Verbot. Wenn so Verunsicherung aussehen soll, dann ist das eine Logik, die nur Herrn Schily einsichtig ist, und wo sich mir nicht erschließt, wo hier Verunsicherung stattfinden soll.

AIB: Du hast vorhin die Gefahr des Missbrauches angesprochen. Missbrauch in dem Sinne, dass das angebotene Geld angenommen wird, die Aktivitäten jedoch (nach einer Phase des Stillhaltens) weitergehen. Erinnert sei in diesem Zusammenhang auch an die Fälle der Neonazi-Führer Carsten Szczepanski (Brandenburg) und Thomas Dienel (Thüringen), die beide vom VS bezahlt wurden. Ist diese Gefahr bei diesem Programm auch gegeben?

Jörg Fischer: Sie ist da noch wesentlich größer. Gerade in der aktuellen Verbotsdiskussion ist es nachvollziehbar, dass Leute den Absprung nach außen hin schaffen wollen, auch um keine Nachteile im bürgerlichen Leben hinnehmen zu müssen. Sie werden unterstützt, sie bekommen einen Job, sie bekommen eine Wohnung, sie bekommen Geld und wenn die Beziehung auseinander geht, wird es bestimmt auch eine Partnervermittlung vom VS geben. Man wird so richtig schön rundum versorgt und es gibt keine Garantie, dass die betreffenden Personen nach einem, spätestens zwei Jahren wieder voll aktiv sind und dann mit dem Geld auch entsprechend neue Organisationen aufbauen.

Wenn die NPD verboten wird – und davon gehe ich aus, dann muss natürlich etwas neues aufgebaut werden. Das kostet Geld, und irgendwo muss das Geld auch herkommen. Nachdem die NPD ja bislang vom Staat finanziert wurde, ist es ja nur logisch, dass die Nachfolgeorganisation auch vom Staat finanziert wird. Etwas Kontinuität und Tradition muss ja sein. Es gibt noch einen Punkt zu berücksichtigen, eine Überlegung, die möglicherweise eine Rolle spielt, dass es Schily auch darum gehen könnte, Personen, die er in der Szenen schon drin hat als Zeugen zu verwenden, ohne sie als VS-Mitarbeiter outen zu müssen. Das wäre eine weitere Möglichkeit, was hinter diesem Programm stecken könnte.

AIB: Ist es realistisch, so an relevante Informationen heranzukommen? Auch das war nicht immer der Fall.

Jörg Fischer: Da bin ich überfragt, da müsst ihr Herrn Schily fragen, wo er seine Mitarbeiter stehen hat.

AIB: Werden mit dem Aussteigerprogramm Neo-Nazis nicht »verhätschelt«, nach dem Motto »Jungs kommt zurück ins Boot«, während auf der anderen Seite antirassistischen und antifaschistische Initiativen durch staatliche Repression in ihrer Arbeit behindert werden?

Jörg Fischer: Dieses Konzept kann man durchaus als Fortsetzung des unsäglichen Programms der akzeptierenden Sozialarbeit mit rechten Jugendlichen auf anderer Ebene nennen. Vorher wurden eben Jugendliche belohnt, wenn sie rechtsradikal waren, indem man ihnen Jugendzentren geschenkt hat, indem man ihnen Sozialarbeiter, die völlig überfordert und hilflos waren, zur Seite gestellt hat. Heute werden sie belohnt, wenn sie aufhören Menschen zu jagen.

Im Endeffekt wird hier auf der einen Seite mit Belohnungen gearbeitet, während auf der anderen Seite der Repressionsdruck und der Druck generell gegen antifaschistische und antirassistische Initiativen nach wie vor anhält. Initiativen, die seit Jahren gegen rechts arbeiten, die sich um die Betreuung von Opfern rassistischer Gewalt kümmern werden links liegen gelassen und erfahren weiterhin so gut wie keine Unterstützung. Man fragt sich immer, wo hier die Millionenbeträge hinfließen, die es hier angeblich oder tatsächlich geben soll.

AIB: Es gibt ja nicht nur das Aussteiger - Programm der Bundesregierung, sondern auch andere, wie beispielsweise »Exit«. »Exit« hat in einem Interview mit der »Jungen Welt« explizit betont, dass sich ihr Programm von dem Schilys unterscheiden würde, da kein Geld mit im Spiel sei, es also nicht um das Abkaufen von Gesinnung ginge. Außerdem solle das Programm von anderen Maßnahmen des »Zentrums für demokratische Kultur« (ZDK) auf gesamtgesellschaftlicher Ebene begleitet werden. Wie sieht Arbeit von Exit aus?

Jörg Fischer: Der Grundgedanke von Exit ist zu begrüßen. Es ist auch notwendig, eine Aussteigerhilfe für Menschen anzubieten, die von sich heraus aussteigen wollen, Hilfe zur Selbsthilfe zu geben, ohne sozialen Anreiz. Es ist auch sinnvoll, dass das in eine gesamtgesellschaftliche Konzeptionen eingebettet ist, einerseits durch das »ZDK«, andererseits durch, die Regionalen Arbeitsstellen für Ausländerfragen, Jugendarbeit und Schule und die »Amadeu Antonio Stiftung«. Die Frage ist, ob auch die praktische Umsetzung immer so sinnvoll ist. Eine gute Grundidee und die Promotion durch eine nicht immer unbedingt seriöse Wochenzeitschrift alleine ersetzt keine fehlenden Konzepte.

AIB: Kann Exit denn noch keine »Erfolge« vorweisen, obwohl das natürlich schwer zu bewerten ist?

Jörg Fischer: Dass ist dahingehend natürlich schwer zu bewerten. Es wurde in besagter Zeitschrift eine Person präsentiert, stilsicher abgebildet vor einer Hakenkreuz-Fahne. Es ist schon etwas zweifelhaft eine Person, auch nach ihrem Ausstieg, in einer solchen Weise zu präsentieren. Ansonsten, gab es natürlich Anfragen von besorgten Eltern, von Schulen bezüglich Veranstaltungen und es gibt im Monat ca. 20 Personen, die Kontakt zu »Exit« haben und die in der Phase sind, dass sie sich überlegen aussteigen zu wollen. Mehr kann man dazu im Moment auch nicht sagen, weil hier der ganze Informationsfluss nicht so ist, wie er sein sollte.

AIB: Wie könnten denn alternative Konzepte aussehen?

Jörg Fischer: Ich halte einen klaren gesamtgesellschaftlichen Anspruch für sehr wichtig, die deutliche politische Positionierung auf der Grundlage eines demokratisch-antifaschistischen Grundkonsens. Das bedeutet eine kontinuierliche und konsequente politische Zusammenarbeit mit anderen. Ich denke, da gibt es Initiativen und Vereinigungen, die sehr geeignet sind und zweifellos ihre Kompetenz in diesem Bereich beisteuern können, z. B. Antifa-Gruppen oder die VVN. Bedauerlicherweise gibt es hier anscheinend von verantwortlichen Personen bei »Exit« gewisse Berührungsängste.

AIB: Gibt es noch andere Aussteiger, die bei »Exit« mitwirken? Was war deren Motivation für ihren Ausstieg?

Jörg Fischer: Der Prozess des Aussteigens ist immer ein individueller, so dass ich über andere nichts sagen kann. Eine andere, nicht ganz unbekannte Person, die auch mit »Exit« zusammenarbeitet, ist Ingo Hasselbach. Zu ihm habe ich ein ganz klar distanziertes Verhältnis. Das hat etwas zu tun mit Äußerungen in seinem Buch, die sogenannte »Abrechnung«, die sich ja mehr wie ein Abenteuerroman liest als wie eine politische Analyse. Von einer politischen Distanzierung ganz zu schweigen. Das hat aber auch etwas zu tun mit seinem Film, »Verlorene Söhne«, was eine familiäre Personifizierung der Totalitarismustheorie ist.

Die einzigen politischen Aussagen, zu denen er fähig ist, ist festzustellen, dass Gewalt scheiße ist und dass die DDR schuld ist, dass er Nazi geworden ist. Das ist mir zu wenig, wir haben da eben sehr unterschiedliche politische Ansätze. Von daher gibt es da keine Zusammenarbeit und keinen näheren Kontakt zwischen uns, was auch daran liegt, dass Herr Hasselbach keine Veranstaltungen macht und sich nach eigenen Auslassungen auch mit dem Thema nicht beschäftigen will. Ich will nicht sagen, dass »Exit« gescheitert ist. Es ist noch Zeit, Konzepte zu erarbeiten und etwas Praktisches, Fassbares zu machen. Es kann nicht darum gehen, eine Fata Morgana, um die sich sowieso keiner mehr kümmert, noch nicht mal in der Nazi-Szene, noch künstlich am Leben zu halten.

Von Jörg Fischer ist inzwischen die zweite Auflage des Buches »Ganz rechts. Mein Leben in der DVU« bei Rowohlt erschienen. Im Herbst 2001 erscheint von ihm bei espresso »Das NPD-Verbot«.