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Freikorps und Nationalsozialismus

Dr. Bernhard Sauer
Einleitung

Nach dem Ersten Weltkrieg gab es ca. 250.000 bis 400.000 Freikorpsangehörige. Sie waren das Relikt der alten kaiserlichen Armee. Häufig trugen die Freikorps die Namen ihrer Gründer und Führer. Zu nennen wären hier vor allem die Freikorps Roßbach, Ehrhardt (Marinebrigade II), Loewenfeld (Marinebrigade III), Heydebreck, Aulock, Brandis, Pfeffer, Faupel, Lützow und Kühme. 

Foto: Bundesarchiv, Bild 146-1971-037-42 /CC BY-SA 3.0

Hermann Ehrhardt (2.v.l.) beim Kapp-Putsch in Berlin 1920.

Freikorps trugen den entscheidenden Anteil bei der Niederschlagung der Arbeiter- und Soldatenunruhen während des »deutschen Bürgerkrieges« unmittelbar nach Beendigung des Ersten Weltkrieges. Aber auch später sollten sie die Geschicke der Weimarer Republik maßgeblich mit bestimmen. Viele von ihnen schlossen sich schließlich rechtsgerichteten Verbänden an und wurden Mitglieder der NSDAP und ihrer Gliederungen. Dort stellten ehemalige Freikorpsangehörige vor allem die Kader der SA, die in der Machtergreifungsphase der NSDAP eine entscheidende Rolle spielte. Dies wird besonders am Beispiel der Berliner SA deutlich, die sehr bald zum Vorbild für die gesamte nationalsozialistische Bewegung wurde und besonders gewaltbereit und militant war. Sie wurde ausnahmslos von ehemaligen Freikorpsleuten geführt.

Im Februar 1919 wurde in Wilhelmshaven als Reaktion auf die dortigen Unruhen die nach Kapitän Hermann Ehrhardt benannte II. Marinebrigade gegründet, etwa um die gleiche Zeit bildete sich in Kiel die von dem Korvettenkapitän Wilfried v. Loewenfeld geführte III. Marinebrigade. Die Ehrhardt-Brigade wurde später bei der Bekämpfung kommunistischer Unruhen in Mitteldeutschland eingesetzt und war an der Niederschlagung der Münchener Räterepublik beteiligt, bevor sie wie auch das Freikorps Loewenfeld im August 1919 anlässlich des ersten Polenaufstandes nach Oberschlesien verlegt wurde, wo sie eine personelle Verstärkung erhielt. Teile der aus dem Baltikum abgezogenen Freikorps von Petersdorff wurden in die Ehrhardt-Brigade aufgenommen. Heinz v. Petersdorff hatte im Baltikum die Maschinengewehr-Scharfschützenabteilung innerhalb der »Eisernen Division« geführt, 1931 wurde er kurzfristig SA-Führer in Berlin. Andere baltische Formationen kamen zum Freikorps v. Loewenfeld, zu ihnen gehörte der Leutnant Leo Schlageter, der im Baltikum dem Freikorps v. Medem angehörte und später Mitbegründer der Berliner NSDAP war.

Reichsweit bekannt wurde die Ehrhardt-Brigade, als sie in der Nacht vom 12. auf den 13. März 1920 auf Berlin zumarschierte und damit den Kapp-Putsch auslöste. Als Adolf Hitler von dieser Erhebung erfuhr, war er zusammen mit seinem Mentor Dietrich Eckart nach Berlin geeilt, um – wie es in einer späteren nationalsozialistischen Darstellung hieß – »in die Ereignisse einzugreifen«.1 Aufgrund der Unruhen musste jedoch das Flugzeug schon bei Jüterbog landen, wo streikende Arbeiter ihn an der Weiterfahrt hinderten. Als Hitler in Berlin eintraf, war der Kapp-Putsch bereits beendet. Doch auch später hat Hitler den Kontakt zu Kapitän Ehrhardt gesucht. Aufgrund eines Abkommens vom August 1921 zwischen Adolf Hitler und Kapitän Ehrhardt wurde am 4. November 1921 in München die Sturmabteilung (SA) gegründet. Nach der Vereinbarung zwischen Hitler und Ehrhardt sollten Ehrhardt-Offiziere die Sturmabteilung der NSDAP militärisch organisieren und schulen. Die SA besaß von Anfang an einen Doppelcharakter; sie sollte als Parteitruppe den Schutz von Versammlungen übernehmen, zugleich war sie nach dem Vorbild der paramilitärischen Wehrverbände organisiert, von der man sich einen über den Parteischutz weit hinausgehenden Einsatz für die Zukunft erwartete. Der erste SA-Führer, Marineleutnant a.D. Hans-Ulrich Klintzsch, wurde Hitler von Ehrhardt zur Verfügung gestellt.

Freikorps im Baltikum

Im Jahre 1919 hatte der Feldzug der ca. 40.000 deutschen Freikorpsangehörigen im Baltikum für einiges Aufsehen gesorgt. Der Kampf der Freikorps an der Seite der Baltischen Landeswehr richtete sich zunächst gegen die ins Baltikum vorgerückten sowjetischen Bolschewisten, nach deren Rückzug aber ausschließlich gegen Letten und Esten. Er wurde mit einer beispiellosen Grausamkeit geführt. Ein Angehöriger der Sturmabteilung Roßbach erinnerte sich: »Die Kämpfe im Baltikum waren von einer Wildheit und Verbissenheit, wie ich sie weder vorher im Weltkrieg noch nachher in all den Freikorpskämpfen erlebt habe. Eine eigentliche Front gab es kaum, der Feind war überall. Und wo es zum Zusammenstoß kam, wurde es eine Metzelei bis zur restlosen Vernichtung (…) Unzählige Male sah ich die grauenhaften Bilder mit den ausgebrannten Hütten und den verkohlten oder angeschmorten Leichen von Frauen und Kindern. Als ich dies zum ersten Mal sah, war ich wie versteinert. Ich glaubte damals, dass es eine Steigerung menschlichen Vernichtungswahns nicht mehr geben kann.«2 Der Mann, der dies schrieb, war später selber ein trauriges Beispiel dafür, dass es noch eine Steigerung gab. Er hieß Rudolf Höß und sollte später der Kommandant von Auschwitz werden.

Die Baltikums-Kommandeure sahen ihre Aufgabe keineswegs in einem begrenzten Einsatz im Baltikum, sondern entwickelten bald weiter gesteckte strategische Ziele: Mit einer ausreichenden Streitmacht, die im Baltikum aus ehemaligen Angehörigen der kaiserlichen Armee gesammelt werden sollte, wollten sie zu gegebenem Zeitpunkt in Berlin einmarschieren, die dortige Regierung stürzen, um mit einer »Regierung des nationalen Widerstandes« die Ergebnisse des Ersten Weltkrieges doch noch revidieren zu können. Der Reichsregierung wurde das Treiben der Freikorps zunehmend suspekter. Unter dem Druck zahlreicher alliierter Noten forderte sie schließlich die unverzügliche Räumung des Baltikums von deutschen Truppen. Die unter der Führung von Major Bischoff stehenden Truppen meuterten jedoch, verweigerten den Gehorsam und traten schließlich in die weißrussische Armee des Obersten Bermondt über. Die letzten Verzweiflungskämpfe der deutschen Freikorps unter russischer Flagge gegen die Letten und Esten waren äußerst blutig und verlustreich. Für ihre katastrophale Niederlage machten die Baltikums-Freikorps die Reichsregierung verantwortlich, die den kämpfenden Truppen in den Rücken gefallen sei. »Baltikumer« wurden die erbittertsten Gegner der Weimarer Republik.

Der Kapp-Putsch

Die erste Gelegenheit, den gegen die Republik gerichteten Hass in die Tat umzusetzen, bot der Kapp-Putsch. Ein Teil der demobilisierten Baltikumkrieger wurde in die Ehrhardt-Brigade aufgenommen. Dies erklärt, warum in dem Aufruf zum Generalstreik vom 13. März gegen den Kapp-Putsch von den »Baltikumverbrechern« die Rede ist, die den Kapp-Putsch angezettelt hätten.

In Berlin und Umgebung unterstützten vor allem die Freikorps Roßbach und Pfeffer den Kapp-Putsch. Aber auch eine Einrichtung, die ursprünglich zum Schutz der Regierung geschaffen wurde, unterstützte den Staatsstreich: die 8. Hundertschaft zur besonderen Verwendung (z.b.V.) unter Leitung von Walther Stennes. Die 8. Hundertschaft z.b.V. war im Rahmen der Berliner Sicherheitspolizei mit der speziellen Aufgabe gegründet worden, bei Aufruhr und Unruhen das Regierungsviertel zu bewachen und die Regierung zu schützen. Als jedoch die Ehrhardt-Brigade in Berlin einmarschierte, war die Hundertschaft gleich als Erste nahezu geschlossen zu den Putschisten übergelaufen.

In Schlesien hatten vor allem die Freikorps Aulock, Faupel und die III. Marine-brigade v. Loewenfeld den Kapp-Putsch getragen. Die Freikorps Aulock und v. Loewenfeld besetzten die Stadt Breslau, nahmen zahlreiche missliebige Bürger fest, die in den Kellergewölben des Generalkommandos systematisch gefoltert wurden, in sieben Fällen mit Todesfolge. Besonderes Aufsehen erregte der Mord an dem sozialdemokratischen Redakteur Bernhard Schottländer. Schottländer, von dem allgemein gesagt wurde, dass es sich um einen sehr feinsinnigen und gebildeten Mann gehandelt haben soll, wurde ebenfalls im Generalkommando schwer misshandelt. Die Leiche wurde schließlich furchtbar zugerichtet aus der Oder geborgen. Haftbefehle wurden u.a. gegen Oberleutnant Hubertus v. Aulock und Leutnant Hellmuth v. Pannwitz erlassen. Das Verfahren gegen v. Aulock wurde später eingestellt, v. Pannwitz hatte sich rechtzeitig nach Polen abgesetzt. Wie Stennes wurde er einer der Führer der »Schwarzen Reichswehr« und später SA-Führer in Schlesien. Von Aulock schloss sich ebenfalls der NSDAP an und leitete u.a. die NS-Motorbrigade Groß-Berlin.

Von der Ehrhardt-Brigade zur Organisation Consul

Nach dem Scheitern des Kapp-Putsches kam die Ehrhardt-Brigade ins Munsterlager, wo sie aufgelöst werden sollte. Ehrhardt und seinen Leuten gelang es jedoch, die Brigade umzuformen: Aus der Ehrhardt-Brigade entstand die »Organisation Consul« (O.C.). Die O.C. war eine Geheimorganisation mit Gehorsam- und Schweigepflicht. § 11 der Satzung besagte ausdrücklich: »Verräter verfallen der Feme.« Als weit verzweigter Wehrverband entstand die O.C. 1921 anlässlich des 3. Polenaufstands in Oberschlesien, doch sollte die O.C. später vor allem innenpolitisch in Erscheinung treten. Auch andere Freikorps, von denen es hieß, sie seien längst aufgelöst, waren plötzlich wieder zur Stelle und bildeten in Oberschlesien geschlossene Kampfverbände. Zu nennen sind insbesondere die Freikorps Oberland, Roßbach, Pfeffer, Heydebreck und Heinz. »Auf nach Oberschlesien« hieß damals die Parole unter den Freikorpsangehörigen. Sie unterstellten sich zwar formell dem Oberbefehl des Selbstschutzes-Oberschlesien (SSOS), verfolgten aber im Verlauf der dramatischen Kämpfe – ähnlich wie im Baltikum – zunehmend ihre eigenen Ziele. Ziel war letztlich die Beseitigung der »Juden«-Regierung in Deutschland selbst.

Während der Kämpfe in Oberschlesien wurden von Freikorpsangehörigen zahlreiche Fememorde verübt. Im Gegensatz zum politischen Mord am Gegner, richtete sich der Fememord gegen die Mitglieder aus den eigenen Reihen, gegen diejenigen, die in den Verdacht des »Verrats« an den eigenen Zielen geraten waren. In Oberschlesien wurden Hunderte – nach einzelnen Unterlagen sogar Tausende – unter dem Verdacht, »mit den Polen gemeinsame Sache zu machen«, liquidiert.

Unter dem Deckmantel der »Vaterlandsverteidigung« wurden zahlreiche »persönliche Rechnungen beglichen« und gewöhnliche Verbrechen begangen. In einen Fememord war der spätere Oberste SA-Führer Franz Pfeffer v. Salomon verwickelt.

Nach Oberschlesien waren auch zahlreiche Agitatoren des antisemitischen Deutschvölkischen Schutz- und Trutzbundes (DVSTB) gereist. Der DVSTB  war eine Schöpfung des Alldeutschen Verbandes und mit ca. 200.000 Mitgliedern die größte antisemitische Massenorganisation in Deutschland nach dem Ersten Weltkrieg. Die antisemitischen Agitatoren suchten die Freikorpsangehörigen in ihrem Sinne zu beeinflussen. Die Folge war, dass der Antisemitismus sich in Oberschlesien außerordentlich schnell verbreitete, viele Freikorpsangehörigen gewannen erst in Oberschlesien eine gezielt antisemitische Einstellung.

Unmittelbar nach den Kämpfen in den ehemaligen deutschen Ostgebieten erschütterte eine Serie von Attentaten auf Regierungsmitglieder die Republik. Diese Anschläge trugen einen deutlichen antisemitischen Charakter. Der tödliche Anschlag auf den früheren Reichsfinanzminister Matthias Erzberger am 26. August 1921 bei Bad Griesbach im Schwarzwald leitete diese Serie ein. Am 4. Juni 1922 entging der frühere Reichskanzler und damalige Oberbürgermeister von Kassel, Philipp Scheidemann, nur knapp einem Blausäure-Attentat, und kurz darauf, am 24. Juni 1922, wurde der damalige Außenminister, Walther Rathenau, das Opfer eines Mordanschlages. Dies waren nur die spektakulärsten Anschläge. Die Täter kamen alle aus dem Umfeld der O.C. und des DVSTB. Die beiden Erzberger-Mörder Heinrich Schulz und Heinrich Tillessen hatten als Mitglieder der Ehrhardt-Brigade den Kapp-Putsch mitgemacht und sich später der NSDAP angeschlossen; Schulz war vorübergehend als Adjutant bei Heinrich Himmler untergebracht, Tillessen wurde ehrenhalber zum SA-Sturmführer ernannt. Die Scheidemann-Attentäter Hans Hustert und Karl Oehlschläger kamen ebenfalls aus dem Kreis der O.C. Oehlschläger war bereits in der Ehrhardt-Brigade Mitglied der Sturmkompanie v. Killinger, Hustert schloss sich später der NSDAP an und gehörte zur SA-Führung in Berlin um Walther Stennes.

Vergleichsweise groß war der Kreis derjenigen, die an der Ermordung Walther Rathenaus beteiligt waren. Die beiden Haupttäter, Erwin Kern und Hermann Fischer, fanden nach einer abenteuerlichen Flucht auf der Burg Saaleck den Tod – Kern traf eine Polizeikugel, Fischer richtete sich selbst. Im Berliner Organ der NSDAP »Der Angriff« wurde daraufhin 1928 eine sechsteilige Serie veröffentlicht, mit dem Ziel, »die deutschen Soldaten Kern und Fischer, so zu zeigen, wie sie wirklich waren«. Am Ende der Serie wurde betont, dass neben einer Berliner SA-Abordnung auch die Schriftleitung und der Verlag des »Angriffs« eine Kranzdeputation zu dem Grabe Kerns und Fischers nach Saaleck entsandt habe. »Wir fühlten uns zu dieser Ehrenpflicht berufen, weil wir der Überzeugung sind, dass eine spätere Nachwelt die ›Rathenaumörder‹ gerechter beurteilen wird, als es die von undeutschen Führern verblendeten Zeitgenossen taten. In diesem Sinne zu wirken, war der Zweck dieser Veröffentlichung.«3

Gegen dreizehn Personen fand zwischen dem 3. und dem 14. Oktober 1922 der Prozess vor dem Staatsgerichtshof in Leipzig statt. Verurteilt wurden u.a. die Brüder Ernst Werner und Hans Gerd Techow, Ernst v. Salomon, Karl Tillessen und Hartmut Plaas. Karl Tillessen, der Bruder des Erzberger-Mörders Heinrich, hatte sich bereits als Mitglied der Ehrhardt-Brigade am Kapp-Putsch beteiligt, danach wurde er führendes Mitglied der O.C. Er trat der NSDAP bei und wurde Mitglied der SS. Zu den Führungsleuten der O.C. gehörte auch Hartmut Plaas. Nach eigenen Angaben trat er bereits 1921 der NSDAP bei, später wurde er Sturmhauptführer der SS. Er beteiligte sich an der Verschwörung des 20. Juli 1944 und wurde in Ravensbrück erschossen. Ernst v. Salomon schloss sich ebenfalls der NSDAP an, Ernst Werner Techow gehörte später wie Hans Hustert zur Berliner SA-Führung um Walther Stennes.

Freikorps und die frühe NS-Bewegung

Wegen Beteiligung am Rathenau-Mord saß auch der Freikorpsführer Heinz Oskar Hauenstein in Untersuchungshaft. Gleich nach seiner Entlassung aus dem Polizeigefängnis Alexanderplatz schickte er folgenden Brief an seine alten Kameraden: »An alle ehemaligen Angehörigen des Selbstschutz-Sturmregiments Heinz! Ich habe mich entschlossen, gemeinsam mit dem Führer der ehemaligen Freiwilligen-Sturmabteilung Roßbach, Herrn Oberleutnant Roßbach, die nationalsozialistische Bewegung in Norddeutschland aufzuziehen. […] Ich erwarte, dass sich jeder daran beteiligt. Heinz.« Im August 1922 fuhren Roßbach und Hauenstein nach München, um mit Adolf Hitler ihre Absicht zu erörtern, Stützpunkte für die NSDAP in Norddeutschland aufzubauen. Im Anschluss daran wurden in Norddeutschland zahlreiche Ortsgruppen der NSDAP gegründet, wobei es Roßbach zumeist selbst war, der von Ort zu Ort reiste und die Gründungsversammlungen abhielt.

In Berlin war die Gründung einer NSDAP-Ortsgruppe für den 19. November 1922 vorgesehen. Da jedoch die NSDAP aufgrund des Republikschutzgesetzes, welches nach dem Rathenau-Mord erlassen wurde, verboten war, wurde kurzerhand unter Roßbachs Leitung die Großdeutsche Arbeiterpartei (GAP) ins Leben gerufen. Zu den 194 Personen, die den Gründungsaufruf unterzeichneten, gehörten auch Heinz Oskar Hauenstein und Leo Schlageter. Der GAP war jedoch keine lange Lebensdauer beschieden. Am 10. Januar 1923 verbot der preußische Innenminister Carl Severing die Partei als reine Tarnorganisation der NSDAP. Die GAP trat daraufhin als geschlossener Block der Deutschvölkischen Freiheitspartei (DvFP) bei, die sich am 16. Dezember 1922 in Berlin als Abspaltung des radikalen völkischen Flügels der Deutschnationalen Volkspartei (DNVP) konstituiert hatte.

Roßbach war in der Parteileitung tätig und organisierte vor allem die völkischen Turnerschaften, die militärisch ausgebildet und organisiert waren. Solche Turnerschaften existierten in allen Berliner Bezirken, besondere Bekanntheit erreichte jedoch die »Turnerschaft Ulrich von Hutten« im Bezirk Berlin-Charlottenburg. Aus ihr ging im Wesentlichen später der Charlottenburger SA-Sturm 33 hervor, der wegen seines gewalttätigen Auftretens auch »Mördersturm 33« genannt wurde. Eine Reihe bekannter SA-Führer hatten in der »Turnerschaft Ulrich von Hutten« ihre politische Laufbahn begonnen. Zu ihnen gehörten der am 1. September 1904 in Berlin-Wilmersdorf geborene Karl Ernst, der dann später Stabsleiter der SA-Gruppe Berlin-Brandenburg wurde, sowie der spätere Charlottenburger SA-Führer Friedrich Eugen Hahn.

Doch auch die DvFP operierte nicht lange legal. Am 23. März 1923 verbot Severing sie als versteckten Ableger der NSDAP für Preußen. Mit dem Verbot der DvFP wurden auch die völkischen Turnerschaften aufgelöst, eine Reihe ihrer Mitglieder schlossen sich der »Schwarzen Reichswehr« an, so z.B. Friedrich Eugen Hahn. Die »Schwarze Reichswehr« hatte sich parallel zur DvFP in der Region Berlin-Brandenburg konstituiert. Unter den Fittichen der legalen Reichswehr war es gelungen, aus ehemaligen Freikorpsangehörigen eine schlagkräftige Armee aufzubauen. Die »Schwarze Reichswehr« rekrutierte sich vor allem aus den Freikorps, die zuvor im Baltikum gekämpft hatten, sowie den beiden größten Freikorps in Norddeutschland: dem Freikorps Roßbach und der Marinebrigade Ehrhardt und deren Nachfolgeorganisation, der Organisation Consul.

Ihre wichtigsten Führer waren Major a. D. Bruno Ernst Buchrucker, Oberleutnant a. D. Paul Schulz und Polizeihauptmann a. D. Walther Stennes. Das Ziel der »Schwarzen Reichswehr« war der Sturz der Reichsregierung und die Errichtung einer rechten Militärdiktatur. Nach dem Vorbild der italienischen Faschisten wollte sie mit einem »Marsch auf Berlin« die Hauptstadt besetzen und die Regierung beseitigen. Bekannt geworden ist die »Schwarze Reichswehr« durch zahlreiche in ihren Reihen begangene Fememorde und durch den Küstriner Putsch, der jedoch lediglich ein Nachspiel des geplanten Staatsstreichs war. Nach dem gescheiterten Küstriner Putsch wurde die »Schwarze Reichswehr« aufgelöst.

»Frontbann« und SA

Am 15. Oktober 1923 wurde Roßbach wegen mangelnden Fluchtverdachts aus der Haft entlassen. Als er jedoch auf Anordnung der sächsischen Regierung und des Reichswehrministers erneut verhaftet werden sollte, war er bereits im Schlafwagen nach München entkommen. Am 18. Oktober fand im Löwenbräukeller zu Ehren von Roßbach eine Veranstaltung statt, zu der als Ehrengäste Adolf Hitler und Hermann Göring erschienen waren. Auf dieser Veranstaltung machte sich Roßbach über die Dummheit der deutschen Behörden lustig. Mit den gegen ihn erlassenen Haftbefehlen könne er bereits sein Wohnzimmer tapezieren, doch seien die Behörden nicht in der Lage, die von ihm geschaffenen Organisationen so schnell zu verbieten, wie er in der Lage sei, neue ins Leben zu rufen.

Roßbach beteiligte sich am Hitler-Putsch, anschließend floh er zusammen mit Hermann Göring mit gefälschtem Pass über die Grenze nach Salzburg. NSDAP, SA und Kampfbund waren nach dem gescheiterten Hitler-Putsch verboten, viele Führer der NSDAP verhaftet. Am 1. April 1924 wurde Ernst Röhm auf Bewährungsfrist aus der Haft entlassen. Er machte sich sofort daran, sein altes Ziel, eine umfassende Wehrorganisation aller völkischen, mit dem Nationalsozialismus sympathisierenden Kräfte zu schaffen, und hatte zu diesem Zweck in Halle Besprechungen mit dem dortigen »Stahlhelm«-Führer Wolf Heinrich Graf von Helldorf und mit Hauptmann Peter von Heydebreck, als Vertreter der Kampfverbände Norddeutschlands. Im Ergebnis der Unterredungen entstand der »Frontbann«. Dem Oberkommando in München unter Hauptmann Röhm unterstanden vier Gruppenkommandos: Nord, Süd, Ost und West.

Für Berlin und den größten Teil Preußens war das Gruppenkommando Nord zuständig, welches von dem Hauptmann von Heydebreck geleitet wurde. In Berlin besaß die Organisation in verschiedenen Stadtteilbezirken Gruppen mit einer Stärke von jeweils etwa 30 bis 40 Mann, wobei die Charlottenburger »Turnerschaft Ulrich von Hutten« und die »Schlageter-Kompagnie« vom Alexanderplatz den Grundstock des Berliner »Frontbanns« bildeten.

Ende Oktober 1925 wurde in Berlin-Brandenburg der »Frontbann« aufgelöst und die gesamte Führungsriege in Untersuchungshaft genommen. Der Vorwurf: Geheimbündelei und Bildung militärischer Verbände sowie widernatürliche Unzucht mit Abhängigen.
Das Verfahren wurde schließlich eingestellt, dennoch war damit das Ende des »Frontbann« besiegelt. Am 22. März 1926 gründeten daraufhin Kurt Daluege und Waldemar Geyer aus dem »Frontbann« die Berliner SA. Innerhalb der am 17. Februar 1925 in Berlin neu gegründeten NSDAP, die seit dem 14. März 1925 von Regierungsrat Dr. Ernst Schlange geführt wurde, dominierten alsbald die ehemaligen Frontbann-Führer, die zumeist den verschiedenen Roßbach-Organisationen entstammten und nach wie vor den Freikorps- und Wehrverbandsgedanken vertraten. Diese Haltung stand im Widerspruch zu dem legalistischen Kurs, den Hitler nach dem gescheiterten Putsch vom 9. November verfocht und den in Berlin der Gauführer Schlange und die Gebrüder Otto und Gregor Straßer vertraten.

Es kam zu handfesten Auseinandersetzungen und persönlichen Intrigen zwischen den beiden Parteiflügeln, bis sich schließlich Schlange, von den innerparteilichen Auseinandersetzungen völlig zermürbt, wegen Krankheit vom Parteivorsitz beurlauben ließ. Einen Ausweg aus der verfahrenen Situation suchte Hitler zu finden, indem er Dr. Joseph Goebbels zum neuen Berliner Gauführer ernannte, der am 1. November 1926 sein Amt antrat. Als seinen Stellvertreter bestimmte Goebbels den Berliner SA-Führer Kurt Daluege, der bereits im Freikorps Roßbach Abteilungskommandant einer Einheit war. Die Verbindung Goebbels-Daluege war dabei durchaus Programm. Goebbels forderte einerseits die strikte Einbindung und Unterordnung der SA, zugleich kam sein Politikstil den aktivistischen Tendenzen innerhalb der Frontbann-SA entgegen. Nach dem Motto »Hauptsache man spricht von uns« wurde in der Folgezeit die Gewalt bewusst als Teil des politischen Kampfes eingesetzt, wobei es vor allem Daluege war, der die Goebbelsche Politik der Konfrontation in die Tat umsetzte.

SA-Revolten

Zum Obersten SA-Führer im Bereich Ost wurde jedoch nicht Daluege, sondern der Oberleutnant a. D. Walther Stennes im Frühjahr 1927 von Hitler ernannt. Unter seiner Führung entwickelte sich die SA östlich der Elbe zu einer der stärksten Formationen. Ende 1928 trat Kurt Daluege von seinem Posten als Berliner SA-Führer zurück, ab 1929 leitete er die Berliner SS. Nachfolger von Daluege wurde der Stennes-Mann Walter Jahn. Zwischen der SA-Führung um Walther Stennes und der Parteiführung in München um Adolf Hitler kam es alsbald zu Differenzen. Offen kritisierte Stennes die Münchener Bonzen, zu denen er auch Hitler zählte.

Neben Fragen der finanziellen Ausstattung der SA ging es aber vor allem auch um zwei unterschiedliche Positionen, wie die Macht im Staate errungen werden kann. Während sich Hitler auf den Legalitätskurs festgelegt hatte, wandte sich Stennes immer unverhohlener gegen die »Verweichlichung« und »Verbürgerlichung« der Partei und das »erbärmliche Legalitätsgeschwätz«. Es kam in Berlin zu offenen SA-Revolten. Hitler entschloss sich, seinen alten Kampfgefährten und Duzfreund Ernst Röhm nach Deutschland zurückzuholen und ihm das Amt des Stabschef der SA anzutragen. Oberster SA-Führer war nun Hitler selber. Röhm hatte 1925 Deutschland verlassen und eine Stellung als Instruktionsoffizier in der bolivianischen Armee übernommen. Hitler wusste, dass Röhm wegen seiner Homosexualität bei vielen einfachen SA-Männern umstritten war, aber er traute allein ihm zu, das Millionenheer der SA zu disziplinieren und zu führen.

Hitler berief den ehemaligen Führer der »Schwarzen Reichswehr«, Oberleutnant a. D. Paul Schulz, kommissarisch zum neuen Obersten SA-Führer Ost mit der speziellen Aufgabe, die Stennes-Revolte niederzuschlagen. Die Auseinandersetzung zwischen der neuen kommissarischen SA-Führung um Paul Schulz und der alten um Walther Stennes wurden mit aller Härte geführt. Wiederholt kam es zu schweren Schlägereien zwischen den beiden Gruppierungen. Mit Schulz und Stennes standen sich zwei ehemalige Führer der »Schwarzen Reichswehr« gegenüber. Die von Stennes erhoffte große Parteirevolte blieb jedoch aus. Ergebenheitsadressen aus vielen Gauen trafen in München ein, abtrünnige SA-Leute kehrten zur Partei zurück.

Schon Mitte April konnte Schulz dem Gauleiter Goebbels im Sportpalast vor 4.000 zum »Generalappell« Angetretenen eine »gesäuberte« und neu formierte hitlertreue Sturmabteilung melden. Etwa 500 Stennes-Anhänger wurden ausgeschlossen. Zu ihnen gehörte der ehemalige Ehrhardt-Adjutant Leutnant a. D. Herbert Jantzon, der ehemalige Berliner SA-Führer Walter Jahn, der ehemalige Frontbann- und SA-Führer Ernst Wetzel, der ehemalige SA-Oberführer der Provinz Brandenburg, Josef Veltjens, sowie der am Rathenau-Mord beteiligte Ernst Werner Techow und der Scheidemann-Attentäter Hans Hustert. Im Juli 1931 wurde schließlich die SA-Führung neu besetzt. Edmund Heines übernahm die SA-Führung im Gau Schlesien, sein Stabschef wurde Hans Hayn. Stabsleiter der SA-Gruppe Berlin-Brandenburg wurde Karl Ernst. Führer des SA-Gausturms Berlin war schon Ende Mai der aus dem Baltikum bekannte Hauptmann a.D. Heinz von Petersdorff geworden.

Die »Gleichschaltung« der SA

Am 30. Juni 1934 rollte reichsweit eine Aktion ab – in Berlin unter dem Kommando von Göring –, der zahlreiche SA-Führer, aber auch andere Gegner zum Opfer fielen. In der verlogenen Propaganda der Nationalsozialisten wurde diese Aktion als Niederschlagung des »Röhm-Putsches« bezeichnet, in Wirklichkeit bedeutete sie die Ausschaltung von innerparteilichen Gegnern. Am 30. Juni wurden Ernst Röhm und andere SA-Führer in Bad Wiessee, wo sie sich in der Pension Hanselbauer einquartiert hatten, überraschend von Hitler, Viktor Lutze und der SS-Leibstandarte »Adolf Hitler« aus den Betten geholt. Nachdem Röhm sich geweigert hatte, Selbstmord zu begehen, wurde er erschossen, ebenso Heines und andere SA-Führer. Karl Ernst wurde in der ehemaligen Hauptkadettenanstalt in Berlin-Lichterfelde erschossen. Auch der Stettiner SA-Führer Peter von Heydebreck sowie der Stabschef der schlesischen SA, Hans Hayn, wurden exekutiert. An der Niederschlagung der sog. Röhm-Revolte in Schlesien, der viele seiner ehemaligen Kameraden zum Opfer fielen, war auch der frühere Führer der »Schwarzen Reichswehr« Hellmuth v. Pannwitz beteiligt.

Nach der Niederschlagung des sogenannten Röhm-Putsches war die SA »gleichgeschaltet«, sie spielte politisch und militärisch keine Rolle mehr. Die SA, die maßgeblich an der »Machtergreifung« der Nationalsozialisten beteiligt wird, hatte nun ausgedient. Damit war aber auch die Geschichte der Freikorps endgültig beendet. Der Weg der deutschen Freikorps war abenteuerlich, voller Gewalt. Sie waren nicht die Vorläufer des Nationalsozialismus, aber ihre Geschichte ist eng mit dem Aufstieg und Niedergang des Nationalsozialismus verwoben.

www.Bernhard-Sauer-Historiker.de
 

  • 1Vgl. Julek Karl von Engelbrechten/Karl Volz, Wir wandern durch das nationalsozialistische Berlin. Ein Führer durch die Gedenkstätten des Kampfes um die Reichshauptstadt, München 1937, S. 31.
  • 2Kommandant in Auschwitz. Autobiographische Aufzeichnungen von Rudolf Höß. Quellen und Darstellungen zur Zeitgeschichte, Band 5, Stuttgart 1958, S. 34 f.
  • 3Der Angriff, Nr. 49 vom 3.12.1928.