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Faschismustheorien – Interview mit Mathias Wörsching

Interview mit Mathias Wörsching; Autor des Buches „Faschismustheorien – Überblick und EInführung“
Einleitung

Interview mit Mathias Wörsching, Autor des Buches „Faschismustheorien – Überblick und EInführung“.

Seit einiger Zeit lässt sich in diversen Spektren eine inflationäre Nutzung des Wortes „Faschismus“ als inhaltsleerer Kampfbegriff beobachten. So gibt es Konstruktionen wie „Linksfaschismus“ etc. Ist der Begriff noch zu retten? Warum ist es sinnvoll, sich heutzutage noch mit Theorien über Faschismus zu beschäftigten?

Seitdem das Wort „Faschismus“ 1919 geprägt wurde, war es immer zugleich inflationär gebrauchter Kampfbegriff und sinnvolle Analysekategorie. Wenn heute manche Linke vom „Pandemiefaschismus“ faseln, dann zeigt das genau die ungute Tradition, alles als Faschismus zu beschimpfen, was irgendwie autoritär ist, in diesem Fall die staatlichen Maßnahmen zur Eindämmung der Coronapandemie. Aber als Analysekategorie für antifaschistische Theorie- und Strategiedebatten sollten wir den Begriff trotzdem retten, denke ich. Die Faschismus­theorien funktionieren wie Sehhilfen. Wir können ihre Thesen und Modelle auf die heutige extreme Rechte beziehen und dadurch mehr über unsere Gegner*innen erfahren. Wir können besser bestimmen, was gerade die aggressivsten und radikalsten Kräfte im Feld der extremen Rechten sind. Und wir sollten anhand der Faschismus­theorien über gesellschaftliche Perspektiven diskutieren: Wohin entwickelt sich der moderne Kapitalismus? Wo liegen Gefah­renpoten­ziale?

Es ist interessant zu lesen, dass du wenig Erfolg dabei hattest, faschistische Theorien zum Faschismus zu finden. Wie erklärst du dir das?

Naja, genau genommen habe ich nur ein paar Stichproben gemacht und dabei schnell den Eindruck gewonnen, dass faschistische Intellektuelle eigentlich keine Faschismustheorien zu bieten haben, oder jedenfalls nicht das, was ich unter wissenschaftlichen Theorien verstehen würde. In faschistischen Texten geht es eher um Mythos, Glauben, Identitätskonstruktion, Traditionserfindung, vor allem auch um Feindbestimmung.

Du stellst ja diverse Faschismustheo­rien vor. Gibt es dabei welche, die du am überzeugendsten findest? Wenn ja, warum? Falls nein, wie kommt es dazu?

In meinem Buch behandele ich nur Theorien, die ich zumindest für irgendeinen Einzelaspekt aussagekräftig finde. Es ist immer die Frage: Willst du wissen, was einzelne Personen zum Faschismus treibt? Dann guckst du dir vielleicht die psychoanalytisch inspirierten Theorien vom „autoritären Charakter“ an. Oder willst du wissen, was den Faschismus als Oppositionsbewegung ausmacht – dann helfen dir besonders die „ideozentrischen“ (ideengeschichtlichen) oder „praxeologischen“ (praxiszentrierten) Theorien. Wenn du den Faschismus als Herrschaftssystem im modernen Kapitalismus betrachtest oder wenn du fragst, warum der Faschismus ab einem bestimmten Zeitpunkt in der Geschichte auftaucht (ab Ende des 19. Jahrhunderts), dann solltest du vor allem marxistische Faschismusforschung studieren. Meiner Meinung nach hat aber jeder Ansatz nicht nur Stärken, sondern auch Schwächen. Ich formuliere im Buch mehrmals solidarische Kritik an marxistischen Ansätzen, weil ich das für heutige linke Debatten wichtig finde.

Aktuell lassen sich in vielen Ländern Erfolge von sog. „rechtspopulistischen“1 Parteien beobachten. Die AfD in Deutschland wird von einigen als faschistisch bezeichnet. Wie würdest du das bewerten?

Völlig klar ist einerseits, dass viele AfD-­Politiker*innen Elemente faschistischer Ideologie vertreten und sich faschistischer Rhetorik bedienen. Der Soziologe Andreas Kemper hat das am Beispiel Björn Höckes überzeugend dargestellt. Doch andererseits ist die AfD strukturiert wie eine normale bürgerliche Partei und ihr fehlen die milizartigen männlichen Kampfbünde, die für Faschismus typisch sind und ihm überhaupt erst seinen Namen gaben (nach den 1919 in Italien gegründeten „Kampfbünden“ fasci di combattimento). Die Wahlprogramme der AfD, die ich kenne, finde ich ebenfalls nicht faschistisch.

So wie ich das sehe, haben sich die unterschiedlichen Fraktionen der AfD auf ungefähr diesen Minimalkonsens geeinigt: Sie wollen zurück zu einem souveränen Nationalstaat, der im Inneren autoritär und entlang traditioneller Geschlechternormen strukturiert sowie ethnisch-kulturell einheitlich ist, während er nach außen tradi­tionelle, militarisierte Macht- und Interessenpolitik betreibt. Dieses reaktionä­re Projekt wäre nur gewaltsam durchsetzbar. Aber ist das schon Faschismus? ­Sicher, Teile der AfD gehen ideologisch in faschistische Richtung und wir sehen ja seit Jahren bei dieser Partei eine Selbstradikalisierung nach rechts. Also könnten wir zumindest den Höcke-Flügel schon als prä- oder protofaschistisch bezeichnen, als Vor- oder Frühform einer faschistischen Bewegung.

Aber mit den Wörtern „präfaschistisch“ und „protofaschistisch“ ist es nicht anders als mit den Wörtern „faschistoid“ und „Faschisierung“ oder mit dem Faschismusbegriff an sich: Sie werden leicht zu völlig inhaltsleeren Kampfbegriffen. Also wäre immer die Frage konkret zu beantworten: Was oder wer bei der AfD ist oder wird inwieweit faschistisch?

Vielen Dank für das Interivew!

Der Autor Mathias Wörsching, Historiker und Politologe aus Berlin, engagiert sich seit vielen Jahren gegen die extreme Rechte. Er betreibt die Internetseite faschismustheorie.de

  • 1Kritik am Begriff vgl. AIB Nr. 118 / 1.2018