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Ein wenig mehr als Feuerwehr

Ein Beitrag der Gruppe Antifa Kleinparis (Leipzig)
Einleitung

Antifaschistische und antirassistische Praxis in Zeiten von Freital und Heidenau

Während in Sachsen fast täglich der rassistische Mob wütet und Asylunterkünfte angegriffen, angezündet, geflutet oder beschossen werden und die Landesregierung immer wieder Verschärfungen des Asylrechts fordert und nebenbei humanitäre Notlagen für Geflüchtete produziert, sucht die in der Fläche nur schwach vertretene antirassistische und antifaschistische Linke nach Möglichkeiten effektiver Interventionen.

Am Samstag den 22. August 2015 demonstrierten im sächsischen Heidenau 250 Menschen ihre Solidarität mit den Geflüchteten. Am Vorabend hatten sich Rassisten, Neonazis und Hooligans Strassenschlachten mit der Polizei geliefert, um zu verhindern, dass Flüchtlinge in einen umgebauten Baumarkt einziehen.

Dresden-Friedrichstadt, Freitagabend, 24. Juli 2015. In der Bremer-Straße haben sich ca. 150 Antirassist*innen versammelt, um die sogenannte Zeltstadt vor möglichen Angriffen aus einer Kundgebung der NPD heraus zu verteidigen und die menschenwürdige Unterbringung von Refugees zu fordern. Seitens der NPD hatten sich ca. 80 Rassist*innen zusammengerottet, um das gerade in Eröffnung befindliche Zeltlager als Manifestationsort für widerlichen, völki­schen Rassismus zu nutzen. Die Polizei ist nur mit knapp einer Hundertschaft präsent und schafft es mit Mühe und Not eine räumliche Trennung zur NPD-Kundgebung auf der anderen Straßenseite aufrecht zu erhalten. Kurz nachdem diese vom NPD-Kreisverband Dresden aufgelöst wird, versuchen große Teile der Neonazikundgebung die Antirassist*innen vor dem Lager zu atta­ckieren. Zuerst trifft es ein Kamerateam des Senders ZDF, anschließend versuchen Hoo­ligans der SG-Dynamo die Reihen der Polizei zu durchbrechen und werfen Baustellenschilder, Flaschen und Böller auf die Sup­por­­ter*innen. Drei Supporter*innen werden verletzt. Die Polizei setzt unter dessen weiterhin auf Deeskalation, trägt anfangs keine Helme, unterlässt den Einsatz von Pfefferspray und löst die Versammlung der NPD nur sehr langsam auf. Die ganze Nacht befinden sich Gruppen von bis zu 40 Rassist*innen im Viertel und versuchen das Zeltlager wiederholt anzugreifen. Während der ganzen Nacht erreichen Busse mit Geflüchteten aus der überfüllten ZAST in Chemnitz das Zeltlager. Am frühen morgen werden es ca. 500 Menschen sein. Die Unterstützer*innen sind abwechselnd und in Arbeitsteilung damit beschäftigt, das Umfeld zu überwachen, Neonazis entgegenzutreten und die Geflüchteten bei ihrer Ankunft im Lager zu begleiten.

Antirassist*innen im Dilemma

Selten verdichteten sich die Widersprüche gegenwärtiger linksradikaler Politik wie an diesem Abend. Die Unterbringung von Geflüchteten in der sogenannten Zeltstadt, in die unter schlimmsten humanitären Bedingungen inzwischen bis zu 1.100 Menschen gepfercht wurden, konnte schon am Abend der Eröffnung von Antirassist*innen nicht befürwortet werden. Trotz dessen sehen sich Antirassist*innen in Sachsen der­zeit damit konfrontiert, die schlimmsten Zustände rassistischer Geflüchtetenverwaltung, die noch Asylpolitik genannt wird, nicht offen anzugreifen. Antirassist*innen scheinen sich damit zufrieden geben zu müssen, das erreichte Minimum vor dem Zugriff durch rassistische Zusammenrottungen zu verteidigen. Dieses strategische Dilemma drückt sich auf verschiedenste Weise aus: Erstens gibt es bisher keine praktische, antirassistische Antwort auf die zunehmende Verschärfung des Asylrechts und die unhaltbaren Bedingungen, denen Geflüchtete derzeit in Sachsen, aber auch bundesweit, ausgesetzt sind. Zweitens: Entgegen vieler Darstellungen ist der gegenwärtige Asyldiskurs nicht allein von einer „das Boot ist voll“-Rhetorik geprägt. Vieler­orts ist gelebte Solidarität mit Geflüchteten zu sehen und gerade angesichts der aktu­ellen Zuspitzung scheint sich diese gesell­schaftlich stärker zu verbreiten. Drittens führt diese gelebte Solidarität bisher nicht ansatzweise dazu, dass sich die politischen Verhältnisse progressiv entwickeln würden. Die Bewegung befindet sich in einem Abwehrkampf gegen Rassist*innen und staat­liche Strukturen, allen voran gegen die Innen­ministerien von Bund und Ländern, die kaum einen Anlass auslassen, Asylrechts­ver­schär­fungen zu fordern und durchzusetzen.

Die Eskalation vor dem Zeltlager in Dresden-Friedrichstadt war jedoch nur ein vorläufiger Höhepunkt angesichts der jüngsten Ereignisse in Heidenau und des schon lange anhaltenden, asylfeindlichen Diskurses in Sachsen. Erinnert sei an dieser Stelle an die rassistischen Fackelmärsche von Schneeberg im Winter 2013, an die ebenfalls von der NPD angeleiteten „Nein-Zum-Heim“ Proteste, die die Eröffnung von vielen Asylsuchendenheimen begleitete und nicht zuletzt an die PEGIDA-Bewegung, die diese rassistische Grundstimmung erfolgreich für sich zu nutzen wusste. Der in AIB Nr. 106 beschriebene PEGIDA-Effekt zeigt mittlerweile deutlich seine Folgen. Während die montäglichen Aufmärsche einen stetigen Rückgang der Teilnehmendenzahl erfahren, kommt es vor allem im Ballungsraum Dresden vermehrt zu rassistischen Protesten, die sich direkt gegen Unterkünfte und Asylsuchende richten, wie in Freital, Meißen, Mittweida und Heidenau. Hier marschiert PEGIDA-Personal Seite an Seite mit bekennenden Neonazis. Solche Proteste werden allerorts von Anschlägen begleitet, die teils erfolgreich die Eröffnung von Unterkünften verhinderten oder hinauszögerten. Trotz der jüngsten verbalen Verurteilung solcher Taten von Spitzenpolitiker*innen des Landes und Bundes erfahren die lokalen Anti-Asyl-Akteure immer wieder eine Verharmlosung, Rechtfertigung und Zustimmung durch lokale Politiker*innen aus den Reihen von CDU1  und AfD.

Kaum mehr möglich als Feuerwehrpolitik

Die gängige antifaschistische Gegenstrategie ist bis dato durch eine Feuerwehrpolitik gekennzeichnet, die vor allem durch Mobilisierungen aus den Städten Leipzig und Dresden getragen und seit den Ereignissen in Freital auch durch einige auswärtige Anti­rassist_innen unterstützt wurde. Die Erfolge dieser Strategie sind dabei beschränkt. Neben einem medialen Blaming der jeweiligen Orte konnten solche Mobilisierungen allenfalls die sicherheitspolitische Linie beein­flussen. Während Ersteres lokale Akteure zur Positionierung zwang und teilweise einen Keil zwischen bekennende Neonazis und ,besorgte Bürger’ trieb, führte Zweiteres zum Teil auch zur Einschränkung der Versammlungsfreiheit auf Seiten der rassistischen Mobilisierungen, wie beispielsweise in Freital am 31. Juli 2015, als ein Konzert der rassistischen Musikercombo „A3stus“ direkt vor der Asylsuchendenunterkunft abgesagt wurde. Gleichzeitig jedoch wurde in Freital ein Straßenfest der „Organisation Freital für Weltoffenheit und Toleranz“ vom Platz vor dem Heim in die Innenstadt verlegt, mit der vielsagenden Begründung, dass es vor dem Heim immer wieder zu Auseinandersetzungen zwischen „Asylbefürwortern und Asylgegnern“ gekommen sei. Auch in Heidenau war am Wochenende nach den massiven Angriffen auf Polizei, Geflüchtete und Antirassist*innen die Ankündigung antirassistischer Proteste der maßgebliche Anlass für ein generelles Versammlungsverbot, welches letztlich mit Polizeinotstand begründet und gegenüber dem rassistischen Mob weitestgehend durchgesetzt wurde. Ein anti­rassistisches Willkommensfest stand auf Grund des konsequenten Versammlungs­verbots bis zu seinem Beginn auf der Kippe, auch weil man Ausschreitungen des „Black Blocks“ befürchtete. Von den meisten Lokal­medien werden solche extremismus-theoretisch inspirierten Deutungen derzeit dan­kend übernommen.

Deutscher Rassismus, zu Hause in Sachsen

Für Sachsen lässt sich festhalten, dass sich eine breite asyl- und migrationsfeindliche Bewegung etabliert hat, die arbeitsteilig vorgeht und den derzeitigen Diskurs um Migration und Asyl dominiert. Das Problem bleibt der altbekannte deutsche Rassismus. Dabei gilt es klar zu benennen, dass Teile der Landesregierung und Lokalpolitik Bestandteil dieses Problems sind. Genauso wie die marodierenden Neonazibanden, die vor Brandanschlägen und Waffengewalt nicht zurückschrecken. So wird auf die steigende Zahl von Geflüchteten mit der Einrichtung menschenunwürdiger Notunterkünfte in Form von Zeltlagern und Turnhallen reagiert und somit bewusst das Bild vom Asylnotstand produziert. Gleichzeitig werden diese Notunterkünfte von Rassist*innen als Mani­festationsorte für ihren Rassismus benutzt, wobei es auch immer wieder zu Übergriffen auf Supporter*innen der Geflüchteten kommt. Von Polizei und Verfassungsschutz werden diese als Ausschreitungen zwischen „Asylbefürwortern“ und „Asylkritikern“ gedeutet. Sachsens Innenminister Ulbig, maßgeblich verantwortlich für das mutmaßlich politisch gewollte Versagen der Polizeikräfte in Heide­nau und anderswo, lässt derzeit kein Ereignis aus, um die weitere Verschärfung des Asylrechts zu fordern, z.B. ein Sonderlager für Geflüchtete vom Westbalkan oder die Kürzung ihres „Taschengeldes“. Dies alles sind bekannte Reaktionsmuster aus den Anfängen von PEGIDA, als Ulbig die Schaffung einer Sonderpolizeieinheit für „kriminelle Asylsuchende“ versprach und die Parolen der Bewegung damit befeuerte. Das Verhalten der Landesregierung macht deutlich, dass sie in den rassistischen Protesten von PEGIDA bis NPD kein Problem sehen, weil sie meinen, dass diese ihre rassistische Politik nur auf dem parlamentarischen Weg durchsetzen (lassen) wollen. Bedrohungen, Übergriffe, Anschläge und pogromartige Zustände wie in Freital, Meißen und Dresden werden dadurch konsequent heruntergespielt und der alltägliche Terror von Ras­sist*innen zur „Asylkritik“ verniedlicht. Der sächsische Verfassungsschutz, der mutmaßlich auch bekennende AfD-Funktionäre in seinen Reihen duldet2 , geht in einer aktu­ellen ,Analyse’ sogar so weit zu empfe­hlen, die „asylkritischen Initiativen des Frei­staates Sachsen sollten daher sensibel und mit deutlicher Abgrenzung auf das Engagement von Rechtsextremisten reagieren“3 . Erst nach Heidenau und bundesweiter massiver Kritik an der CDU-Landesregierung sprach Minis­terpräsident Tillich wenig über­zeugend von „Grenzen“, die „überschritten worden“ seien.

Konkreter Schutz, konsequente Kritik und praktische Solidarität

Die Linie der derzeitigen sächsischen Landesregierung ist nicht nur durch die konse­quente Verharmlosung eines allgegenwärtigen Rassismus gekennzeichnet, sondern sie produziert auch die Bilder, Zustände und Orte einer Elendsverwaltung, die jene Rassist*innen brauchen um ihre Vorurteile zu bestätigen und auszuleben. Solange sich der rassistische Mob vor Asylsuchendenunterkünften und an Orten wie dem Dresdener Zeltlager versammelt und die sowieso schon skandalösen Zustände weiter verschärft, gilt es den Neonazis und Rassist*innen ent­schlossen und konsequent entgegen zu treten. Nur so kann vielerorts in Sachsen derzeit der konkrete Schutz und die Unversehrtheit der Geflüchteten vor dem Zugriff des rassistischen Mobs gesichert werden. Die auch in antirassistischen Krei­sen naive Annahme, die staatliche Exekutive werde im Zweifelsfall eine erneutes Pogrom verhindern, muss prinzipiell, vor allem aber mit Blick auf die aktuellen sächsischen Zustände und die Erkenntnisse aus Rostock-Lichtenhagen, als geschichtsvergessen und gefährlich betrachtet werden. Eine anti­rassistische Linke muss jedoch auch viel stärker als bisher die Linie der sächsischen Landesregierung angreifen und dem Bild vom Asylnotstand das Bild der praktischen Solidarität mit Geflüchteten entgegensetzen. Die vielen Freiwilligen, die in Dresden, Chem­nitz, Leipzig und anderen Orten des Bundeslands tagtäglich praktische Hilfe leisten, zeigen, dass viele Menschen nicht bereit sind, die Zustände zu akzeptieren. Der Rück­zug des Netzwerks „Dresden für alle“ aus der Verwaltung des Zeltlagers war in diesem Sinne ein richtiges und wichtiges Signal aus den Reihen der Unterstützer*innen. Es zeigt, dass Antirassist*innen nicht bereit sind, Teil der Inszenierung der sächsischen Landes­regierung zu sein. An diese Haltung sollten antirassistische Gruppen anknüpfen und den Protest gegen rassistische, menschenverachtende Zustände nachdrücklicher werden lassen.

Die Proteste gegen die Verlegung von 51 Geflüchteten aus einer Notunterkunft in Leipzig-Connewitz nach Heidenau am Montag nach den pogromartigen Ausschrei­tungen vermitteln eine Idee davon, wie eine emanzipatorisch-antirassistische Praxis aus­sehen kann, die sich an den Bedürfnissen von Geflüchteten orientiert4 . Innerhalb eines zehntägigen Protestcamps, das vom Bündnis Refugees Welcome und vielen weiteren Supporter*innen getragen wurde, erkämpf­ten Antirassist*innen menschenwürdigere Unterbringungsmöglichkeiten, organisierten gemeinsam mit den Ge­flüch­teten eine Demons­tration mit über 1300 Teilneh­men­den sowie Verpflegungen und Alltag, Rechts­beratung und Partys — und schufen so Räume praktischer Solidarität, die die sächsischen Zustände temporär aushebeln konn­ten.

  • 1Der sachsenkritische Journalist Matthias Meißner über den Freitaler Oberbürgermeister Uwe Rumberg (CDU), der von Asylsuchenden als „Glücksrittern, die nach Deutschland kommen, um auf Kosten der Gemeinschaft ein sorgloses Leben ohne Gegenleistung zu führen“ spricht, und andere ,Asylkritik’ in den Reihen der sächsischen CDU; www.tagesspiegel.de/politik/pegida-freital-meissen-und-die-cdu-in-sachsen-ist-was-faul/11982850.html
  • 2Informationen über den AfD-Rechtsaußen Hendrik Seidel in der Rubrik NS-Meldungen auf Seite 4
  • 3Artikel des sächsischen Landesamtes für Verfassungsschutz: „Rechtsextremisten versuchen weiterhin Einfluss auf Anti-Asylveranstaltungen im Freistaat Sachsen zu nehmen“
  • 4Hintergrundinformationen, Pressemitteilung und den Aufruf zur Demo findet man auf der Website des Bündnisses ,Refugees Welcome Leipzig’; www.refugeeswelcome.blogsport.eu/