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Die NSU-Helfer_innen aus Sachsen

NSU-Watch Sachsen
Einleitung

Das Ende des ersten, und nach allem was wir bis heute wissen, auch des letzten NSU-Prozesses im Juli 2018, dürfte in den Kreisen des sächsischen NSU-Unterstützungsnetzwerks mit Wohlwollen aufgenommen worden sein. Der langjährige NSU-Unterstützer André Eminger verließ das Gericht auf freiem Fuß. Die Verkündung des Strafmaßes, eine zweieinhalb-jährige Haftstrafe wegen Unterstützung eine terroristischen Vereinigung, wurde von anwesenden Neonazis lautstark beklatscht. Das Urteil hat, auch wenn es noch nicht rechtskräftig ist, eines klar gemacht: Die Strukturen und Personen, die das Unter-tauchen des Kerntrios in Chemnitz und Zwickau für mehr als ein Jahrzehnt möglich gemacht haben, brauchen juristische Verfolgung nicht zu fürchten.

Bild: Screenshot von twitter/Foto: Tim Mönch

Gunter Fiedler unterstützte das Untertauchen des späteren NSU.

Dabei war dieses Umfeld auf unterschiedliche Art und Weise involviert, als die Grundlagen für eine rechtsterroristische Kampagne mit Rohrbombenanschlägen, einer bundesweiten rassistischen und rechten Mordserie sowie zahlreichen Raubüberfällen gelegt wurden. Aber Verjährungen, fehlende Beweise, unzureichende Ermittlungen und fehlender Ermittlungswille spielen dem Unterstützungsnetzwerk in die Karten.

André Eminger ist dafür sicher ein Paradebeispiel. Schon während des Prozesses führte er seine neonazistischen Aktivitäten ungeniert weiter. 2015 besuchte er mit mehreren Begleitern eine Demonstration des Münchner PEGIDA-Ablegers „Bagida“1 . Im Sommer 2017 war er Gast des Neonazi-Großevents „Rock gegen Überfremdung“ in Themar. Mit 6.000 Teilnehmenden war das einer der bedeutendsten Szenezusammenkünfte der vergangenen Jahre. Auch auf Kampfsportveranstaltungen des rechtsoffenen "Shuri Gym Zwickau" war Eminger wiederholt Gast.2 So verfolgte er etwa einen Kampf von Thore Probst, dessen Eltern Michael und Antje Probst prominente Mitglieder der sächsischen „Blood & Honour“-Division waren.3 Aber auch überschaubare, öffentliche Veranstaltungen scheut Eminger nicht: Anfang September 2017 nahm er an einem Aufmarsch des „Der III. Weg“ in Zwickau teil.4 Die Neonazi-Kleinstpartei mobilisierte etwa 100 Teilnehmende unter dem Motto „Kriminelle Ausländer raus – Heimat schützen5 und zog durch das örtliche Plattenbaugebiet Neuplanitz.

Es sind klare Botschaften, die Eminger damit sendet: Mir kann niemand etwas. Das zeigt sich auch im Mai 2016: Eminger hat einen 18-jährigen Jugendlichen in ein Parkhaus bestellt. Vorausgegangen war eine Auseinandersetzung: Der 14-jährige Sohn Emingers soll den 18-Jährigen beschimpft haben. Der ließ sich das nicht gefallen und schubste Emingers Sohn. Später sei er informiert worden, dass dessen Vater ihn sprechen wolle. An Worten war Eminger aber nicht interessiert. Er schlägt und tritt sofort auf den Jugendlichen ein, bedroht ihn mit dem Tod. Der 18-Jährige muss anschließend ambulant imKrankenhaus behandelt werden. Die Staatsanwaltschaft erlässt einen Strafbefehl, Eminger geht in Widerspruch. Vor dem Amtsgericht wird er im Mai 2017 zu einer Geldstrafe von 676 Euro verurteilt, auch dagegen legt Eminger Widerspruch ein. Seitdem ruht das Verfahren. Warum? Niemand weiß es.

Gleiches gilt für die Helfer:innen des NSU. Nach wie vor läuft ein Ermittlungsverfahren der Bundesanwaltschaft gegen neun Personen aus dem Unterstützungskreis. Passiert ist dort aber schon lange nichts mehr6 , eine Anklage nahezu ausgeschlossen. Das Verfahren fokussiert sich auf insgesamt neun Personen, die verschiedener Unterstützungshandlungen verdächtigt werden. Acht von ihnen sind aus Sachsen, eine Person aus Thüringen: Max-Florian Burkhardt, Matthias Dienelt, Susann Eminger, Mandy Struck, Thomas Starke, Jan Botho Werner, Pierre Jahn und Hermann Schneider, sowie André Kapke.

Mehrere dieser Personen geben an, dass sie sich von der Neonazi-Szene distanziert haben bzw. ausgestiegen sind. Solche Aussagen sind immer mit Vorsicht zu genießen. Oft steht das Interesse im Vordergrund, die eigene Rolle im Hinblick auf laufende Ermittlungen und die interessierte Öffentlichkeit klein zu reden. So behauptet etwa Mandy Struck wiederholt, sie habe sich ca. 2005 von der Szene gelöst. Bekannt ist bereits, dass sie dennoch bis 2011 Mitglied der mittlerweile verbotenen neonazistischen „Hilfsorganisation für nationale politische Gefangene“ (HNG) war. Und auch Jahre später tauchte der Name Mandy Struck in neonazistischen Zusammenhängen auf – und zwar in den Registerunterlagen des 2017 gegründeten erzgebirgischen Vereins „Unsere Heimat – Unsere Zukunft“ (UHUZ).7 Eine Mandy Struck hat sich dort in eine Anwesenheitsliste zu einer Vereinsversammlung eingetragen. Geführt wird der Verein von Maik Arnold, ehemaliges Mitglied der seit 2014 verbotenen „Nationalen Sozialisten Chemnitz“ und mittlerweile Stützpunktleiter des „Der III. Weg“. 2014 wurde bei ihm ein Exemplar der „NSU/NSDAP-CD“ sichergestellt.8

Neue Erkenntnisse liegen seit 2019 auch zu Susann Eminger vor, die mit ihrem Mann André Eminger und fünf Kindern mittlerweile in Wilkau-Haßlau unweit von Zwickau wohnt. Sie hat – wie ihr Lebensgefährte – aus ihrer Weltanschauung nie einen Hehl gemacht. Im Prozess stritt sie erfolgreich darum, als Beistand neben ihrem Mann Platz nehmen zu können. Auf die Anklagebank gehört sie aber aus anderen Gründen: Schwer belastet wird sie durch die Ermittlungen zum ersten Rohrbombenanschlag des NSU im Juni 1999. Beim Aufräumen nach der Eröffnungsfeier der Pilsbar „Sonnenschein“ detonierte ein als Taschenlampe getarnter Sprengsatz. Der junge Besitzer Mehmet O. wird schwer verletzt. Erst 2013 kann der Anschlag dem NSU zugeordnet werden. Die Ermittlungen werden neu aufgerollt. Mehmet O. wer-den Lichtbilder von 115 Personen aus dem NSU-Komplex vorgelegt. Dabei erkennt er Susann Eminger wieder: „Ich habe sie irgendwo gesehen, von irgendwoher kenne ich die. (...) Vielleicht war sie in meinem Laden drinnen.“9 Die Tat selbst wurde im NSU-Prozess aus „prozessökonomischen Gründen“ außen vor gelassen. Wie der spä-tere Tatort ausgekundschaftet wurde, ist bis heute offen.

Der offenkundige Unwille das Helfer_innen-Netzwerk juristisch zur Verantwortung zu ziehen, spiegelt sich im Verhalten damaliger Akteure wieder. Sie wiegen sich in Sicherheit und signalisieren mal mehr, mal weniger subtil Sympathie mit dem NSU. Lars Franke, in den 1990ern Mitglied der „Skinheads Chemnitz 88“, heute Stadtrat für die AfD in Chemnitz, forderte Ende letzten Jahres im Kulturausschuss der Stadt „mehr rechte Kultur“. Als Beispiel, so erklärte Franke ungeniert weiter, könne der Jugendclub „Piccolo“ gelten. Der war in den 1990ern zentraler Anlaufpunkt der Neonaziszene, die Club-Durchwahl fand sich auf der bekannten Telefonliste von Uwe Mundlos.

Andere NSU-Helfer:innen reüssieren als seriöse Unternehmer. Armin Fiedler betreibt heute eine Pizzeria10 und mehrere Edeka-Märkte11 in Sachsen.12 1998 chauffierte er zusammen mit seinem Bruder Gunter Fiedler das NSU-Kerntrio Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe zum ersten Unterschlupf. Im Dezember 1998 erbeuteten drei Täter ausgerechnet in einem Edeka-Markt etwa 30.000 DM – es war der erste bekannte NSU-Überfall. Fiedler jedenfalls dürfte sich bei Edeka ausgekannt haben: Er arbeitete damals bereits für verschiedenen Filialen des Unternehmens. Als Zeuge im NSU-Prozess trug er nicht zur Aufklärung bei, sondern glänzte mit großen Erinnerungslücken. Die Bande zu den angeklagten Kameraden, sie hält offenbar nach wie vor. Und zu wenige stört das.