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Die extreme Rechte in Österreich

Andreas Peham
Einleitung

Als kurz nach der Jahrtausendwende die Freiheitliche Partei Österreichs (FPÖ) in eine Koalitionsregierung mit der konservativen Österreichischen Volkspartei (ÖVP) genommen wurde, waren die gezeigte Freude und Aufbruchstimmung im heimischen Neonazismus groß. Nicht zu Unrecht: Zwischen 2000 und 2005 durften Neonazis als solche demonstrieren, erst nachdem im April 2005 die Rest-FPÖ unter Heinz-Christian Strache aus der Regierung geflogen war, kam das NS-Verbotsgesetz auch in Bezug auf die Zulassung von Aufmärschen wieder zur Anwendung. Als im Dezember 2017 neuerlich eine Koalitionsregierung aus ÖVP und FPÖ angelobt1 wurde, waren die Reaktionen unter Neonazis verhaltener. Warum?

  • 1vereidigt, Anm. d. Red.
Foto: DÖW

Herwig Götschober (rote Kappe) zusammen mit Martin Sellner (Bildmitte) im Neonazi-Pulk auf dem Weg zum Grab eines Nazi-Idols, Wien 2009.

„Führerloser Widerstand“

Zunächst ist die Schwächung der Neonazi­szene bis zur „Flüchtlingskrise“ 2015 für deren verhaltene Reaktionen verantwortlich zu machen. Nur in Vorarlberg sowie in Teilen Oberösterreichs und der Steiermark konnte sich eine neonazistische Subkultur weitgehend erhalten. Demgegenüber war die ostösterreichische Szene rund um Gottfried Küssel nach der Zerschlagung der "Alpen-Donau-Gruppe" und der Verhaftung ihrer Anführer im Frühjahr 2011 zunächst durch Desorientierung und Schockstarre geprägt. Aber schon nach der Haftentlassung des engen Küssel-Vertrauten Felix Budin Anfang 2015 und den damals beginnenden Freigängen Küssels, des unangefochtenen Anführers, nahmen die einschlä­gigen Aktivitäten wieder zu.

Wieder andere besannen sich unter dem Druck der damaligen Repression auf das „Frontkonzept“ aus den frühen 1990er Jahren und begannen in der FPÖ und ihrem korporierten Umfeld, Unterschlupf und Betätigungsfeld zu suchen. Beides wird von der nunmehrigen Regierungspartei jedoch nur gewährt, wenn sie sich zumindest nicht öffentlich entsprechend ihrer Weltanschauung äußern. Sickert einmal aus dem Inneren des Milieus die dort tatsächlich gepflogene Gesinnung durch — zuletzt in Form antisemitischer Hetzlieder von eng mit der FPÖ verflochtenen Burschenschaften — muss mittlerweile die Härte des Gesetzes gezeigt werden. Aber weil sich der Rechtsstaat einmal mehr als zahnlos erweisen wird, sind die betroffenen FPÖ-Kader schon wieder im Amt oder auf dem Rückweg dorthin.

So Herwig Götschober von der Burschenschaft Bruna Sudetia, dem ein antisemitisches Liederbuch zugeschrieben wird: Seine Beurlaubung als Social-Media-Beauf­tragter des Infrastrukturministers Norbert Hofer dauerte gerade einmal ein paar Tage. Götschober werden Kontakte in die einschlägige Szene attestiert: 2010 war er etwa auch mit dafür verantwortlich, dass der "Blood & Honour"-Aktivist Gregor Tschenscher zeitweilig die FPÖ-Security verstärken konnte. Ein Jahr davor marschierte er im Pulk mit Küssel-­Gefolgsleuten am Grab eines Nazi-Kriegshelden am Wiener Zentralfriedhof auf.

Götschobers Vorgesetzter ist heute René Schimanek, den Hofer zu seinem Kabinettschef ernannt hat. Auch Schimanek weist eine einschlägige Vergangenheit auf: Er war bis in die späten 1980er Jahre in Küssels Neonazi-Gruppierung "Volkstreue Außerparlamentarischen Opposition" (VAPO) aktiv, übernahm aber im Gegensatz zu seinem Bruder Hans-Jörg Schimanek dort keine Führungsfunktionen. Was man von Hubert Erhardt nicht behaupten kann: Der von FPÖ-Klubchef Johann Gudenus als Sprecher geholte „Alte Herr“ der Burschenschaft Teutonia Wien hatte es bei der VAPO zum „Kameradschaftsführer“ gebracht.

Grenzverwischungen

Wie stark die Grenzen zwischen extremer Rechter und Neonazismus hierzulande verschwommen sind, zeigte sich etwa 2016 in Linz: Beim „Kongress ›Verteidiger Europas‹“ sprach der nunmehrige Innenminister Herbert Kickl.

Oberösterreich kann geradezu als Laboratorium der Neustrukturierung des Dritten Lagers1 gesehen werden: Hier haben sich ehemalige Kader des neonazistischen "Bund freier Jugend" (BfJ) rund um Stefan Magnet früh im engsten Umfeld der FPÖ angesiedelt und zusammen mit den Recken von der Burschenschaft Arminia Czernowitz zu Linz prägen sie heute insbesondere die Linzer FPÖ unter Detlef Wimmer, auch er ein Armine. Ex-BfJ-Kader und Arminen gründeten im Frühjahr 2015 das aufwendig produzierte Hochglanzmagazin "Info Direkt", das gemeinsam mit der freiheitlichen Hetzseite "unzensuriert.at" und der deutschen Geldbeschaffungstruppe „Ein Prozent“ zum Linzer Kongress einlud.

"unzensuriert.at" wurde bis zu den Wahlen vom Verfassungsschutz dem „nationalistischen Lager“ zugeordnet. Nachdem Alexander Höferl, „Alter Herr“ der Burschenschaft Gothia und "unzensuriert"-Chefredakteur von Innenminister Kickl zum Kommunikationschef bestellt worden war, hat letzterer in einer seiner ersten Amtshandlungen den Chef des Verfassungsschutzes suspendieren und bei Hausdurchsuchungen kistenweise vertrauliche Akten über die Neonaziszene mitnehmen lassen. Nach anfänglichem Leugnen muss heute sogar die Justiz einräumen, dass diese wohl illegal kopiert worden seien. Neben freiheitlichen Begehrlichkeiten gegenüber dem Wissensstand des Verfassungsschutzes sind wohl Revanchegelüste für die personellen Säuberungen im Innenministerium verantwortlich zu machen.

Tatsächlich haben Burschenschafter noch Rechnungen offen: Laut Medienberichten soll der Verfassungsschutz, der offiziell seit 2001 — nach Interventionen der damaligen Regierungspartei FPÖ — die deutschvölkischen Verbindungen nicht mehr beobachtete, sein Augenmerk zuletzt wieder auf dieses Milieu gerichtet haben. Dass der Innenminister mit Roland Teufel ausgerechnet einen „Alten Herren“ der Innsbrucker Brixia zum Kabinettschef gekürt hat, lässt nichts Gutes erwarten.

Spaltungslinien

Nicht nur der Umbau des Verfassungsschutzes im freiheitlichen Sinne, das gesamte „Reformprojekt“ mit all seinen Grausamkeiten für Geflüchtete und sozial Schwächere wäre durch unbedachten Aktivismus des „Narrensaumes“2 des freiheitlichen Lagers gefährdet. Eben darum verhält sich dieser momentan so auffällig ruhig. Jene, die ausscheren, werden künftig wohl weiterhin und auch verstärkt die Härte des NS-Verbotsgesetzes spüren — was für die FPÖ den positiven Nebeneffekt hat, sich nicht wie nach der Jahrtausendwende eine Begünstigung des Neonazismus nachsagen lassen zu müssen. Der extrem rechte Marsch durch die Institutionen fordert Opfer unter jenen, die sich dem neuen Kurs und der neuen Sprachregelung nicht anpassen wollen.

Dabei scheint die Parteispitze, nicht einmal vor verdienten Kameraden Halt machen zu wollen: Rund um die diesjährigen Gedenkfeiern zur Befreiung vom Nazismus verstärkte sich die Kritik an der FPÖ, die einerseits der jüdischen Opfer gedenke und andererseits es zulasse, dass im freiheitlichen Akademikerblatt "Die Aula" KZ-Überlebende als „Massenmörder“ und „Landplage“ bezeichnet werden. Nach jahrelanger schweigender Zustimmung zu den Inhalten des „freiheitlichen Magazins“, das die FPÖ auch mittels Inserate unterstützte, musste die FPÖ-Führung nun die Notbremse ziehen: Bei einer ORF-Diskussion anlässlich der Befreiungsfeier in Mauthausen, zu welcher FPÖ-Kader explizit nicht eingeladen worden waren, kündigte Nationalratsabgeordneter Walter Rosenkranz, „Alter Herr“ der Burschenschaft Liber­tas, Anfang Mai 2018 an, der Aula jede finanzielle Unterstützung der Mutterpartei entziehen zu wollen.

Jedoch zeigte sich bald, dass nicht einmal unter den freiheitlichen Führungskadern diesbezüglich Einigkeit besteht — was die Chancen auf eine tatsächliche Kursänderung von FPÖ und/oder Aula deutlich verringert. Wenn nun die wieder in eine Regierung geführte FPÖ ernst machte mit der Abgrenzung von ihrem „Narrensaum“, wäre wohl eine Spaltung die Folge.

Kaderdisziplin

Abgesehen von den "Unwiderstehlich"-­Maulhelden3 und einiger weniger freiheitlicher Einzelkämpfer scheinen die Reihen aber noch dicht geschlossen. Es spricht leider für die Disziplin in der Szene, wenn diese jeden Verrat der FPÖ-Spitze noch weitgehend ohne viel lautes Murren hinnimmt. Offenbar hat sich die Erkenntnis verbreitet, dass der unmittelbare Zugang zur politischen Macht und das Gesamtprojekt eines autoritären Staates nach ungarischem Vorbild durch allzu viele Querschüsse von rechtsaußen Schaden nehmen könnte. Und weil neonazistischer Akti­vismus angesichts seiner vielen Verstrickungen mit der FPÖ dieser in der Öffentlichkeit schaden könnte, wurde er seit dem Herbst 2018 merklich heruntergefahren. Sogar die auf Daueraktivismus abonnierten "Identitären" halten sich seit einiger Zeit auffallend zurück. Was eine gute Nachricht wäre, ist ein Grund zur Beunruhigung.

  • 1Bezeichnung für deutschnationale und nationalliberale Gruppierungen und Parteien, Anm. d. Red.
  • 2Bezeichnung für extremistische, fanatische oder exzentrische Strömungen, Anm. d. Red.
  • 3Die Facebookseite „Unwiderstehlich Österreich“ wird von der Antifa Recherche Wien dem organisierten Rechtsextremismus zugerechnet, Anm. d. Red.