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Die Artgemeinschaft: Mehr als braune Heiden

Andrea Röpke
Einleitung

Seit über zehn Jahren führt die »Artgemeinschaft – Germanische Glaubensgemeinschaft« ihre Treffen ungestört in Ilfeld im Thüringer Wald nahe Nordhausen durch. Die Wanderherberge »Zum Huf­haus« (auch beworben unter Hufhaus und Harzhöhe) bietet nicht nur der bundesweit aktiven, konspirativen Heidentruppe fünf Kilometer fernab von der nächsten Ortschaft Zuflucht, sondern dort tummeln sich immer wieder auch Neonazis aus verbotenen militanten Organisationen wie »Blood & Honour« (B&H) oder der »Nationalistischen Front«.

Das Hufhaus in Ilfeld ist seit Jahren Veranstaltungsort von Sonnenwendenfeiern der Artgemeinschaft.

NSU-Umfeld bei der Artgemeinschaft

Sogar einer der Angeklagten im NSU-Prozess in München, André Eminger, nahm gemeinsam mit seiner ebenfalls beschuldigten Ehefrau sowie seinem Zwillingsbruder Maik, ehemaliger Leiter des Stützpunktes der Jungen Nationaldemokraten in Potsdam, mindestens 2003 und 2004 an Zusammenkünften in Ilfeld teil. Susann Eminger, die Frau des mutmaßlichen Terrornetzwerk-Unterstützers aus Zwickau, bestellte beim Versand der »Artgemeinschaft« Klei­dung oder Utensilien.

Als die »Artgemeinschaft« sich noch in der Lüneburger Heide traf, nahm 1997 auch die mutmaßliche NSU-Terroristin Beate Zschäpe an einer sogenannten Hetendorfer Tagungs­woche von Jürgen Rieger teil.

Hufhaus – Tummelplatz für Neonazis

Im Schutz des Waldes traf und trifft sich braune Prominenz, darunter auch neonazistische Szenegrößen wie die früheren »B&H«-Aktivisten Stefan Rietz und Hannes Franke. Mit Stephan Günther aus Skandinavien war hier auch ein internationaler Neonazi-Kader mehrfach bei der Artgemeinschaft zu Besuch. Den Neonazi-Liedermacher Frank Rennicke habe er in diesem Jahr vom Grundstück verwiesen, berichtet der Wirt vom »Hufhaus« im Juni 2013. Er selbst habe nichts zu verbergen, sei »sowenig rechts wie links«, seine Restauration sei ein »öffentliches Haus«. In diesem Haus liegt auch die Hufhaus-Publikation »Die Hufhäuser Provakation« vom Inhaber Jacob Lotter aus. In der Ausgabe »Teil 12« war zum Thema »Befreier« u.a. zu lesen: »(...) 14 Millionen Deutsche verloren ihre Heimat, sollen diese heute und ihre Erben, den Einmarsch der Sowjetunion, die Enteignung, Vertreibung, verordnete Vergewaltigung als Befreiung empfinden? (...)« Der Wirt betonte trotzdem, er erlaube nicht, »dass Propaganda für etwas gemacht wird«, welches er, als »extremst verwerflich« erachte, »sei es für Hitler oder Nazis«. Gegen die rund 300 Gäste aus dem neonazistischen Milieu, die zur völkischen Sommersonnen­wend­feier bei ihm einkehrten, scheint der Betreiber des rie­sigen Geländes nichts zu haben. Viele Anreisende kommen mit ihrer ganzen »Sippe« aus Bayern und Baden-Württemberg, aus Sachsen, Berlin, Brandenburg und Nord­rhein-Westfalen. Aber auch aus Ös­ter­reich und dem mecklenburgischen Lalendorf stammen sie. Dort leben Petra und Marc Müller, das Paar gilt als wichtiges Bindeglied dieser Szene. Sie teilen sich ein Wohnhaus mit der »Sippe« des Artgemeinschafts-Anhängers Jan Knust (früherer  Leiter der »Beschaffungsstelle« der »Wiking Jugend«), zugezogen aus dem Lahn-Dill-Kreis in Hessen.

»Kampfverband« seit 1951

Die 1951 gegründete germanisch-heid­nische Truppe wurde bis 2009 von dem Neonazi-Funktionär Jürgen Rieger aus Hamburg angeführt. Nach dessen Tod übernahm der Unterfranke Axel Schunk, ehemaliger Pionier der verbote­nen neonazistischen »Wiking-Jugend«, die Führung des extrem verschworenen Glaubensbundes.1 An zahlreichen Fahrzeugen prangt das Wap­pen der Artgemeinschaft: Ein nor­­disch-anmutender Adler, der das Symbol des Christentum, einen Fisch, in seinen Klauen trägt.

Hinter der Organisation verbirgt sich mehr als nur eine »Asatru«-benannte Homepage, Schriften und die »Nordische Zeitung«. »Die Artgemeinschaft ist kein ›Schönwetterverein‹...« hatte Rieger betont und ergänzt: »Die Artgemeinschaft ist gezwungen worden, ein Kampfverband zu sein, der um die Möglichkeiten einer artgemäßen Lebensführung kämpfen muss«. Nach außen hin möchte die »Artgemeinschaft« als neuheidnische »Religionsemeinschaft« Anerkennung finden, spricht von eigenen naturreligiösen »Sittengesetzen« und dem vornehmlichen Ziel der »Wahrung, Einigung und Mehrung der germanischen Art«.

Blicke hinter die völkisch-anmutende Kulisse mit spielenden Kindern, Frauen in langen Gewändern und Männern mit messerscharfen Seitenscheiteln und zünftigen Lederhosen, werden schnell mit aggressivem Verhalten geahndet. In Ilfeld bleiben sie völlig unter sich, können Pläne schmie­den und am Netzwerk knüpfen. Die Reihen der Altnazis lichten sich. Doch auffällig viele jüngere Teilnehmer haben einen militanten Background, wurden mit Waffen oder einschlägigen Straftaten in Verbindung gebracht.

Illustres Publikum

2012 fand bei einem der Anhänger der Artgemeinschaft eine Polizei-Razzia mit GSG 9-Einsatz statt. Pikanterweise war der Betroffene Bundesbeamter. Weil der Polizeihauptmeister Ralf R. aus Rosenheim möglicherweise über eine Waffe verfüge, gingen seine Kollegen damals mit großem Aufgebot gegen ihn vor. Sie fanden laut dem Hamburger Verfassungsschutzbericht Belege für dessen Kontakte zu der »Artgemeinschaft – Germanische Glau­bensgemeinschaft«. Auch mit der neonazistischen »Europäischen Aktion« von Rigolf Hennig und Bernhard Schaub soll er in Verbindung gestanden haben. Zudem sollen zeitweilig Hinweise auf eine strafbare Handlung nach dem Straftatbestand der Volksverhetzung vorgelegen haben. 

Es ist eine heterogene braune Gesellschaft, die sich zu den einschlägigen Brauchtumsfeiern oder Gemeinschaftstagen der Artgemeinschaft ein­fanden und so diese heidnische Bewegung nach innen stärkten. Zu ihnen zählten u.a. Ulli Boldt aus Halbe. Der Anwalt war in der Vergangenheit den Strukturen der Berliner Neonazi-Szene zuzurechnen. Auch Dirk Bredack lebt in Halbe, stammt aber aus Görlitz. Früher engagierte er sich für die Vertriebenen-Jugendgruppe JLO als auch im NPD- »Bildungswerk für Heimat und nationale Identität«. Oder Martin B. aus Kirchberg bei Zwickau, er soll der 2009 verbotenen Heimattreuen Deutschen Jugend (HDJ) angehört haben. Langjährige Teilnehmer der Heidentruppentreffen sind auch Dietmar Sokoll (Regin Verlag) aus Plön, Horst P. aus Stockelsdorf oder der NPDler Herbert Schart aus Allstedt. 2013 reiste auch der Vertreter der Russlanddeutschen in der NPD Johann Thießen zum Hufhaus.

Ein braunes Netzwerk

Die »Artgemeinschaft« betreibt zudem ein sogenanntes »Siedlungswerk« und steht der von Marc Müller seit 2010 an­geführten, scheinbar finanzkräftigen »Gesellschaft für biologische Anthropologie, Eugenik und Verhaltensforschung« (GfbAEV) sowie der  »Wilhelm Tietjen Stiftung für Fertilisation« nahe. In Trebnitz bei Halle gehört ihnen ein altes Schloss. Betreut wird das Gemäuer vom Neonazi Jens Bauer, der die Artam-Stickerei »germanische Tex­tilveredelung« betreibt. Die Internetpräsenz der GfbAEV erscheint pseudowissenschaftlich, erst bei genauerer Betrachtung ist ein rassistischer Back­­ground zu erahnen. Bereits zu Lebzeiten von Jürgen Rieger saß Sigward Knof aus Grafrath mit im Vorstand. Er übernahm den Platz des 2009 verstorbenen Rieger. Die erste Satzung erhielt die Gesellschaft bereits 1962. Die GfbAEV verfolgt das Ziel der Förderung »lebensschützender und erbgesundheitlicher Bildungs- und Aufklärungsarbeit«, »volksgesundheitliche Familienplanung« und »Sozialhygiene«.

Jüngst wurde der »Connemara Versand« gegründet und mit ihm ein weiterer Bauernhof in Lalendorf nahe dem mecklenburgischen Güstrow erworben. Das Anwesen liegt genau ge­genüber dem Grundstück der Artgemeinschafts-Anhänger Marc Müller und Jan Knust. Tatsächlich siedeln unmittelbar in der Nähe der ehemaligen Artamanen-Dörfer Klaber und Koppelow immer mehr Neonazis aus dem gesamten Bundesgebiet. Sie stammen aus der NPD oder der HDJ und betreiben nebenher Kleingewerbe, Handwerksbetriebe oder Landwirtschaft. Unter ihnen ist der polizeibekannte Neonazi Lutz Giesen, dessen Lebensgefährtin vorübergehend als Geschäftsführerin des »Connemara Versandes« agierte, dann aber umgehend den Posten an Marc Müller weitergab.

  • 1Anmerkung AIB: Ende 2009/Anfang 2010 wurde der frühere Vorstand um Jürgen Rieger, Karl Scherer, Christel Reichert, Jörg Schilling und Franz Kehl durch einen neuen Vorstand um Axel Schunk, Frithjof Arndt, Reinhard Hufnagel, Rita Büskens und Hans Joachim Franz abgelöst.