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Braune (Terror) Zellen in Schweden

Mathias Wåg
Einleitung

Im Juli 2019 splitterte sich die „Nordische Widerstandsbewegung“ („Nordiska Motståndsrörelsen“, NMR) als größte (neo)nationalsozialistische Organisation Skandinaviens auf. Dieser Schritt kam nicht überraschend. Die erhofften Erfolge bei den schwedischen Wahlen 2018 blieben aus und endeten ohne einen Sitz in den kommunalen Parlamenten. Der finnische Teil der NMR steht derzeit wegen eines Gerichtsprozesses unter Druck. Der Schritt, sich von einer außerparlamentarischen Kampforganisation zu einer Partei zu transformieren, erforderte Veränderungen: mehr öffentliche Demonstrationen, konzentrierte Arbeit an bestimmt ausgewählten Orten und massive Propagandaarbeit.

Foto: Pixelarchiv

Hakenkreuzflaggen auf einem Aufmarsch der NMR und der Gruppierung „Soldiers of Odin“ am 6. Dezember 2018 in Helsinki.

Vor dem Auseinanderbrechen betrieb die NMR einige Medienprojekte, darunter verschiedene Web-TV-Sendungen und Podcasts. Die Seiten wurden täglich zweisprachig aktualisiert. Einige Jahre zuvor war Gründer Klas Lund nach einem internen Führungsstreit zurückgetreten, um Platz für Simon Lindberg zu schaffen, der fortan die Abteilung in Skåne (Südschweden) leitete. Ehemalige Mitstreiter der Straße werfen Lindberg vor, die Organisation liberalisiert zu haben. Die neu gegründete „Nordische Stärke“ („Nordiska Styrka“, NS) um den ehemaligen NMR-Führer Klas Lund konnte einen großen Teil des radikalen Flügels der NMR um sich sammeln.

Die schwedischen Sicherheitsorgane gingen aufgrund dieser Entwicklung mit einer Warnung an die Öffentlichkeit, wonach es zu einer erhöhten Anzahl von Attentaten oder schweren Gewaltverbrechen kommen könne. Nicht ohne Grund. Ende 2016, Anfang 2017 führte eine abtrünnige Zelle der NMR mehrere Bombenangriffe gegen einen linken Buchhandel und gegen Flüchtlingsunterkünfte durch. Bei den folgenden polizeilichen Ermittlungen stellte sich heraus, dass ein NMR-Mitglied an einem Militärtraining russischer Neonazis teilgenommen hatte.

Die Mehrheit extrem rechter Gewalttaten in Schweden, darunter Angriffe auf Treffpunkte von Homosexuellen und Wohnungen von Antifaschist_innen, geht auf die „Nordische Widerstandsbewegung“ zurück. Die Organisation folgte einem einfachen Schema. Jeden Samstag wurden Kundgebungen in verschiedenen Städten Schwedens durchgeführt. Kam es dabei zu Gegenprotesten, so wurden gleich darauf weitere Kundgebungen am selben Ort angemeldet, Gegendemonstrant_innen direkt angegangen und erfasst, um weiter gegen sie vorzugehen. Die Demonstrationen der NMR fanden meist im Zusammenhang mit tagespolitischen Ereignissen wie den Gay Pride Paraden oder der Buchmesse in Göteburg statt. Auf diese Weise konnte sich die NMR die hohe Medienaufmerksamkeit dieser Events zu Nutze machen.

Gewaltverbrechen durch Organisationen der extremen Rechten kommen in Schweden seit den 1980er Jahren immer wieder in Wellen vor. Das Gewalt­niveau sank dabei häufig gerade dann, wenn die extreme Rechte bei Wahlkämpfen in die Parteiarbeit eingebunden war. Nach den Wahlen kehrten die radikalen Mitglieder aufgrund enttäuschter Hoffnungen meist wieder zu den altbekannten militanten Kampfformen zurück.

Die erste Welle der Gewalt ereignete sich in den Jahren 1990 bis 1991, als klandestine Zellen des Netzwerks des sogenannten „Weißen Arischen Widerstand“ („Vit ariskt Motstånd“, VAM), das von Klas Lund geführt wurde, Raubüberfälle und Waffendiebstähle durch­führten, bevor sie festgenommen wurden. Die gestohlenen Waffen wurden jedoch nie für Terrorhandlungen eingesetzt. Die Raubüberfälle und Waffendiebstähle des VAM fanden in einem gesellschaftlichen Klima statt, in dem Flüchtlingsheime massiven Angriffen ausgesetzt waren und der sogenannte „Lasermann“ Ausonius über Monate in Stockholm gezielt Menschen mit Migrationshintergrund niederschoss und viele Menschen dabei lebensgefährlich verletzte (AIB Nr. 118 und Nr. 20). Nach der Inhaftierung der VAM-Zellen wandten sich die übriggebliebenen Mitglieder u.a. mit dem „NS 88-Versand“ einer  „Versorgungslinie Nord“ für Neonazi-Musik zu.

In den folgenden Jahren nahm Schweden in der Produktion von RechtsRock weltweit eine führende Position ein (AIB Nr. 40). Die meisten Gewaltakte der 1990er Jahre fanden unter Alkoholeinfluss auf Partys durch Mitglieder eben dieser neuen rechten Musik-Subkultur statt. Die Gewalt führte zu einer breiten antirassistischen Mobilisierung in der Gesellschaft, in dessen Folge einige Lokale schließen mussten. Als die VAM-Mitglieder Ende der 1990er Jahre wieder aus den Gefängnissen kamen, fanden sie eine in sich zusammengefallene Struktur vor, die sich aber weiter radikalisierte.

Im Jahr 1999 kommt es zu einer Reihe von rechtsterroristischen Attentaten in Schweden. Bei einem Raubüberfall in Malexander werden zwei Polizist_innen getötet und ein Journalist, der für seine Recherchen zur Neonazi-Szene bekannt war, durch eine Autobombe schwer verletzt. Der Gewerkschafter Björn Söderberg wird ermordet, nach dem er für die Kündigung des aktiven Gewerkschafters und Neonazis Robert Vesterlund gesorgt hatte. Die Täter Hampus Hellekant, Jimmy Niklasson und Björn Lindberg-Herlund gehörten zum Umkreis von Vesterlund. Diese Terrorwelle sorgte für eine Zersplitterung in der extremen Rechten und einige Zellen, verantwortlich für verschiedene Attentate, landeten im Gefängnis.

Aber die tödliche Gewalt verschwand nie ganz. In den 2000er Jahren gründete sich die Partei der „Nationaldemokraten“, die sehr auf Aktivismus ausgerichtet war und mit den „Freien Nationalisten“ zusammenarbeitete. Das Zentrum dieses Netzwerks bildeten die Strukturen der ehemaligen „Blood & Honour“-Zeitung und der Webseite „Info 14“. Dieser Zusammenschluss hatte mit den neonazistischen Salem-Demonstrationen (2000-2010) seinen jährlichen Höhepunkt. Im Zusammenhang mit den sogenannten „Salem-Märschen“ wurden  wiederholt Brandanschläge auf linke Räumlichkeiten verübt.

Die spontane Gewalt der 1980er und 1990er Jahre ließ in den 2000er Jahren nach, die organisierte Gewalt nahm zu – jedoch ohne die Formen des klandestinen Terrorismus von 1999 anzunehmen. Das Jahr 2008 markiert einen neuen Höhepunkt neonazistischer Gewalt. Die Mitglieder der „Nordischen Widerstandsbewegung“ begannen in den Auseinandersetzungen mit Antifaschist_innen Messer zu benutzen. Es gab einen Mordanschlag auf ein antifaschistisches Paar in Stockholm, bei dem unbekannte Täter Benzin durch den Briefschlitz schütteten und anzündeten. Das Paar konnte sich mit ihrem Kind unverletzt über den Balkon ins Freie retten.  Auch verschiedene linke Lokale wurden angegriffen, darunter das soziale Zentrum „Cyklopen“ in Stockholm, das bei dem Angriff abbrannte.

Im September wurde der 22-jährige Joakim Karlsson in Vallentuna ermordet, woraufhin es zu einer Anklage kam: Während einer der Täter zu drei Jahren Jugendstrafe verurteilt wurde, tauchte der andere, Simon Arnamo, unter und ist bis heute nicht gefasst. 2013 wurde eine antifaschistische Demonstration im Stockholmer Vorort Kärrtorp von Neonazis angegriffen. Darauf folgte eine der größten antifaschistischen Proteste überhaupt, an einer Demonstration nahmen 16.000 Menschen teil. Zur gleichen Zeit begann ein Rechtsterrorist in Malmö mit gezielten Schüssen Einwander_innen anzugreifen. Von 2003 bis 2012 beging Johan Peter Mangs mehrere Mordanschläge aus rassistischen Motiven und es dauerte lange, bis die gesellschaftliche Debatte Mangs Anschlagsserie endlich als rassistische Mordserie wertete. Seine Inspiration fand Mangs in extrem rechten Medien wie „PI News“ und dem Blog „Avpixlat“, der für die islamfeindliche extreme Rechte Schwedens eine zentrale Rolle spielt. 2012 wurde Mangs des zweifachen Mordes und des vierfachen Mordversuchs angeklagt, für schuldig befunden und zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt.

Als die Salem-Märsche nach 2009 aufhörten, brach die Bewegung ein. Die „Nationaldemokraten“ versuchten daraufhin, eine Führungsrolle einzunehmen, wurden jedoch vor den Wahlen 2014 von Rückschlägen und internen Auseinandersetzungen heimgesucht und stellten ihre Aktivitäten schließlich ein. Stattdessen hatten die „Schwedendemokraten“ im Jahr 2010 ihren politischen Durchbruch und zogen erstmals ins Parlament ein. Für weitere Parteien war im extrem rechten Spektrum nachfolgend kaum noch Raum. Die bereits 1997 gegründete „Schwedische Widerstandsbewegung“, die ihren Namen 2015 in „Nordic Resistance Movement“ (NMR) änderte, übernahm die Führungsrolle im aktivistischen Spektrum und zeichnete sich für militante Attacken gegen linke Aktivist_innen verantwortlich. In den 2000er Jahren hatte die NMR Schwierigkeiten, sich gegen die „Freien Nationalisten“ und die „Nationalsozialistische Front“ durchzusetzen und versuchte daher, sich als besonders militante und kompromisslose Organisation einen Namen zu machen.

Um 2015 sah die NMR die Möglichkeit, parteipolitisch zu wirken und eine Lücke auf kommunaler Ebene zu schließen. Diese Hinwendung zur Parteipolitik hatte einen hohen Preis. Die neuen Mitglieder füllten die Reihen der Demonstrationen und verteilten Flugblätter, führten aber auch zu einer Abschwächung der politischen Radikalität. Im Ergebnis verließen die militanten Straßenkader die Organisation. Jetzt haben diese keine Parteistruktur mehr, die sie zurückhält und auf die sie Rücksicht nehmen müssten. Es ist zu befürchten, dass das neonazistische Gewaltniveau sich wieder deutlich erhöht.