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Bekenntnisse eines Hochstaplers: Fluchtpunkt Neonazi – von Stefan Michael Bar

Einleitung

»Die Neonazis sind die Lüge meines Lebens, die mich die besten Jahre und die halbe Jugend an Knast gekostet haben.« Mit diesem Zitat von Stefan Michael Bar leitet Rainer Fromm die jüngst erschienene Autobiographie des (ehemaligen) Neonazis ein. Damit nimmt er auch schon jenen Opfermythos vorweg, den Bar auf den dann folgenden 138 Seiten verbreitet. 

Inzwischen liegen eine Reihe Berichte und Studien über Motive und Herkunft von Mitgliedern der extremen Rechten und der inneren Strukturen rechter Jugendcliquen vor, die ein differenziertes Bild liefern. Genau dieses leistet die Biographie jedoch nicht. Sie ist die Selbststilisierung zum armen Heimkind, ungeliebt und von den Eltern alleingelassen.

Bars Geschichte liest sich wie das Elaborat eines egozentrischen, besserwisserischen Aufschneiders. So behauptet er, bei seinem Einstieg in die Neonaziszene sofort deren Mechanismen durchschaut zu haben. Deren Führer setzten sich seiner Meinung nach aus »Biertischhelden«, »Uniformfetischisten« und Geldmachern zusammen, die er lächerlich oder abstoßend fand. O-Ton Bar: »An Auschwitz habe ich immer geglaubt«, »Gegen Ausländer habe ich nie etwas gehabt«, »Glatze habe ich auch nie getragen«.

Bar stilisiert sich hier als ganz nonkonformer Neonazi. Umso seltsamer  erscheint dann seine Aussage, er sei ganz in dieser Szene aufgegangen und habe sich und seine Persönlichkeit ganz für »die Sache« aufgegeben. Nicht, dass seine umfangreichen Aktivitäten in der neonazistischen Szene anzuzweifeln sind - sie sind seit langem durch antifaschistische Publikationen bekannt.

Allerdings lässt seine Darstellung Zweifel aufkommen, ob nicht seine Kernaussagen - eigentlich hatte er nur »Hass auf den Staat, weil der mich meinen Eltern weggenommen hat« und »gegen Juden und Christen hatte ich was, weil meine Eltern mich dauernd in die Kirche geschleppt haben und vor lauter kirchlichem Engagement keine Zeit mehr für mich hatten« - nicht den ideologischen Werdegang eines Neonazis verschleiern und verharmlosen sollen? Zudem finden sich in Bars Text zahlreiche Widersprüche.

So bezeichnet er einerseits seine Kameraden als dumm, da sie Material zu Hause aufbewahrten. Andererseits verschweigt er, dass auch in seiner Wohnung hochgradig Belastendes gefunden wurde. Fakten über die neonazistische Szene und Netzwerke finden sich nicht in dem Buch, so dass Bar auch weiterhin behaupten kann, er habe niemanden verraten. Auch das ist ein Fakt, der das Buch und den endgültigen Ausstieg noch unglaubwürdiger machen. So bekennt Bar im Buch: »Ich bereue es nicht, für ein Prinzip gekämpft zu haben, das diesen Staat in Frage stellt«.

Rainer Fromm ist für reißerrische Berichte, die viel Show und wenig Inhalt liefern, bekannt. Dass sich Klaus Farin, von dessen Archiv der Jugendkulturen man besseres gewohnt ist, als Mitherausgeber hergibt, ist unverständlich. Auch wenn  Farins Beitrag der Beste im Buch ist.