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Aussteiger-Industrie

Einleitung

»Odfried Hepp war fanatischer Neonazi und in den Achzigerjahren einer der meistgesuchten Terroristen der Welt« heißt es reißerisch im jüngst erschienenen Buch »Der Rebell«. Das Buch über das bisherige Leben des in den 80er Jahren aktiven Neonazis Hepp ist nur eines von vielen in den letzten Jahren erschienenen Büchern, in denen »Aussteiger« ihre Geschichte zum besten geben. Genannt seien hier nur »Rechts Raus« von Torsten Lemmer (2004), »Fluchtpunkt Neonazi von Stefan Michael Bar (2003), »Aussteiger« (2002), »Exit« von Kent Lindahl (2001), »Ganz Rechts« von Jörg Fischer (1999) oder »Die Abrechnung« von Ingo Hasselbach (1994). Im Erscheinen begriffen ist das Buch des ehemaligen JN-Funktionärs Jan Zobel.

Diese Bücher stellen ein Stück des öffentlichen Bildes der extremen Rechten dar und viele LeserInnen und auch ZuhörerInnen bei Veranstaltungen billigen den Aussteigern eine hohe Kompetenz bei der Beschreibung und der Analyse der extremen Rechten zu. Immerhin kommen diese doch von Innen und müssen wissen wie es läuft. Beim Lesen der Bücher fällt jedoch schnell auf, dass diese Ansprüche in kaum einem der Bücher erfüllt werden, diese oftmals ein gegenteiliges Bild zeigen, als das welches im Rahmen antifaschistischer Recherche oder in der Forschung herausgearbeitet wurde.

Dieses betrifft sowohl den Bereich der Ursachen, der Beschreibung der Szene, als auch der Bedeutung und der Involviertheit der Austeigen zu. Zudem finden sich im Bereich der Aussteigerliteratur nur Personen aus dem Bereich des militanten Neonazismus. Alles andere wäre für eine Vermarktung vermutlich auch nicht gegeignet. Dieses führt jedoch dazu, das alle anderen Facetten der extremen Rechten kaum beachtet werden. Zudem vermittelt sich in großen Teilen dieser Literatur, das klassische Bild von Jugendlichen, die auf Grund von Problemen im Elternhaus oder durch den Unbill der Gesellschaft mal abgerutscht sind und sich dann raufend durchs Leben schlagen mußten. Im folgenden haben wir einige Kritikpunkte an der Aussteigerliteratur aufgelistet. Es sind Punkte, die immer wieder in diesen Büchern auftauchen.

Erlebniswelt im idelogiefreien Raum

Fast alle Bücher beschränken sich auf eine Darstellung der Erlebniswelt des Neonazismus. Die vertretene Ideologie oder auch nur die Mechanismen, die zum Zusammenhalt der Szene notwendig sind werden so gut wie nie beleuchtet. Das mag daran liegen das sich wie Krimis geschriebene Bücher am besten verkaufen lassen. So beschränken sich z.B. »Der Rebell« über die Aktivitäten von Odfried Hepp oder auch »Fluchtpunkt Neonazi« von Stefan Michael Bar überwiegend auf die Schilderungen von Aktionen und Aktivitäten. Die Abwesenheit der Ideologie und der Analyse könnte damit zusammenhängen, dass die Aussteiger nicht genug Abstand zu eben dieser Ideologie haben. Dies wird deutlich wenn der aus der Rechts-Rock-Szene ausgestiegene Thorsten Lemmer den Ritterkreuzträger Erich Mende als sein neues Vorbild benennt oder wenn Odfried Hepp schreibt, das »vieles von dem, was ich anfangs in den Jugendbünden, abgesehen von der kritiklosen und inakzeptablen Verherrlichung des Nationalsozialismus, erlebt und gelernt habe ist auch heute noch Teil meiner Identität.« Wenn Hepp schreibt »als Patriot respektiere ich auch die Rechte und Gefühle anderer Völker, und als Sozialist lasse ich mich nicht freiwillig in einen verbrecherischen Krieg treiben, in dem Arbeiter aufeinander schießen und gewissenlose Machthaber und Konzernbosse davon profitieren« so zeigt er daß er das völkische Denken nicht überwunden hat und weiterhin jene nationalrevolutionären Ideen vertritt, wie in den 80er Jahren. Abgewandt hat er sich von der Gewalt, die Ideologie hat er nicht überwunden.

Je kürzer der Abstand zwischen Ausstieg und »Auftritt«, desto besser lässt sich der Aussteiger vermarkten. Das führt jedoch dazu, dass eine Reflexion, ein Prozess des Begreifens und des Umdenkens kaum stattfinden kann und die Aussteiger sich zumeist nur vom organisatorischen Zusammenhang, der Gewalt und dem unmenschlichen Umgangsformen in der Rechten distanzieren. Personen wie Jörg Fischer, welcher sich nach seinem Ausstieg lange und intensiv mit den Inhalten und dem Mechanismen der Szene beschäftigte sind die Ausnahme.

Ursachenanalyse

Fast alle Aussteiger geben die Schuld für ihre neonazistischen Einstellungen und Aktivitäten an ihre Eltern weiter. Sie alle scheinen aus kaputten Familien zu stammen. Schlagworte sind »Eltern getrennt«, »Einzelkind« (Detlef Nolde), fehlende Liebe; »dieses Gefühl dein Sohn zu sein hast du mir (...) niemals vermittelt« schreibt Ingo Hasselbach, »Ich kann mich jedenfalls nicht erinnern, dass er mich jemals in den Arm genommen hat« schreibt Kent Lindahl. Stefan Michael Bar ist adoptiertes Heimkind, seine gutbürgerlichen Pflegeeltern hatten seiner Ansicht nach zu wenig Zeit und kein Verständnis für ihn. Zu den wenigen Ausnahmen in der Reihe der Beschreibungen zählt Christine Hewicker, welche die Attraktivität der Aktivitäten und auch eine inhaltliche Nähe beschreibt. Viele der Berichte lesen sich wie nachträgliche Rechtfertigungen, welche mit Hilfe eines Therapeuten erarbeitet wurden. Wenn Kent Lindahl beschreibt wie er im Alter von 7-8 Jahren im Ferienlager gedemütigt wurde und einen Weg vom Opfer zum Täter beschreibt wirkt es fast lächerlich. So verständlich der Umgang der Ex-Nazis mit der eigenen Vergangenheit und das Wegschieben der Verantwortung auch ist, so entsteht hier ein falscher Eindruck. Die Soziogramme der rechten Szene weisen nach, dass es sich hierbei nicht überwiegend um Modernisierungsverlierer aus »kaputten« Elternhäusern handelt, sondern um einen Querschnitt durch die Bevölkerung, dieser findet sich in der Aussteigerliteratur nicht wieder.

Selbstdarstellung

Häufigstes Bild oder Selbstbild der Aussteiger ist das des »Rebellen«. Sie sehen sich als jene die Aufbegehren gegen die verlogene, kleinbürgerliche Welt der Erwachsenen. »Kein Bock den braven Bubi von neben an zu markieren, scheißenfreundlich und strebsam« schreibt Bar. Sie sind nur irgendwie hineingeraten, scheinbar schuldlos, eigentlich Opfer. »Die Neonazis sind die Lüge meines Lebens, die mich die besten Jahre und die halbe Jugend im Knast gekostet haben« schreibt Stefan Michael Bar. Und mutiert damit vom Täter zum Opfer. Auch Nolde schreibt »Ich habe ein Drittel meines Lebens der Doktrin ›Adolf Hitler‹ geopfert«. Opfer der rechten Szene hingegen bleiben schattenhaft und blass. Fast alle Aussteiger beschreiben sich selbst als irgendwie intelligent, innerhalb der Szene als die mit Durchblick. »Ich habe allein diese Entscheidung getroffen und ich weiß, wie schmerzhaft die Zeit als Neonazi war (...). Das hat mir keiner abgenommen, da bin ich ganz allein durch« stilisiert sich Bar gleichzeitig als Opfer und Einzelkämpfer. Was die Ideologie betrifft finden sich einerseits Stilisierungen wie »Nolde war immer der Überzeugteste, der Fanatischste, derjenige, der immer an 'die Sache' glaubte ohne jemals zu zweifeln« nur 38 Seiten später weiß Autor Burkhard Schröder es dann allerdings besser, Nolde war Anhänger einer Ideologie die »nicht die meine (Noldes) war«.

Eine Beschreibung die typisch ist. Einerseits wird die Bedeutung des Aussteigers hochgeschrieben, dann wird dessen ideologische Einbindung runtergespielt. Ein zweites, ebenso widersprüchliches Bild finden wir bei der Beschreibung der Personen, »wer ihn nur flüchtig kennt hält ihn für hart, distanziert und unzugänglich«, schreibt Schröder, in Wirklichkeit ist er jedoch ganz anders »er kann sogar, wenn er seinem Gesprächspartnern vertraut, weinen, ohne das er sich dafür schämt.« Selbstverständlich haben auch militante Neonazis Gefühle, hier mutieren sie jedoch von Tätern zu liebesbedürftigen Opfern um die sich endlich mal jemand kümmern muß, die von allen unverstanden sind.

Harte Fakten, gute Einschätzungen?

Austeiger kommen aus den inneren Zirkeln der Neonaziszene, zumindest einige von ihnen können oder könnten interessante Details aus dem Innenleben der Szene offen legen. In den Büchern findet sich das jedoch kaum wieder, der Bund Heimattreuer Jugend verwandelt sich bei Odfried Hepp fast in ein Pfadfinderlager, der US-amerikanische Propagandaproduzent Gary Lauck versteht es laut Bar, »NS-Schrott wie Fahnen, Armbinden und Literatur zu vermarkten, und ist allenfalls ein rechter Geschäftsmann.« Bar muß es ja wissen. Das Gesicht das Tätowierers, der ihm gerade ein Hakenkreuz sticht, ist geschwärzt, auch wenn dieser, laut Bar, ein einschlägig vorbestrafter Wehrsportaktivist ist. Einige wollen ihre alten Kameraden nicht verraten, andere hat vermutlich keiner nach genauen Informationen gefragt, denn die sind im Allgemeinen nicht verkaufsfördernd. Finden sich teilweise aussagekräftige Beschreibungen kleiner Teile der militanten Szene, so bleiben diese in den Büchern Fragmente, ohne Zusammenhang. Sachbücher über die extreme Rechte oder den militanten Neonazismus sind zwar nicht so blumenreich, aber umso aufschlussreicher.

Was bleibt

»Es hat Jahre gedauert bis ich mich auch innerlich befreien konnte« schreibt Jörg Fischer. Jahre um zu begreifen welcher Ideologie er angehangen hat und Jahre um die nötige Distanz zu bekommen. Jahre die viele Aussteiger nicht haben oder auch nicht bekommen. Medien wollen schnelle und spektakuläre Berichte. Das mag ein Grund für die flachen Bücher sein, die bis auf rühmliche Ausnahmen kaum Neuigkeiten über die Szene bringen. Im Gegenteil, vieles sind Rechtfertigungen, Externalisierungen oder Verharmlosungen. Ist das Buch von Jörg Fischer als positive Ausnahme zu nennen ist das Buch »Rechts Raus« von Thorsten Lemmer, in dem dieser den Ritterkreuzträger und Nationalen Erich Mende als ideologisches Vorbild erhebt, ein totaler Reinfall.

Gerade dieses Buch zeigt eine typische Schwäche auf, Torsten Lemmer präsentiert sich groß und breit als Aussteiger, Konsequenzen daraus werden nicht gefordert. Gerhard Zwerenz, der immerhin das Vorwort schrieb fragt auch nicht nach dem Verbleib des RechtsRock-Geschäftes von Lemmer. Hat er es gewinnbringend verkauft, seinen alten Kameraden überlassen oder was? Dass er seinen Nazischrott gewinnbringend ans Innenministerum verkaufen wollte, ist nicht gerade ein Zeichen, dass er deren Inhalt und sein Verhalten angemessen reflektiert hat. Sonst wäre ihm das wohl zu peinlich gewesen.

Die Erkenntnis, dass auch Neonazis Menschen sind, einen Alltag haben, Gefühle, Widersprüche etc. sollte als bekannt und selbstverständlich vorausgesetzt werden. Die Einblicke in das Innenleben der Szene sind klischeehaft und spiegeln vermutlich oftmals die egozentrischen Aussteiger oder die Erwartungen der beteiligten Journalisten. Burkhard Schröder schreibt: »Hätte Detlef Nolde schon vorher die Gelegenheit bekommen, andere Menschen so kennen zu lernen, er hätte viel früher die Zweifel, die sich in ihm vage regten zulassen können«. Stellt sich die Frage ob Nolde diese Chance nicht hatte. War nicht er es, der diese Entscheidung traf? Macht Schröder diese Entscheidung nicht zu etwas Schicksalhaftem und Überpersönlichem? Das Eingeständnis der eigenen Schuld und die Einsicht, dass Menschen für ihr Handeln in der Gesellschaft selbst verantwortlich sind, findet sich in der Aussteigerliteratur kaum wieder. Ebenso wenig wie eine ordentliche Analyse der Ideologie der extremen Rechten bzw. des Neonazismus.

Große Teile der Aussteigerliteratur bedienen nur die gängigen Klischees, entschulden oder pädagogisieren die Szene oder haben das Niveau eines Politthrillers. Informationen und Einschätzungen sucht man weiterhin besser in antifaschistischen oder wissenschaftlichen Publikationen.