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Antifaschistischer Klassismus?

Marie Anton
Einleitung

Eine Erwiderung

Unter dem Motto „Die Brandstifter sitzen in Bonn“ wurde 1993 zur Bundestags-Blockade mobilisiert. | Faksimile von Frankfurter Rundschau 27. Mai 1993

In bundesdeutschen Mainstreamdebatten findet sich immer wieder die Idee, Rassismus könne sich in einer Gruppe von Menschen oder in einzelnen Subjekten verorten lassen. Beliebt scheint aktuell die Verlagerung in die Unterschicht zu sein. Damit wird an zweierlei angeknüpft: Zum einen an die These, Rassismus sei eine individuelle Fehlleistung, die beispielsweise mit Bildung vermindert werden könne, und zum anderen an den Unterschichten-Diskurs der letzten Jahre, der etwa Erwerbslose als minder denkfähig stigmatisiert.

Wie Rocky Meyer in dem Artikel „Dumme Hellersdorfer Nazi-Prolls. Die Dämonisierung der Arbeiter_innenklasse“ (siehe AIB Nr. 102) beschreibt, wirkt genau dieser Mechanismus bei der medialen Aufbereitung der rassistischen Agitationen in Berlin-Hellersdorf. In so manchen Zeitungen wird „die Unterschicht“ für den Rassismus verantwortlich gemacht und letzterer entsprechend zurückgewiesen. Dass dabei Rassismus nicht als gesellschaftsstrukturierendes Moment, das Ressourcenverteilung regelt, begriffen wird, sondern nur als Diskriminierungsform, als „Vorurteil“, ist augenscheinlich.

Rocky Meyers These, dass antifaschistische Zusammenhänge diese Externalisierung von Rassismus in die Unterschicht vornehmen, also „manches Mal am fragwürdigen Bild des dummen ‚Nazi-Prolls‘ kräftig mitzeichnen und dadurch den seit Jahren präsenten Unterschichtsdiskurs zum Teil bedie­nen“, trifft aber nicht den Kern des Proble­ms und vielleicht noch nicht mal die tatsächliche Politik von etlichen Antifa-Gruppen.

Vorweg: Zweifellos haben sich  Linke mit ihrer politischen Einstellung nicht automatisch frei gemacht von verinnerlichten Klassismen, Rassismen, Sexismen. Keine Frage und irgendwie auch ein alter Hut. Aber: Es gibt keine durchgängige oder dominante antifaschistische Bildersprache, die Klassismus bedient oder den „dummen Nazi-Proll“ als Repräsentant des Rassismus ausmacht. Kanther und Co. zierten etliche Plakate in den 1990ern und Sarrazins Karikatur dürfte allen im Gedächtnis sein. „Die Brandstifter sitzen in Bonn“ war das Motto der Bundestagsblockade 1993 wegen der massiven Einschränkung des Asylrechts. Auf einem anderen Plakat der Zeit heißt es: „Die große Koalition der Rassisten reicht von Bonn bis Hoyerswerda, von Schönau bis Rostock, von der Regierung bis zum Stammtisch!“ Rechte werden — auch in der Bildersprache — so dargestellt, wie sie auftreten. Mal in Jogginghose, mal in Kapuzenpulli, mal in Anzug und mal in Tracht. Symbolisch nur auf die Krawattenträger zu fokussieren, wäre analytisch ebenso falsch wie alleinig auf Jogginghosenträger.

Auch jenseits der Bildersprache wurde Anfang der 1990er Jahre von antifaschistischer Seite unermüdlich auf die herausragende Rolle des Establishments bei den Brandanschlägen hingewiesen. Auch waren es Antifaschist_innen, die immer wieder „intellektuelle Rechte“ aus der Deckung holten, die „Neue Rechte“ analysierten, die „Junge Freiheit“ thematisierten, Burschenschaften als elitäre Seilschaften angriffen und so weiter. Die Deprivations- oder Defi­zitthese als Begründung für die Entstehung extrem rechter und rassistischer Einstellungsmuster, die diese auf Beeinträchtigungen in der sozialen Situation zurückführt, wird doch gerade in antifaschistischen Zusammenhängen nicht geteilt und ist mehrfach von kritischen Rechtsextremismusforscher_innen zurückgewiesen worden.

Antifaschistischen Zusammenhängen zu attestieren, sie hätten Harald Ewert, der einst mit Deutschlandtrikot bekleidet in vollgepisster Jogginghose seinen rechten Arm in Rostock-Lichtenhagen hob, als zentralen Repräsentanten des deutschen Rassismus hervorgehoben, trifft schlicht nicht die Praxis antifaschistischer Politik seit den 1990er Jahren — auch nicht, wenn das Problem hauptsächlich in den Strukturen verortet wird, die sich „alleinig mit den Nazi-Strukturen vor Ort“ auseinandersetzen. Für diese, so Meyer, sei es „irrelevant […] wo die Orte eines Kampfes gegen Ausbeutung und Unterdrückung liegen, wie gesellschaftliche Spaltungslinien überwunden werden können — und wo diese Kämpfe schon längst geführt werden“. Tatsächlich gibt es Orte in Deutschland, in denen die ganz konkrete Bedrohung durch militante Neonazis gegeben und „Antifa“ die einzige verbliebene, linksradikale Struktur ist. Meyers Kritik zielt also hauptsächlich auf antifaschistische Gruppen jenseits von Metropolen, in denen genug Aktive leben, um in vielen Kämpfen aktiv mitzumischen. Es macht einen Unterschied, ob Antifagruppen gezwungen sind, sich direkt mit militanten Neonazis auseinanderzusetzen, oder ob der Raum da ist, sich entscheiden zu können. Es macht einen Unterschied ob Linksradikale in Duisburg, Finsterwalde oder Berlin leben. Die Forderung an antifaschistische Zusammenhänge, sich nicht auf „reine Anti-Nazi-Arbeit“ zu fokussieren, ist nicht neu. Aber sie berücksichtigt immer noch nicht die unterschiedlichen, regionalen Realitäten und Notwendigkeiten. Die Frage muss doch vielmehr sein, wie antifaschistische Arbeit gemacht wird, mit welchem Politikverständnis, mit welchen inhaltlichen Bezügen und Ausrichtungen, in welchen Bündnissen — zumindest wenn die Kritik nicht eine Kritik der Metropole an der Provinz sein will.

Dass dennoch von antifaschistischer Seite keine Kritik an aktuellen Beiträgen zu vernehmen war, die Rassismus in Hellersdorf in die Unterschicht verschieben, liegt nicht daran, dass die „Kritik daran mit Selbstkritik verbunden“ hätte gewesen sein müssen, sondern an einer Schwäche der radikalen, undogmatischen Linken, Klassenverhältnisse in verschiedene Analysen miteinzubeziehen.

Es sind nicht Klassenverhältnisse, die sich auf den Rassismus selbst auswirken sondern sie haben Einfluss auf die gesellschaftliche Bewertung von Rassismus. Was Rocky Meyer für Hellersdorf beschreibt, dass es dort momentan kein Interesse des Establishments an rassistischen Eskalationen wie in den frühen 1990er Jahren gibt und die bürgerliche Presse rassistische Agitationen teils deutlich verurteilt, gilt für andere Orte so nicht. In Duisburg-Bergheim beispielsweise stellt sich die Situation gänzlich anders dar. Während eine „Bürgerinitiative“, die sich hauptsächlich aus mittelständischen Immobilienbesitzer_innen zusammensetzt, gegen ein vornehmlich von Bulgar_innen und Rumän_innen bewohntes Haus agitierte, bediente die Regionalpresse samt Polizei und lokaler SPD-Regierung rassistische und antiziganistische Sichtweisen vom „Problemhaus“, von „Klaukids“, organisierter Kriminalität und Nomadentum. „Das Maß ist voll“ titelte die WAZ bereits 2011.

Der Unterschied, der sich zwischen Hellersdorf und Duisburg auftut, ist nicht nur einer des Interesses des Establishments, sondern auch einer der sozialen Zusammensetzung der rassistisch agierenden AnwohnerInnen. Hellersdorf gilt als „Hochburg von Hartz-IV-Empfänger_innen“, Bergheim ist, schaut man in die Sozialstatistik, ein Stadtteil mit vergleichsweise wenig Erwerbslosigkeit, hohem Einkommen und höheren Bildungsabschlüssen. Dass die rassistische Agitation in Hellersdorf medial nicht wirklich ankommt, hat sicherlich etwas mit Klassenverhältnissen und dem Unterschichtendiskurs der letzten Jahre zu tun, also damit, dass Teile der Hellersdorfer Bevölkerung in klassistischer Abgrenzung als Externalisierungsfläche für Rassismus herhalten können. Es ist auffallend, dass hingegen die mittelständische Agitation gegen Roma in Duisburg-Bergheim medial gestützt wird. Hier ist keine Spur vom „Nazi-Proll“.

Klassenverhältnisse müssen auch als Analyse-Kategorie ernst genommen werden, allerdings nicht in dem Sinne, dass Rassismus als Unterschichtenproblem identifiziert wird, sondern weil aktuell Rassismus mancherorts gegen Klassismus ausgespielt wird. Dieser Mechanismus ist bekannt, beispielsweise wenn es um die Ethnisierung von Sexismus geht. Dass Antifaschist_innen da nicht mitspielen sollten, liegt auf der Hand.