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Antifa Jugendkongress in Chemnitz

Einleitung

An vier Tagen mit rund 50 Vorträgen und Workshops fand in Chemnitz im April 2017 der Antifa Jugendkongress (JuKo) statt. Organisiert vom sächsischen Antifa-Bündnis WASTELAND, tauschten sich rund 300 jüngere und ältere Antifaschist_innen im AJZ Chemnitz aus.

Was ist das WASTELAND-Bündnis und was macht ihr außerhalb der JuKo-­Vorbereitung?

WASTELAND ist eine (über-)regionale Vernetzung linksradikaler, antifaschistischer und antirassistischer Gruppen und Zusammenhänge. Entstanden ist die Vernetzung, um gegen die anhaltenden rassistischen Mobilisierungen in Deutschland vorzugehen, welche insbesondere in Sachsen gesamtgesellschaftlichen Rückhalt gefunden haben. Überrascht hat uns das kaum – schließlich wurde das Feld über Jahrzehnte durch eine (national-) konservative, reaktionäre und antisoziale Regierungspolitik bestellt.
Die Situation ist durch einen starken Anstieg rechtsmotivierter Übergriffe geprägt. Dort einzuschreiten, wo wir Schlimmeres verhindern können, bleibt wichtige Aufgabe antifaschistischer und antirassistischer Gruppen und damit auch von WASTELAND. Dies ist kein Selbstzweck, sondern gerade in den ländlichen Regionen oft Voraussetzung für den Erhalt einer emanzipatorischen Perspektive. Damit solche Interventionen eine Wirkung entfalten, ist es sinnvoll, sich über Ziele und Strategien auszutauschen.
Gleichzeitig ist uns klar, dass die Gemengelage, mit der wir konfrontiert sind, nicht durch die Hatz von Aktion zu Aktion zu lösen ist. Während sich rassistische Mobilsierungen als flächendeckendes Phänomen zeigen, sind wahrnehmbare Gegenbewegungen hauptsächlich auf wenige Großstädte konzentriert. WASTELAND ist ein Ansatz, genau dieses Problem anzugehen: Wir wollen eine Vernetzung zwischen ländlichen, kleinstädtischen und großstädtischen Strukturen etablieren. WASTELAND ist ein Versuch einer linksradikalen Organisierung mit langfristiger Perspektive.

Ihr habt ein beeindruckend weitreichendes Angebot an Vorträgen, Workshops und Diskussionen geschaffen. Wie war die Resonanz der Teilnehmer_innen?

Soweit wir das einschätzen können, hauptsächlich positiv. Wir haben versucht, Veranstaltungen mit verschiedenen Grundvoraussetzungen zu installieren, bei 300 Teilnehmer*innen wird es immer wen geben, der*die nicht 100 Prozent zufrieden sein wird, was völlig okay ist. Kritik gab es eher an strukturellen/organisatorischen Dingen, wie zum Beispiel dem Verhältnis von Orga-Menschen und Teilnehmer*innen und seinen Auswirkungen. Dieser Kritik wollen wir uns aber annehmen und versuchen, die Ursachen zu beheben. Hierfür ist es wichtig, einen hohen Grad an Transparenz und Partizipationsmöglichkeiten zu bieten. So gab es neben „Meckerboxen“, täglichen Vollversammlungen auch offene Vorbereitungstreffen in Dresden, Bautzen und Leipzig. Einbringen konnten sich dann später aber auch Menschen in Reproduktions- bis Pressearbeit und vielen Bereichen mehr.

Welche Vorträge und Workshops kamen bei den Teilnehmer_innen besonders gut an?

Puh, das ist schwer zu sagen, gerade bei solch einer Fülle an Veranstaltungen! Den einen gefallen die praktischeren Workshops, die anderen geben sich die Einführung in die Kritik der politischen Ökonomie. Nicht alle Workshops waren gut besucht, was aber der Fülle des Programms geschuldet sein dürfte. Besonders gefragt sind natürlich Veranstaltungen mit einer gewissen Aktualität, wie zum Beispiel der aktuelle Rechtsruck, rassistische Mobilisierungen oder die kapitalistische Krise. Aber auch Themen wie Feminismus oder Militanz haben viele Menschen angezogen.

Der JuKo fand bereits zum zweiten Mal in Chemnitz statt. Wie kamt ihr zu der Entscheidung Chemnitz als Standort zu wählen und nicht Leipzig oder Dresden?

Chemnitz war so etwas wie ein Kompromiss. Wir wollten raus aus den vermeintlichen „Wohlfühlzonen“ — wobei es da jetzt nicht so viele gibt — benötigen aber auch eine gewisse Infrastruktur. Chemnitz hat seit Jahrzehnten eine aktive und gut vernetzte Rechte, der etwas entgegen gestellt werden muss, mit dem AJZ und der fitten und jungen linken Szene aber auch die infrastrukturellen Voraussetzungen für ein so großes Projekt wie den JuKo. Ein Camp war auch schon im Gespräch, doch das würde die organisatorischen Hürden noch höher setzen. Leuten, denen dieses Format entgegen kommt, empfehlen wir das Faetzig Camp oder das Antifa Camp Weimar/Buchenwald.

Wie schätzt ihr die Bedeutung eines solchen Kongresses ein? Welche Rolle spielt er für die Vernetzung in Sachsen und darüber hinaus?

Naja, die Blindgänger des sächsischen Verfassungsschutzes räumten dem JuKo 2016 eine recht große Rolle in Sachen Vernetzung ein. Nein, im Ernst: Für (junge) Menschen, gerade in der so genannten Provinz, ist es wichtig zu wissen, dass sie mit der Gesamtscheiße nicht allein sind und an wen sie sich wenden können, wenn sie, weswegen auch immer, Support benötigen. Doch allein schon die Orga des JuKo führt dazu, dass sich Gruppen und Menschen aus verschiedenen Städten und auch verschiedenen Kontexten vernetzen müssen! Am Beispiel Chemnitz ist festzustellen, dass sich infolge des JuKo 2016 etwas getan hat. Neue Gruppen sind entstanden, Menschen und Gruppen haben sich untereinander vernetzt, wodurch gemeinsame Aktivitäten zustande kamen. Auch Wissensweitergabe und gemeinsame Diskussionen, zum Beispiel über Strategien linksradikaler Politik in Sachsen, waren wichtig. Letztendlich sollte sich aber auch nicht auf dem Wochenende ausgeruht werden. Linksradikale Politik muss auch an allen anderen Tagen im Jahr stattfinden.

Chemnitz gilt als eine der Hochburgen der extrem rechten Szene. Wie äußerte sich dies während des JuKo, bzw. davor und danach? Gab es zudem Probleme mit der Polizei und den städtischen Behörden?

Chemnitz ist seit Jahrzehnten ein Hotspot der extremen Rechten. Der NSU tauchte hier unter und hatte ein großes Unterstützer*innen-Umfeld. Es gab und gibt zudem in der Fußball-Fanszene einflussreiche Gruppierungen wie etwa die „NS-Boys“ oder die „HooNaRa“ („HooligansNazisRassisten“). Desweiteren ist Chemnitz immer noch ein Zentrum von RechtsRock samt Vertriebsstruktur. Das bundesweit bekannte Label „PC Records“ hat hier seinen Sitz und Läden wie das „Rascal“ oder „Backstreetnoise“ vertreiben seit über zehn Jahren rechte Lifestyle-Artikel. Neonazis sind hier  gesellschaftlich verankert. So stellte zum Beispiel die „Haller Security“ — die Firma des Gründungsmitglieds der „HooNaRa“, Thomas Haller — in der Vergangenheit mehrfach den Schutz für den Weihnachtsmarkt, das Presse- und das Stadtfest.
Im Kontext des JuKos waren allerdings keine besonderen rechten Aktivitäten zu vernehmen. Es gab in 2017 dennoch vermehrt Angriffe, die auf ein rechtes Tatmotiv schließen lassen. Genannt seien hier die Schüsse auf die linksalternativen Räumlichkeiten „Lokomov“ und das „Kompott“, sowie brennende Autos auf dem Gelände des Wohnprojektes „B-Hof“. Die Cops waren dieses Jahr zurückhaltender, was sich darin äußerte, dass sie nicht ständig vor dem Projekt wahrnehmbar waren. Was allerdings nichts heißen muss. Die Stadt selber wurde etwas nervös, als die Presse den Verfassungsschutz zu Wort kommen ließ, welcher den JuKo als „linksextrem“ einstuft. Schade, dass man sich auch 2017 noch an „linker Gewalt“ hochzieht, statt über Inhalte zu sprechen. Uns als WASTELAND-Vernetzung selber tangiert das am Ende nicht wirklich, aber es macht es für uns natürlich schwerer, andere Klientel zu erreichen, da der Extremismus-Quark leider doch in vielen Köpfen wirkt.

Was nehmt ihr für euch selbst aus den vier Tagen mit? Seid ihr eher erschöpft oder hoch motiviert?

Klar war es anstrengend! Zumal wir Wert darauf legten, dass wir wenig Referent*innen einladen, sondern die vielen Veranstaltungen selbst stemmen. Doch auch die strukturellen Aufgaben, ja, auch die Reproduktion, waren sehr kräftezehrend. Dennoch hat es viel Spaß gemacht. Wir als Orga gehen definitiv hochmotiviert aus dem Wochenende raus und bestimmt geht es Anderen ähnlich.

Vielen Dank, dass ihr euch die Zeit für dieses Interview genommen habt. Wird es 2018 wieder einen JuKo in Chemnitz geben?

Die Resonanz, positiv wie negativ, wird uns als WASTELAND intensiv darüber nachdenken lassen, das Konzept weiter zu verfolgen. Ob in Chemnitz..? WASTELAND wird aber auch abseits des JuKos versuchen, der Gesamtscheiße etwas entgegen zu stellen. Ihr hört sicher von uns!

Weitere Informationen unter: wasteland.noblogs.org