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AfD und Neue Rechte

Richard Gebhardt
Einleitung

Björn Höcke verkörpert den paradox anmutenden Typus eines neurechten Parteipolitikers. Das für diese Tätigkeit nötige „geistige Manna“ zieht der Landesvorsitzende der thüringischen „Alternative für Deutschland“ (AfD) nach eigenen Angaben aus der „Lektüre von Werken, die in Schnellroda entstehen“. Das in Sachsen-Anhalt gelegene Rittergut Schnellroda ist Sitz des neurechten "Instituts für Staatspolitik" (IfS). 

Foto: Christian Ditsch

Björn Höcke bei einer Veranstaltung der AfD.

Konservatismus als Kampfbegriff

In seinem Büchlein „Provokation“ warf der neurechte Publizist Götz Kubitschek bereits im Jahre 2007 der politischen Klasse den Fehdehandschuh vor die Füße. „Provokation“ gehört zum Kanon der zeit­genössischen Neuen Rechten — und aktuell sicher auch zur Basislektüre einiger Abgeordneten und Fraktionsmitarbeiter der AfD.

Ende November 2015 hatte Höcke auf dem IfS-Kongress „Ansturm auf Euro­pa“ eine Rede gehalten, in der er auch über den „lebensbejahenden afrikanischen Ausbreitungstyp“ spekulierte. Höckes „populationsökologische“ Überlegungen sorgten für medialen Wirbel und legten den Blick auf die Kollaboration führender AfD-Politiker mit der Neuen Rechten frei. Denn neben Höcke gehört auch der sachsen-anhaltische AfD-Landesvorsitzende André Poggenburg zu den regelmäßigen Gästen auf dem Rittergut, das von dem Bewegungsunternehmer Götz Kubitschek und seiner Ehefrau, der Publizistin Ellen Kositza bewirtschaftet wird.

Bislang galt die Neue Rechte als metapolitische Fraktion außerhalb der Parteien. Ihre Strategie zielt primär auf den Kampf um die Köpfe. Periodika wie die vom IfS herausgegebene Zweimonatszeitschrift „Sezession“ dienen als Theorieorgan, im hauseigenen Verlag „Antaios“ erscheint die ambitionierte Literatur für eine radikale Rechte. Nach dem Scheitern der geschichtspolitischen Interventionen jener Rechten, die weder den 8. Mai 1945 als „Tag der Befreiung“ akzeptieren noch die Verbrechen der Wehrmacht anerkennen wollten, sollten wieder deutschnationale Impulse zur Erlangung der kulturellen Hegemonie gesetzt werden.

Der Historiker Karlheinz Weißmann und Kubitschek gründeten deshalb im Mai 2000 das damals noch im hessischen Bad Vilbel ansässige IfS. Weißmann — bis 2014 spiritus rector des Instituts — formulierte 2001 in der rechten Wochenzeitung „Jungen Freiheit“ die entsprechenden Konzepte. Es gehe „um geistigen Einfluß, nicht die intellektuelle Lufthoheit über Stammtischen, sondern über Hörsälen und Seminarräumen interessiert uns, es geht um Einfluß auf die Köpfe, und wenn die Köpfe auf den Schultern von Macht- und Mandatsträgern sitzen, um so besser.“

Diese Köpfe erreicht das IfS inzwischen. Die maßgeblich von Höcke initiierte „Erfurter Erklärung“ sendete neurechte Signale in die parteiinterne Diskussion der AfD, Initiativen wie „Ein Prozent“ sorgen dabei für eine außerparlamentarische Flankierung. Zuvor beschränkte sich die Arbeit des Instituts auf die Selbstverständigung eines politisch heimatlosen Milieus, das beispielsweise in Burschenschaften oder intellektuellen Zirkeln auf bessere Zeiten hoffte. Kubitscheks Versuch der Etablierung einer „konservativ-subversiven aktion“ (ksa) geriet als neuartiger Agitprop von rechts zum kurzzeitigen Medienphänomen. Tatsächliche Verkaufserfolge erzielten meist jene Studien des Instituts, die etwa im Windschatten der Debatte um Thilo Sarrazins „Deutschland schafft sich ab“ veröffentlicht wurden. Die Ritterburg Schnellroda wirkte wie ein Ort der Nabelschau der Neuen Rechten. Ihre Anhänger inszenierten sich zwar als Avantgarde, befanden sich aber ständig in der Defensive.

Seit dem Herbst 2014 haben sich die Zeiten geändert. Kubitschek ist Redner bei Demonstrationen der PEGIDA und LEGIDA. Höcke verleiht den Protesten der „besorgten Bürger“, die gegen Moscheen und Flüchtlingsheime demonstrieren, eine pathetische Stimme. Weißmann hingegen konzentriert sich seit dem Rückzug aus dem IfS, dem seit 2013 eine kontroverse Strategiedebatte vorausging, auf seine publizistische Tätigkeit. Der einstige Vordenker des Instituts mahnt nach wie vor zur Geduld und blickt mit Skepsis auf die scheinrevolutionären Posen seiner alten Kameraden. Im Interview mit der „Jungen Freiheit“, die ebenfalls vordergründig Distanz zum aktuellen Kurs des IfS wahrt, warnte Weißmann mit Blick auf das Bündnis zwischen Höcke und Kubitschek vor einer „Lega Ost“.

Gerade Weißmann war jedoch der Vordenker einer deutschen Rechten, die den staatstragenden, als betulich verspotteten Nachkriegskonservatismus überwinden wollte. Weißmann setzte die radikale Linie von Armin Mohler fort, als er beispielsweise 2007 in seiner Schrift „Das konservative Minimum“ deklarierte, es komme darauf an, den Begriff ›konservativ‹ wieder „als Kampfbegriff zu etablieren“. Mohler-Biograf Weißmann gehört ebenso wie Kubitschek zu den erklärten Schülern des ehemaligen Sekretärs von Ernst Jünger, der mit seiner 1949 vorgelegten Dissertation über die „Konservative Revolution in Deutschland 1918—1932“ den Kanon der intellektuellen Rechten erstellte. Mohler, der zeitweise auch als politischer Berater von Franz-Josef Strauß tätig war, bevorzugte die „Liberalenbeschimpfung“ — und spitzte so das Leitmotiv der Neuen Rechten zu. Im Zentrum ihrer Ideologie steht die scharfe Ablehnung des gesellschaftspolitischen Liberalismus, die Kritik der Auflösung von Religion, Tradition, Nationalstaat und deutscher Identität. Diese Kulturkritik ist ganz im Sinne von Arthur Moeller van den Bruck, einem Vordenker der „Konservativen Revolution“. Dessen Credo lautete: „An Liberalismus gehen die Völker zugrunde.“

„Konservatismus“ ist hier ein Tarnbegriff für jene präfaschistischen Positionierungen, die im Spektrum der intellektuellen Rechten zirkulieren. In ihrer Schrift "Junges Europa"1 schwärmen die mit dem IfS verbundenen Autoren Felix Menzel und Philip Stein von der italienische Bewegung „CasaPound“ und loben so die „Faschisten des dritten Jahrtausends“. Ob Höcke auch daraus „geistiges Manna“ zieht? Schon im Oktober 2014 — kurz vor den ersten „Abendspaziergängen“ der Dresdener PEGIDA — demonstrierte er im Interview mit Kubitschek auf „Sezession“ im Netz seine Zugehörigkeit zum Milieu. Seine Warnung vor einem „Globalisierungstotalitarismus“ oder die Forderung nach der „Verteidigung der ethnokulturellen Diversität“ zeigten, dass hier jemand die Codewörter der Neuen Rechten verinnerlicht hatte. Deren Haltung zur AfD bleibt jedoch ambivalent. Kubitschek sprach schon im Mai 2013 im Sonderheft der „Sezession“ von der „Öffnung eines zusätzlichen Resonanzraums“, die mit dem Antritt der AfD einherginge. Er warnte zugleich vor der AfD als „Kantenschere“, die nicht parteigebundene Rechtsintellektuelle weiter isoliert.

Trotz der Ablehnung seines Antrags auf Parteimitgliedschaft durch den alten Bundesvorstand, wirkt Kubitschek derzeit außerhalb der AfD als Stichwortgeber. Nicht nur Teile der AfD in Thüringen und Sachsen-Anhalt erhalten ihr politisches Rüstzeug in der rechten Ritterburg. Öffentlichkeitswirksame Aktionen flankieren dabei die parlamentarische Arbeit der Neuen Rechten in der AfD. Eine maßgeblich von dem Staatsrechtler Karl Albrecht Schachtschneider eingereichte „Verfassungsbeschwerde gegen die Politik der Masseneinwanderung“ wurde zwar zurückgewiesen, doch das unter anderem von Kubitschek, Schachtschneider und Hans-Thomas Tillschneider (AfD Sachsen-Anhalt) initiierte Projekt „Ein Prozent“ soll die Infrastruktur liefern, um weitere Aktivitäten zu koordinieren. Dass dabei Vorstöße wie die Propagierung des „Widerstandsrechts“ nach Artikel 20 Absatz 4 des Grundgesetzes selbst in den eigenen Reihen als bloße Show gelten, verdeutlicht der von Kositza und Kubitschek 2015 herausgegebenen Gesprächsband „Tristesse Droite. Die Abende von Schnellroda“. Als in vertrauter Runde die Rede auf das „Widerstandsrecht“ im deutschen Grundgesetz kommt, wird dieses Recht als „absurd“ oder „lächerlich“ bewertet. „Das ist was, das in den Kommentarspalten immer als Kadaver durchs Dorf geschleift wird“, lautet das vernichtende Urteil.

Lektionen in „Verfassungspatriotismus“ zählen deshalb wohl kaum zu den Schulungsunterlagen des IfS. Wer wissen will, welcher Geist dort herrscht, muss nur Björn Höckes Mentor zitieren. In seinem Büchlein „Provokation“ warf Götz Kubitschek bereits im Jahre 2007 der politischen Klasse den Fehdehandschuh vor die Füße. Der spin doctor des völkischen Flügels der AfD formuliert hier Klartext: „Weil Ihr Angst vor der Abrechnung habt, bittet Ihr uns nun an einen Eurer runden Tische? Nein, diese Mittel sind aufgebraucht, und von der Ernsthaftigkeit unseres Tuns wird Euch kein Wort überzeugen, sondern bloß ein Schlag ins Gesicht.

„Provokation“ gehört zum Kanon der zeit­genössischen Neuen Rechten — und aktuell sicher auch zur Basislektüre jener Abgeordneten und Fraktionsmitarbeiter der AfD, die auf der Ritterburg ihr „geistiges Manna“ empfangen. Die Öffentlichkeit muss also nicht rätseln, welchen ›parlamentarischen‹ Stil die dort bevorzugte kämpferische Auslegung von ›konservativ‹ inspirieren wird.

  • 1Aus der Reihe "BN-Anstoss" - einer Schriftenreihe der "Blauen Narzisse" bzw. des "Verein Journalismus und Jugendkultur e.V."