Skip to main content

„Patriotisches Menschenmaterial“

Einleitung

Analyse und Hintergründe der extrem rechten Facebook-Gruppe „Weil Deutsche sich’s noch trau’n!“

Wenn sich Salafisten in der Öffentlichkeit präsentieren, rufen nicht selten verschiedene Strömungen der rechten Szene zu Protesten auf: Sogenannte „rechtspopulistische“ Parteien wie Pro Deutschland, die völkische Identitäre Bewegung (IB), die Islamfeinde von der German Defence League (GDL) und manchmal auch die NPD. Zuletzt traten bei solchen Anlässen auch rechte und neonazistische Fußball-Hooligans in Erscheinung. Diese vernetzten sich über die Facebook-Gruppe „Weil Deutsche sich’s noch trau’n!“. Die genaue Betrachtung dieser Gruppe und ihrer Exponenten bietet einen Einblick in die Verfasstheit und Organisierung rechter Hooligans.

Eine Gruppe (rechter) Hooligans und ihre Unterstützer versuchen im März 2014 einen Auftritt von Salafisten in Mannheim zu stören.

„Dritte Halbzeit“ gegen Salafisten

Vor allem wenn Pierre Vogel alias Abu Hamza, der bekannteste Vertreter salafistischer Gruppen in Deutschland, mit seinem Verein „Schlüssel zum Paradies“ auftritt, mobilisie­ren rechte Gruppen ihre Anhänger_innen dagegen, weil er offensiv und selbstbewusst in „ihre“ Innenstädte drängt. Tatkräftige Unter­stützung bekamen sie in diesem Jahr mehr­fach von Hooligans. Im Februar 2014 versuchte in Mönchengladbach eine Gruppe von etwa 150 GDL-Aktivisten und Hooligans mit Feuerwerkskörpern und Flaschenwürfen zu einer Kundgebung mit Pierre Vogel vorzudringen, was die Polizei verhinderte. „,Deu­t­sch­land, Deutschland’-Rufe und Pyro­technik sorgten für das passende Ambiente“, befand das neonazistische Internetportal „Wacht am Rhein“. Der rechte Blog PI-News berichtete: „Abgefeuerte Bengalos und Bier­flaschen-Wurfgeschosse“ hätten die Salafisten „in arge Bedrängnis“ gebracht.1

Im März 2014 tauchten rund 200 rechte Hooligans mit der Parole „Deutschland den Deutschen“ in Mannheim auf, um eine Salafisten-Kundgebung zu attackieren. Sie warfen mit Flaschen, Böllern sowie Feuerwerkskörper und versprühten Reizgas. Fünf Polizisten wurden verletzt. Die Polizei nahm vier Hooligans fest, 16 weitere wurden zeit­weilig in Gewahrsam genommen. Die Angreifer waren nach Medienberichten „größtenteils polizeibekannt“ und aus verschiedenen Städten angereist, unter anderem aus Stuttgart, Kaiserslautern und Karlsruhe. PI-News berichtete erfreut, man hätte vor Ort auch Fußballfans aus Frankfurt getroffen.1
 
Ende März 2014 versammelten sich in Hannover Anhänger und Anhängerinnen der GDL, der Identitären Bewegung, von Pro Deutschland und der rechtspopulistischen Wählergemeinschaft „Die Hannoveraner“ zu Protesten gegen Pierre Vogel. Unterstützung erhielten sie von einer Gruppe von etwa 15 Hooligans, die die Teilnehmenden der salafistischen Kundgebung einzuschüchtern versuchten. Im Verlauf der Gegenaktionen kam es zu Eierwürfen, Beleidigungen und einer versuchten Körperverletzung.

Von Facebook in das „real life“

Ähnlich wie bei den rassistischen Mobilisierungen gegen Flüchtlingsunterkünfte spielen soziale Netzwerke wie Facebook auch bei diesen Mobilisierungen eine große Rolle. Unter dem Motto „Weil Deutsche sich’s noch traun!“ sammelten sich von Februar bis April 2014 knapp 320 extrem rechte Hooligans und Neonazi-Aktivisten aus ganz Deutschland in einer geschlossenen, heute nicht mehr existenten Facebook-Gruppe. Initiator war der 35-jährige Marc H. aus Remchingen bei Karlsruhe. Am 15. Februar schrieb er: „Hallo Jungs ... auf Wunsch habe ich jetzt mal eine Gruppe gegründet in der wir uns vielleicht besser über gemeinsame politische Interessen unterhalten können wie z.B. ein Treffen in Gladbach […] In diesem Sinne-Alles für Deutschland!.“ Dies ist unschwer als Anspielung auf die Hooligan-Mobilisierung gegen eine weitere angekündigte Pierre-Vogel-Kundgebung in Mönchengladbach im April 2014 zu lesen. „Wir haben vor die Kommunikation unter nationalen Fussballjungs etwas zu verbessern […] der Anstoß dazu war die Salafisten Demo in MG wo viele Gladbacher als Gegenpol waren“ erklärte er in einem Posting. Marc H. schrieb weiter: „Ich denke gerade wir Fussballjungs können was verändern...wir haben schon immer unsere eigene Meinung zum System...Ehre, Zusammenhalt und Stolz sind keine Fremdwörter...das ist wichtig...wenn wir geschlossen auftreten wird es für die Feinde schwierig!“. Die Gruppe war vorgesehen für „Hooligans/ Fussballrocker mit nationalem Gedankengut“, so Marc H., doch „es darf natürlich trotz­dem jeder Kamerad an der Gruppe teilhaben, nur nicht vergessen — Wir sind nunmal auch Hools / Rocker!"

Bereits unter den ersten Administratoren waren bekannte Neonazis wie der Mannheimer Neonaziskinhead Christian Hehl, seit den Kommunalwahlen NPD-Abgeordneter im Gemeinderat von Mannheim. Rasch ging es im Schneeball-System weiter. Der Mönchengladbacher Hooligan George von E. stieß zum Kreis der Administratoren und exponierte sich in der Folgezeit als rassistischer Scharfmacher. Die Blaupausen dafür, was kommen sollte, lieferten Youtube-Videos von Angriffen englischer Hooligans und Aktivisten der English Defense League (EDL) auf Versammlungen von „Isla­misten“ in verschiedenen englischen Städten. George von E. gab die Parole „Getrennt in den Farben, vereint in der Sache — Alles für Deutschland!“ aus und erklärte: „ziel muesste es sein,eine aehnlich druckvolle bewegung wie die edl zu schaf­fen...obwohl die gegebenheiten sich hier und auf der insel wesentlich unterscheiden..weiter muss ziel sein,eine art organisierte gegenwehr parat zu haben wenn die zeiten haerter werden...und das werden sie ganz sicher“. Sein Anliegen fasste er in einem weiteren Posting zusammen: „sehr positiv das sich hier leute aus den unterschiedlichsten schichten und bewegungen befinden.es geht um dinge die hoeher sind als eitelkeiten...wir fussball leute haben es geschafft, nach fast 30 jahren hooliganismus und teilweise erbitterter feindschaft. also egal ob german defence,hooligan,normalo,identitaer ,pro nrw oder npd....wir haben die gleichen ideale und ziele (…) der anfang ist gemacht....patriotisches menschenmaterial mit ehre ,mut und kampfgeist...“ Die Diskussionen über Aktionsformen entwickelten ihre eigene Dynamik. Ein Hooligan der Brigade Bochum schlug vor: „Wenn wir ein paar Tage vorher auf den Platz Schweineblut-Fleisch-werfen dann ist der Platz entweiht!“, ein Mönchengladbacher favorisierte andere Mittel: „weiss nicht was für auswirkungen buttersäure auf die umwelt hat aber die stinkt wie sau.“ George von E. ersann sich derweilen militantere Aktionen: „vl nehm ich doch die allah akbar bumm methode....dann knallts wenigstens 1 x richtig“.

So mancher bekannte sich offen zum Nationalsozialismus. Der Zwickauer Andreas S. postete ein Foto mit Hakenkreuzfahne, bekam dafür statt Widerspruch den Ratschlag: „Würde ich aus bekannten Gründen rausnehmen, sonst ist die Gruppe hier gleich raus.“ Obwohl „reine“ Fußballthemen nur selten angerissen wurden, war dies einigen schon zu viel. Ein Düsseldorfer Hooligan schrieb: „Ich frag mich grad ernsthaft ob das hier eine fussball gruppe ist oder ob es hier doch noch um politisches geht!“ worauf eine GDL-Anhängerin aus Mönchengladbach bemerkte: „Vielleicht sollte das endgültig mal geklärt werden! Ich habe mit Fussball nämlich nichts am Hut!

Die April-Mobilisierung nach Mönchengladbach

Initialzündung der Gruppe waren die Proteste gegen den öffentlichen Auftritt von Pierre Vogel in Mönchengladbach am 7. Februar 2014, in dessen Folge dieser verkündete, im April wieder in die Stadt am Niederrhein zu kommen. George von E. schrieb: „Feb. mg...gegen die salafisten-april..geben wir ihnen den rest!“. Thorsten S., Sprecher der Brigade Bochum, untermauerte dies: „Wir sollten Moenchen-Gladbach als ersten Auftritt festhalten!“ (...) „Das Hauptding sollte in Gladbach sein!!!!“. Um die Reise der Kameraden nach Mönchengladbach attraktiver zu machen, kündigte George von E. eine „after party“ in einem „club in unserer altstadt“ an, „headliner soll —passenderweise— herr frank schröder aka dj hooligan sein“. Gruppen-Gründer Marc H. sagte zu, einen Bus mit Hooligans aus Süddeutschland zu organisieren, Bochumer Hooligans kündigten ihr Erscheinen an und Remko Sch. aus dem niederländischen Venlo bemerkte, dass sich die militante Neonazi-Gang „Combat 18 Nederland“ über eine Einladung freuen würde. Zugleich versprach er, die „C18 Deutschland Kameraden“ zu informieren. Der bekannte neonazistische Kameradschafts-Akti­vist Jan Z. von der Kaiserslauterner Hooligangruppe „First Class Limburgerhof“ kündigte „fuer das Ding in MG“ eine Delegation der „Lautrer aus der Vorderpfalz“ zur Unterstützung an. Ralf Schütthelm („Schütt­ler“), eine exponierte Person der Kaiserslauterner Hooligantruppe „Rot-Front“ und Veranstalter von Konzerten mit der extrem rechten Band Kategorie C, war voller Vorfreude, „da ,meines Erachtens nach,der Nationale Mob,auf Demos VIEL ZU DEFENSIV AGIERTE BISHER,hoffe ich das da neuer Wind in die Sache kommt...“.
Doch das Match fiel aus. Pierre Vogel kam nicht noch einmal nach Mönchengladbach.

Das Netzwerk der „nationalen Fußballjungs“

In der Facebook-Gruppe bildeten die Fußballszene bzw. das Bekenntnis zum Fußball und der Hass auf Muslime die Klammer für Rechte und Neonazis verschiedener Strömungen und Gruppen: Die „nationalen Fußballjungs“, Hammerskins, rechte Rocker, Aktivisten der Identitären Bewegung und der German Defense League (GDL). Letzteren gab George von E. zu verstehen: „marc..ihr und die gdl werdet noch in form ge­bracht... kein zweifel..“ Das Forum war eine fast reine Männerwelt: Von den 320 Personen, die die Gruppe durchliefen, waren drei Frauen.

Das Beispiel Mannheim, wo die bisher größte rechte Hooligan-Mobilisierung gegen eine Pierre-Vogel-Kundgebung auf die Beine gestellt werden konnte, verdeutlicht die brisante Zusammensetzung der Islam-Hasser. Aus dem Mannheimer Nahbereich fanden sich im Forum Personen der neonazistischen Hammerskins, ein Protagonist der neonazistischen Anti-Antifa, der NPD-Kandidat Christian Hehl, Mitglieder der Mannheimer Hooligangruppe „The Firm“ und Personen aus dem örtlichen Rocker-Milieu.

Einige Teilnehmer der Gruppe gehörten bereits dem Netzwerk Blood & Honour (B&H) an, das in Deutschland im Jahr 2000 verboten wurde: Christian Hehl, Ralf Schütthelm und der Hamburger Thorsten de Vries, der später im Vorstand der Hamburger NPD und im Milieu des regionalen Hells Angels MC landete. Oder auch Markus Frntic aus Kirchheim am Neckar. Letzterer war Führungsperson der Blood & Honour-Sektion Württemberg und gründete 1999 aus B&H heraus die Neonazi-Gruppe „Furchtlos und Treu“. Bei der Gruppe wurden 2004 im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens wegen des Verdachts des Verstoßes gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz unter anderem 2.500 Schuss Munition, 500 g formbare Sprengmasse und eine Sprengschnur sichergestellt.

Tatsächlich machten bekannte Exponenten von NPD und Kameradschaften in der Facebook-Gruppe kaum mehr als ein Dutzend Personen aus. Mitglieder und Anhänger anderer Gruppen waren hingegen weitaus zahlreicher vertreten, beispielsweise von der Identitären Bewegung und aus dem Kreis des Rockerclubs Gremium MC.

So bot Marcel V. aus dem hessischen Fulda Ende März an, 20 Mitglieder der „Identitären aus Fulda ins Boot [zu] holen“. Nach kritischem Einwand des Forum-Machers Marc H. („Sind das denn Fußballjungs?“) reduzierte V. den Kreis und sieben „Identitäre“ aus Marburg und dem Raum Fulda stießen zur Gruppe hinzu — unter ihnen befand sich Daniel O. aus Fulda, seit Jahren die zentrale Figur einer dort ansässigen Gruppe von Hammerskins. Weitere zum Teil bekannte „Identitäre“, die in dem Forum aktiv waren, kommen aus dem Rhein-Main-Gebiet, Mannheim, Mönchengladbach und Ostwestfalen.

Bei über einem Dutzend Mitgliedern der Facebook-Gruppe lässt sich eine Zugehörigkeit zu Rockerclubs feststellen, etliche weitere zeigen über Freundeslisten, Facebook-Gruppen und Partybilder eine deutliche Nähe zu Rockern. Besonders im Blickpunkt steht das Bochumer Chapter des Gremium MC. Es scheint, als sei diese Ortsgruppe des bundesweit aktiven Rockerclubs personell weitgehend identisch mit dem Kern der Bochumer Hooligan-Truppe Brigade Bochum. Weiterhin vertreten waren mindestens zwei Personen des Karlsruher Gremium-Chapters, darunter Ralf Schütthelm, der schon seit vielen Jahren dem Rockerclub angehört. Auch der Hamburger Forums-Teilnehmer und HSV-Fan Heiner G. ist Member des Gremium MC. In den frühen 1980er Jahren war er Anführer der damals berüchtigten neonazistischen Schlä­gertruppe Savage Army.

Comeback der „Alten“?

Am 1. Mai 2009 wurden in Dortmund 400 Neonazis festgesetzt, die zuvor eine Demonstration des Deutschen Gewerkschafts­bundes überfallen hatten. Die Schnittmenge der dort aufgetretenen Neonazis zu den Mitgliedern der Facebook-Gruppe „Weil Deutsche sich’s noch trau’n!“ besteht aus exakt einer Person: Ein 25-jähriger Kameradschaftsaktivist aus dem hessischen Steffenberg, dessen Bekenntnis zu Dynamo Dresden zudem recht aufgesetzt wirkt.

Auffallend ist, dass die jungen und erlebnishungrigen Neonazis in dieser Facebook-Gruppe nur vereinzelt sind. Der absolute Großteil gehört der Generation Ü30 an, Dutzende sind jenseits der 40. Viele haben eine Vergangenheit als neonazistische Skinheads. Doch sie wurden älter, gründeten Familien und zogen sich mehr und mehr aus dem zurück, was allgemein als „aktive Neonaziszene“ verstanden wird. Somit verschwanden sie fast alle aus dem Fokus antifaschistischer Beobachtung und aus polizeilichen Rechtsextremismus-Karteien. In den Stadien blieben sie als „die Rechten aus der Kurve“ freilich präsent. Nun treten sie (wieder) auch außerhalb der Stadien politisch auf. Es ist keine Repolitisierung, denn entpolitisiert waren sie nie. Vielmehr findet eine Aktivierung bzw. Reaktivierung statt.

Diese „Alten“ verstehen die Stadien oder zumindest „ihre“ Kurven seit jeher als Refugien einer urdeutschen, reaktionären Männerwelt. Sie wähnten sich quasi unter Artenschutz. Doch „ihr“ Schutzraum scheint bedroht: Nicht nur durch die Verordnung, nur alkoholfreies Bier auszuschenken, sondern vor allem durch Aktionstage gegen Homophobie, durch Kampagnen gegen Rassismus oder durch Frauen, die in „ihrer“ Männerbastion gleichberechtigt mitwirken wollen. Die „alten Werte“ schweißen nun die zusammen, die sich noch vor wenigen Jahren feindselig gegenüber standen. Ihr Selbstbewusstsein, erwachsen aus der Erkenntnis, viele und zunehmend auch jüngere Mitstreiter zu finden, expandiert nun über die Stadien hinaus und kulminiert im Kampf gegen Islam und Salafisten, die — so wird es empfunden — immer massiver in „ihre“ Städte und „ihre“ Territorien eindringen würden. Da sich gerade die Gruppe um den Ex-Boxer Pierre Vogel recht selbstbewusst und wehrhaft gibt, ist der Rahmen für das „Match“ abgesteckt.

Die „Politik“ der Facebook-Gruppe lässt sich tatsächlich nicht auf die militante Islamfeindschaft reduzieren. Vielmehr offenbart sich in den Themen, Kommentaren, Karikaturen etc. die geschlossene reaktionäre Männerwelt. Der Hass gegen Linke und insbesondere gegen „die Antifa“ nimmt darin breiten Raum ein. Und nachdem eine Piraten-Politikerin im Februar im Rahmen einer Aktion der Gruppe Femen anlässlich des Jahrestages der Bombardierung Dresdens im Zweiten Weltkrieg mit der Parole „Thanks Bomber Harris“ aufgetreten war, ergoss sich in den Kommentaren eine Flut nicht zitierfähiger Gewalt- und Vergewaltigungsphantasien.

Rechte Hooligan-Offensive auch in den Stadien

Dass seit Anfang 2013 flächendeckend ein Aufschwung rechter Fan- und Hooligan-Gruppen festzustellen ist, lässt sich unter anderem auf „Erfolge“ zurückführen, die die Rechten für sich verbuchen: Anfang 2013 zogen sich die Aachener Ultras aus dem Stadion zurück. Sie waren wiederholt Angriffen der rechten Fan-Gruppe Karlsbande ausgesetzt und wurden dabei von Stadt, Verein und Fanprojekt sträflich im Stich gelassen.2 Dies hatte offenbar eine Signalwirkung auf rechte Alt-Hooligans. Im September 2013 eskalierte der Konflikt in Braunschweig. Die Ultras Braunschweig wurden von Rechten gewaltsam aus einem Block vertrieben, die Vereinsführung verdrehte nachfolgend die Täter-Opfer-Rollen und belegte die Ultras Braunschweig mit einem Auftrittsverbot im eigenen Stadion. In Kaiserslautern, seit Jahren schon einer der Brennpunkte rechter Mobilisierung in den Stadien, bestimmten die Führungspersonen der Hooligan-Gruppen „Rot-Front“ und „First Class Limburgerhof“ schon vor Jahren, dass Antirassismus im Stadion nicht geduldet würde. Wenngleich sich der Verein mittlerweile öffentlich gegen Neonazis ausspricht und anti-rechte Fans durchaus Unterstützung erfahren, scheut sich die Vereinsspitze nach wie vor, entschlossen gegen die große, etablierte Szene um die Rot-Front-Hooligans vorzugehen.

Die 320 Teilnehmenden der Gruppe „Weil Deutsche sich’s noch trau’n“ sind kein bundesweiter Spiegel rechter Hooligangruppen. Das Forum war sehr „südwest-lastig“. Beinahe ein Drittel der Teilnehmenden — fast 100 Personen — rekrutierten sich aus den Fanszenen von Borussia Mönchengladbach und VFL Bochum. Unter den 50 „Gladbachern“ befanden sich alte und jüngere Hooligans, vereinzelt Aktivisten von Kameradschaften und Identitären sowie eine Person, die sich als Mitarbeiter im Mönchengladbacher Stadionsicherheitsdienst zu erkennen gab. Überhaupt kristallisiert sich Mönchengladbach als Problemfeld heraus: Die Gladbacher Fangruppe „bisbetica diva“ berichtet, sie sei beim Heimspiel gegen Hertha BSC Berlin am 22. März 2014 im eigenen Stadion aus Reihen Gladbacher Fans massiv attackiert worden, als sie ein Banner gegen Homophobie am Zaun anbrachte.

Die Bochumer in der Facebook-Gruppe sind dominiert von dem sich nach Außen „unpolitisch“ gebenden Fanclub Brigade Bochum, der mit zwei Dutzend Personen zudem die mitgliedsstärkste Gruppe in dieser Facebook-Gruppe stellte. Aus den Fankreisen des 1. FC Kaiserslautern waren knapp 20 Personen, größtenteils aus dem Kreis der Rot-Front-Hooligans, zu finden. Andere Vereine waren mit knapp zehn Personen vertreten: VFB Stuttgart (Hooligans und Neonazis der Gruppen Neckar-Fils und Legion Süd), Karlsruher SC, Waldhof Mannheim, Borussia Dortmund. Die neuen Bundesländer waren stark unterrepräsentiert, neonazistische Hooligans des BFC Dynamo Berlin bildeten die stärkste Gruppe im „Osten“, kleinere Personenzusammenhänge kamen aus Jena, Dresden, Cottbus, Zwickau.

Die GnuHonnters

Einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf das Forum übten Angehörige des Hooligan-Netzwerkes GnuHonnters aus. Mindestens ein Dutzend Personen des Forums sind eindeutig den GnuHonnters zuzurechnen, etliche andere demonstrieren ihre Nähe zu der Gruppe. Auch der Scharfmacher der Gruppe, der Mönchengladbacher George von E., gehörte bis Anfang 2014 den GnuHonnters an, verließ diese aber mittlerweile. Die GnuHonnters, abgeleitet von „New Hunters“ (Neue Jäger), wurden 2012 gegründet. Mittlerweile sollen ihnen 300 Personen angehören. Die GnuHonnters setzten das Signal: Es geht doch, wir können uns vereinsübergreifend organisieren. Mit festen Mitgliedschaften und Aufnahmekriterien sammeln sie seitdem Hooligans von Vereinen aus ganz Deutschland. Mit einer Ausnahme: Schalker dürfen auf Betreiben der GnuHonnters aus der Dortmunder Borussenfront nicht mitmachen. Credo des Netzwerkes ist die „Herstellung alter Werte, keine Antifa im Stadion und Meinungsfreiheit zurückgewinnen.“ Auch wenn ihre Sprache hier schon deutlich nach rechts ausschlägt: Eine homogene extrem rechte oder gar neonazistische Gruppe sind die GnuHonnters nicht. Anders als das Forum „Weil Deutsche sich’s noch traun’n“, das sich explizit als politische Plattform verstand, funktionieren die GnuHonnters als sozialer Zusammenschluss, in dem die Politik nicht (immer) im Vordergrund steht und der auch bewährten Hooligan-Kameraden offensteht, die mit Politik nicht viel am Hut haben wollen. Die GnuHonnters wehren sich dagegen, als rechte Gruppe dargestellt zu werden und verweisen darauf, dass ihnen auch „Türken“ und „Libanesen“ angehören. Tatsächlich finden sich in ihren Reihen auch zwei Hooligans mit türkischen und libanesischen Migrationshintergrund (aus Duisburg und Bochum).

Tonangebend im Netzwerk der GnuHonnters sind Hooligans aus Dortmund, Kassel und Stuttgart. Die Dortmunder werden repräsentiert von „Alten“ der Borussenfront, unter anderem von Sascha Rudloff, der bis November 2013 Bezirksvertretungsabgeordneter der NPD im Dortmunder Stadtteil Evingen war, dann zur Neonazi-Partei „Die Rechte“ übertrat und für diese bei der Kommunalwahl im Frühjahr 2014 erfolglos kandidierte. Die starke Stuttgarter GnuHonnters-Fraktion wird von Personen von „Neckar-Fils“ und „Legion Süd“ gestellt. Neckar-Fils, eine Hooligantruppe des VFB Stuttgart, wurde 1979 gegründet und war bis Mitte der 1990er Jahre personell stark identisch mit der neonazistischen Stuttgarter Skinheadszene. Diese differenzierte sich um 1995 aus: Die einen organisierten sich zunehmend politisch und gingen zum Teil in der örtlichen Blood & Honour-Struktur auf, die anderen fokussierten sich auf Fußball und Neckar-Fils. Doch es blieben viele Schnittstellen bestehen. Neckar-Fils gelang es in den vergangenen Jahren, eine jüngere Generation von rechten Fans, zum Teil bekennenden Neonazis, zu integrieren. Diese profilierten sich durch Provokationen und Drohungen gegenüber antirassistischen Fans, bei denen sich die „Alten“ meist beobachtend im Hintergrund hielten. Schließlich trat auch der Führungskreis von „Neckar-Fils“ um den heute 47-jährigen Stuttgarter Andreas L., einem exponierten Neonaziskinhead der frühen 1990er Jahre, wieder eindeutig neonazistisch auf — im Forum „Weil Deutsche sich’s noch trau’n“, innerhalb der GnuHonnters, am Rande von Neonazi-Aufmärschen und durch massive Drohungen gegenüber als links angefeindeten Stuttgarter Fans. Wie in Aachen und Braunschweig (und Kaiserslautern, Duisburg, Karlsruhe, Mannheim etc.) nahm ausgehend von Neckar-Fils der Druck auf nicht-rechte Fans auch beim VFB Stuttgart zu. Am 3. Mai griffen zwei Dutzend Rechte und Neonazis von Neckar-Fils auf einer Party in Stuttgart ohne Vorwarnung Personen einer nichtrechten Stuttgarter Ultragruppe an. Die Ultras wehr­ten sich und die Neckar-Fils-Schläger wurden von der Party und aus dem Stadtteil vertrieben.

Verlagerung extrem rechter Erlebniswelt

Eigentlich stand an diesem 3. Mai 2014 noch ein anderes Event an. Pierre Vogel trat in Nürnberg auf. Der Termin kursierte im Forum „Weil Deutsche sich’s noch trau’n“. Doch eine Hooligan-Mobilisierung kam nicht zustande. Es war der letzte Bundesliga-Spieltag und der „Gastgeber“, die Hooligans der Nürnberger Red Devils, hatten andere Sorgen, da ihrem Verein 1. FC Nürnberg an diesem Tag das entscheidende Spiel gegen den Abstieg bevorstand. So verloren sich nur knapp 10 Hooligans aus den Reihen der Red Devils und des aus den Red Devils hervorgegangenen Rockerclubs Bombers MC auf dem großen Platz, auf dem die Gegenproteste stattfanden. Die Polizei wies sie an, sich in einen abgesperrten Bereich zu begeben, wo sich vor allem die rechtspopulistische Partei „Die Freiheit“ aufgestellt hatte. Das wollten sie nicht und trollten sich. „Die Freiheit“ war ihnen doch zu bieder und in Anbetracht des eigenen Häufleins und dem großen Polizeiaufgebot war an diesem Tag kein Match zu erwarten.

Nachdem die Gruppe „Weil Deutsche sich’s noch trau’n“ abgemeldet wurde, wichen die Exponenten in andere Gruppen aus. Ob die Mobilisierung rechter Hooligans gegen „den Islam“ mit den Auftritten in Mannheim, Mönchengladbach und Hannover ihren Höhepunkt überschritten hat oder dies nur die Vorboten für etwas waren, was sich in Zukunft als ein extrem rechter Kristallisationspunkt etablieren könnte, wird sich bald zeigen. Es wird nicht zuletzt davon abhängen, ob Politik und Polizei daran interessiert sind, einen militanten Anti-Islam-Wanderzirkus durch das Land ziehen zu lassen. Zudem haben viele Mitglieder der Facebook-Gruppe „Weil Deutsche sich’s noch trau’n“ etwas zu verlieren. Sie haben zum Teil gute Jobs, einige sind Kleinunternehmer, ein Hooligan aus Franken arbeitet beispielsweise in leitender Funktion bei einem großen Versicherungs-Unternehmen. Sie wurden fast alle durch das Facebook-Forum, in dem sie sich in einem geschützten Raum glaubten, als Personen identifizierbar.

Die Auftritte in Mannheim, Mönchengladbach und Hannover sowie die Offensive rechter Fans und Hooligans in den Stadien ist aber auch ein Indiz der Verlagerung extrem rechter Aktionsfelder. Weg von den Aufmärschen, die durch antifaschistische Blockaden häufig zu stationären Kundgebungen minimiert werden und von polizeilichen Großaufgeboten unter Kontrolle gehalten werden. Hin zu neuen Aktionsfeldern, Räumen und Bündnispartnern, wo man in unübersichtlichen Massen agieren kann und die tatsächlich noch Kampf und Erlebniswelt versprechen. Zum Beispiel in den Stadien und gegen Salafisten.

  • 1a1bVgl. bnr.de: „Ungewöhnliche“ Zusammenarbeit von Tomas Sager am 04.04.2014.
  • 2Vgl. LOTTA 55: Explosive Mischung: Die Fanszene von Alemannia Aachen dominieren Neonazis und rechte Hools