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„Embrace collapse“: Ökofaschismus und Sozialdarwinismus in Zeiten der Pandemie

Klaas Anders
Einleitung

Die Corona-Pandemie beflügelt weltweit Anhänger*innen der radikalen Rechten, die mehrheitlich auf einen apokalyptischen „Tag X“ hinarbeiten. Dabei umfasst das Spektrum der Reaktion eine ökofaschistische Glorifizierung des Virus, esoterische Verschwörungstheorien und eugenischen Menschenhass auf die „schädlichen Elemente im Volkskörper“. Der gemeinsame Nenner ist die Wahrnehmung der Pandemie als potenzieller Katalysator rechter Ambitionen. Diese Ideen sind allerdings nicht nur auf eine rechte Filterblase beschränkt, sondern strahlen längst auch bis in die Mitte der Gesellschaft.

Bild: Screenshot

In Image-Boards werden Bilder verbreitet, in dem die radikalen Rechten sich – dargestellt durch „Pepe The Frog“ - auf den apokalyptischen Kampf vorbereiten. Im Hintergrund „Corona Chan“, die stilisierte Darstellung des Virus, als sexualisierte Manga-Figur.

Während ein großer Teil der rechten Bewegungen das Virus oder seine pande­mische Relevanz leugnen, organisieren sich andere Teile der globalen Rechten in ökofaschistischen und akzelerationistischen Netzwerken, die die Auswirkungen des neuartigen SARS-CoV-2 Virus nicht nur anerkennen, sondern ausdrücklich be­grüßen.

Der Ökofaschismus lässt sich als eine von vielen Adaptionen der „Blut-und-Boden“-­Ideologie des Nationalsozialismus begreifen und ist das jüngste Glied in einer Reihe rechter „Naturschutz“-Projek­te, die ihren Ursprung in der Reaktion der deutschen Romantik auf die Ideale der Aufklärung im 18. Jahrhundert finden. Immer wieder wurde Naturschutz auch als Kernthema radikal-rechter Ideologien inszeniert, etwa in der Parole der NPD, Naturschutz sei „Heimatschutz“. Dieser rechte „Heimatschutz“ geht einher mit der Verklärung und Idealisierung naturbezogener, bäuerlicher Lebensweisen und der strikten Ablehnung aufklärerischer Ideale. Diese Ideologie naturalisiert die Nation als Ökosystem und sieht „fremde Rassen“ als Eindringlinge in dieses System. In sozialen Netzwerken und Messengern wie Telegram und den rechten Image-Boards 4chan und 8kun, werden Bilder von Hakenkreuzen, marschierenden Wehrmachtsoldaten oder stilisierte Hitler-Darstellungen auf Aufnahmen dichter Wälder, Berge oder Seen gelegt und in dutzenden Kanälen weiterverbreitet – konstruiert wird so die inszenatorische Naturalisierung des Faschismus, als Rettung der Natur und des Menschen. Der Ökofaschismus knüpft eine Verbindung zwischen rassistischer „Globalisierungskritik“ und vermeintlichem Naturschutz. Eine der meisten geteilten Forderungen in diesen Netzwerken lautet: „save bees not refugees“. Geschlossene Grenzen als Mittel für den Naturschutz zu fordern, ist allerdings kein neuer Topos im Ökofaschismus und anderen anschlussfähigen Ideologien. Auch Vordenker*innen der sogenannten „Deep Ecology“ – einer Idee, der auch die Umweltbewegung „Extinction Rebellion“ nahesteht – sprechen von ökologischen Belastungen durch Migration und äußern den Wunsch nach einem Bevölkerungsrückgang, besonders im globalen Süden.

In den ökofaschistischen Netzwerken­­ geht man noch deutlich weiter in der Artikulation der eigenen Vorstellungen: Im Kontext der Pandemie werden Bilder von dystopischen Zuständen, gepaart mit Hakenkreuzabbildungen, Totenköpfen und der Aufschrift „Embrace collapse“ verbreitet. Die Weltuntergangsfantasie wird von der Dystopie zur sehnsüchtig-erwarteten Utopie, denn durch den herbeigesehnten Zusammenbruch „des Systems“ lässt sich der langersehnte „Rassenkrieg“ beginnen, an dessen Ende die „weiße Rasse“ triumphieren  soll. Auch auf 4Chan oder 8kun sorgte die Pandemie für viel Begeisterung, weshalb der Virus hier oftmals als „Corona Chan“ glorifiziert wird, verbildlicht durch eine sexualisierte Darstellung eines chinesischen Mädchens mit Fledermausflügeln.

Die rechten Anhänger*innen der Theo­rie des Akzelerationismus, der Idee einer aktiven Beschleunigung des vermeindlich immanenten Systemkollapses, haben es sich zu Aufgabe gemacht, diesen Zusammenbruch nicht nur zu nutzen, sondern ihn auch aktiv herbeizuführen. In der Beschreibung eines neofaschistischen Telegramkanals hieß es beispielsweise: „Accerlate and never ever relax until we have eradicated the Jew influence, then we will have won”. Es wird deutlich, dass diese Gruppen einen gezielten Zusammenbruch staatlicher Strukturen und des globalen „jüdischen“ Kapitalismus durch das Virus erreichen wollen. Dazu implizieren sie, das Virus gezielt gegen das „jüdische System“ und die Strafverfolgungsstrukturen einzusetzen: „If you have the bug, give a hug, spread the flu to every jew“.

Aus dem neofaschistischen Umgang mit dem Virus lässt sich der Wunsch erkennen, das „Schwache“ und „Andere“ sterben zu lassen, da – so die Annahme – die „weiße Rasse“ durch ihre imaginierte Stärke überleben werde und sich so „befreien“ könne. Obwohl die „Identitären“ und Rechten betonen, sich als „Schutzwall“ Europas oder ihres jeweiligen „Volkes“ zu sehen, soll nur der „starke und schützenswerte“ Teil gerettet werden. Im neurechten Sezession Verlag erscheinen im Kontext der Pandemie reihenweise Artikel, die dazu aufrufen, man müsse „den Tod annehmen“. Weiter wird dort über die Gesellschaft sinniert, die ihre „Unverträglichkeiten und Allergien […] wie Persönlichkeitsmerkmale [herausstellte]“ und sich im Falle der USA in einer „ärztlich ausgelösten Drogenabhängigkeit“ befände. Hinter diesen Überlegungen verbirgt sich die These, der „Volkskörper“ sei krank und schwach. Sich nun hinter Masken zu verbergen und sich der „Hygiene-Diktatur“ unterzuordnen, wäre schlicht feige und man solle den Tod als ständiges Risiko akzeptieren und „heldenhaft“ begrüßen. Hier spiegelt sich das Verlangen nach dem Dasein als Märtyrer und Helden der „Neuen Rechten“, wie dies sich ebenfalls im Spartaner-Kult und der Todessehnsucht der „Identitären Bewegung“ zeigt. Es wird der Wunsch nach einer Durchseuchung der Gesellschaft deutlich, der Tod von weiten Teilen dieser wird entweder als ein notwendiges Übel dargestellt oder er erscheint sogar wünschenswert.

Von Esoterik zur Eugenik

Dieser Gedankenkorpus bleibt jedoch nicht auf die radikale Rechte beschränkt: „Wir retten in Deutschland möglicherweise Menschen, die in einem halben Jahr sowieso tot wären“ stellt etwa der (noch) grüne Bürgermeister Tübingens, Boris Palmer in einem Interview im Sat1-Frühstückfernsehen spontan in den Raum. Die damit implizierte Aufforderung: lasst die „Schwachen“ sterben, damit die „Starken“ so leben können, wie sie es wollen. Palmer ist mit solchen Forderungen nicht allein. Am häufigsten hört man solche sozialdarwinistischen Argumentationsmuster – außerhalb der radikalen Rechten – im Kontext der esoterischen „Widerstands“-Bewegung gegen die Covid-19-Schutzmaßnahmen. Hier findet sich ebenfalls eine Idealisierung der Natur, die einhergeht mit einer Abwertung „schwachen“ Lebens. Beispielsweise propagierte Joseph Wilhelm, Gründer und Geschäftsführer der bio-­Lebensmittelkonzerne „Zwergenwiese“ und „Rapunzel Naturkost“, in seinen sogenannten „Wochenbotschaften“ seine Ablehnung gegen die staatlichen Schutzmaßnahmen und seine Sympathie für die Demonstrationen. Viren, so Wilhelm sind ein „[…] Teil des biologischen Lebens und leisten ihren Beitrag zur Weiterentwicklung desselbigen“. Weiter ergänzt er, der Virus sei eine Chance, da wir uns „[…] freiwillig und in harmonischer Bequemlichkeit […] diese Gelegenheit niemals verschaffen [würden], es muss und kann nur so geschehen, wie es gerade geschieht.“ Eine Annahme, die anschlussfähig an eugenische und sozialdarwinistische Überlegungen ist. Schlussendlich impliziert er die „natürliche Auslese“ schwacher Elemente als Beitrag zur „Weiterentwicklung“ der Gesellschaft.

Die in Deutschland stark vertretende esoterische Bewegung ist ein Verbindungsglied zwischen globalem radikalem Ökofaschismus und gesamtgesellschaftlicher Meinungsbildung. Diese Verbindungen werden deutlich, wenn das Spektrum der Teilnehmenden an den sogenannten „Hygienedemonstration“ betrachtet wird. Der Ruf nach Herdenimmunität mit Verweis auf den schwedischen Umgang mit der Pandemie, zeigt das bereitwillige Inkaufnehmen hoher Todes­zahlen als Effekt einer „natürlichen Selektion“. Das vermeintlich „Schwache“ ist demnach nicht schützenswert. Zwar sind diese Überlegungen nicht mehrheitlich in der Gesellschaft anerkannt, im Kontext der gezielten rechten Taktik der Verschiebung kultureller Hegemonien ist es dennoch notwendig, die diskursiven Synergien zwischen der radikalen Rechten und punktuellem „Einfall“ in mehrheitsgesellschaftliche Debatten zu betrachten. Die esoterischen und antiaufklärerischen Strukturen, die hinter den „Hygienedemonstration“ stehen, sind dabei schon lange einer der Anknüpfungspunkte für neurechte Ideen.