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»NS-Verherrlichung stoppen!«

Ein Beitrag der »Kampagne NS-Verherrlichung stoppen!«
Einleitung

Erneut ruft die »Kampagne NS-Verherrlichung stoppen!« zur Teilnahme am »Antifascist Action Day« gegen den jährlichen Neonaziaufmarsch zum Todestag von Rudolf Heß am 19. August 2006 im bayerischen Wunsiedel auf. Obwohl im letzten Jahr der Neonaziaufmarsch auch nach einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts verboten blieb, beteiligten sich allein 2.000 AntifaschistInnen an der Demonstration und der Kundgebung der Kampagne, einige hundert Einwohner der Region beteiligten sich darüber hinaus an den Aktivitäten des Bündnisses »Wunsiedel bleibt bunt statt braun«.

Der Erfolg der Kampagne läßt sich nicht nur daran messen, dass es erstmals seit dem Relaunch der Heß-Märsche unter der Anmeldung durch den Neonazianwalt Jürgen Rieger im Jahr 2001 gelungen ist, eine erhebliche Anzahl von AntifaschistInnen im ganzen Bundesgebiet zu mobilisieren. Vielmehr ist es gelungen, die Auseinandersetzung um die Verherrlichung des Nationalsozialismus sowohl durch die Neonazis aber auch im Rahmen geschichtsklitternder Verbrämung der Deutschen zu den eigentlichen Opfern des 2. Weltkrieges zu einem bundesweiten Thema zu machen. Über 80 Veranstaltungen wurden im Rahmen der letzjährigen Mobilisierung bundesweit durchgeführt. Der Kampagne ist es damit gelungen, über die bloße Verhinderungsmobilisierung vieler antifaschistischer Aktionen hinauszugehen und politisch zu agieren.

Vor diesem Hintergrund hat die Kampagne nunmehr beschlossen, trotz des im letzten Jahr erfolgten Verbotes der Neonazi-Demonstration die eigene Mobilisierung mit voller Kraft voranzutreiben.

Der Rudolf-Heß-Gedenkmarsch war für die deutsche und internationale Neonaziszene seit fast zwanzig Jahren einer der wichtigsten, jährlichen Termine. Kein anderer Marsch war gleichermaßen in der Lage, die sonst oft so zersplitterte NS-Szene zu vereinen und Menschen zusammenzubringen, die außer ihrem Glauben an den Nationalsozialismus nichts verbindet. Aus diesem Grunde war es auch der Heß-Marsch, zu dem zuletzt 2004 fast 5.000 Neonazis aus ganz Europa zusammenkamen und damit einen der für die Szene so seltenen Kristallisationspunkte entstehen ließ.

Das Verbot im Jahr 2005 erfolgte auf der Basis der zum 8. Mai 2005 veränderten Strafbarkeit der Volksverhetzung. Das Bundesverfassungsgericht wies einen Eilantrag des Anmelders Rieger mit der Begründung zurück, im Eilverfahren könne die Verfassungsgemässheit der neuen Regelung nicht ausreichend geprüft werden. Rieger müsse das Hauptsacheverfahren betreiben. Im Übrigen habe er den Marsch für viele Jahre im Voraus angemeldet, ein einmaliges Verbot könne daher seine Rechte nicht über das vertretbare Maß hinaus einschränken. Eine solche Begründung wird sich nicht über mehrere Jahre halten lassen. Zum Einen hat Rieger inzwischen Klage gegen die Entscheidung des Landkreises erhoben. Dies ist zwar erst Anfang dieses Jahres geschehen, die Zeitverzögerung hat jedoch der Kreis zu vertreten, weil er sich viel Zeit mit dem Erlaß des Widerspruchbescheides gelassen hat.

Die Klage liegt jedoch bisher immer noch beim zuständigen Verwaltungsgericht. Juristische Anstrengungen, die Angelegenheit irgendwie direkt vor das Verfassungsgericht zu bekommen hat Rieger nicht unternommen. Auch das Verwaltungsgericht hat von der Möglichkeit, die Angelegenheit wegen einem Grundrechtsbezug direkt ans Verfassungsgericht abzugeben, keinen Gebrauch gemacht. Die weiteren Verzögerungen durch die Dauer des gerichtlichen Verfahrens, das vom Verwaltungsgericht gegebenenfalls zum Oberverwaltungsgericht gehen muß bis es zum Verfassungsgericht gelangt, hat Rieger nicht zu vertreten. Die Verfassungsgemäßheit der veränderten Vorschrift der Volksverhetzung ist unter Juristen umstritten. Problematisch ist vor allem, dass mit der »Verherrlichung des Nationalsozialismus« nunmehr eine Meinungsäußerung unter Strafe gestellt wird, und zur Einschränkung des Versammlungsrechts führt.

Es ist daher keineswegs ausgeschlossen, dass das Verfassungsgericht in diesem Jahr in einem neuen Eilverfahren die Demonstration wiederum zulässt. Die internationale Neonaziszene geht ebenfalls davon aus, dass eine realistische Chance besteht, den Gedenkmarsch in diesem Jahr wieder durchzuführen. Auf der offiziellen Web-Site des selbsternannten »Wunsiedel-Komitees« sind seit April ein Aufruf für den 19. August 2006, und eine rechtliche Bewertung der Situation veröffentlicht.

Darin wird ausgeführt: »Ob es also überhaupt noch mal einen Heß-Gedenkmarsch geben wird, hängt damit einzig und alleine vom Ausgang des Verfahrens vor dem Bundesverfassungsgericht ab. Ob diese Entscheidung noch rechtzeitig vor dem 19. August 2006 fallen wird, kann derzeit nicht eingeschätzt werden. (...) Unsere Bitte an alle Aktivisten/-gruppen: Haltet Euch den 19. August 2006 unbedingt vorsorglich frei!«

Der Aufruf macht deutlich, wie bewußt den Verantwortlichen ist, dass eine endgültige Entscheidung über die Zukunft der Heß-Märsche bevorsteht. Sie mobilisieren »im Stillen«. Weil der Heß-Marsch jedoch seit vielen Jahren zu einem festen Großereignis innerhalb der Szene geworden ist, muss davon ausgegangen werden, dass diese in der Lage ist, innerhalb kürzester Zeit eine große Anzahl von Teilnehmern zu mobilisieren. Die antifaschistische Gegenmobilisierung der »Kampagne NS-Verherrlichung stoppen!« hat in den letzten beiden Jahren erheblich dazu beigetragen, den politischen Druck gegen den Heß-Gedenkmarsch zu steigern und gezeigt, dass eine erfolgreiche Mobilisierung nach Wunsiedel möglich ist. Die Anwesenheit tausender von AntifaschistInnen erschwert die Durchführung des Heß-Marsches in doppelter Weise. Zum einen führt sie der (Welt-) Öffentlichkeit vor Augen, dass in Deutschland nach wie vor tausende bekennender Neonationalsozialisten aktiv und keineswegs so ausgegrenzt sind, dass sie keine Spielräume haben. Zum anderen führt der antifaschistische Widerstand zu logistischen Problemen – es ist einfach kein Platz für fast zehntausend Personen in der »traumhaften Kleinstadt im Fichtelgebirge«. Die Gerichte werden sich dieser besonderen Problematik nicht entziehen können.

Die Kampagne mobilisiert daher, wie gehabt, für den 19. August 2006 nach Wunsiedel. Wie im vergangenen Jahr wurde für den Juni zu einem bundesweiten, offenen Treffen eingeladen. Bereits jetzt sind daher lokale und überregionale Gruppen aufgefordert, sich Gedanken zu machen, wie sie sich in diesem Jahr in die Kampagne einbringen können. Sollte das Verfassungsgericht dieses Jahr die Neonazis marschieren lassen, kann nur eine optimal vorbereitete antifaschistische Demonstration und Kundgebung den notwendigen Druck aufbauen, damit der Tag ein Desaster für die Neonazis wird. Die inhaltliche Vorbereitung muss daher besonders ausgeweitet werden, damit möglichst vielen AntifaschistInnen klar ist, worum es an diesem Tag wirklich geht. Die Vorbereitung der Anfahrt sowie die Durchführung des »Antifascist Action Day« müssen ebenfalls die Fehler der Vergangenheit beherzigen. Diese gesamte Vorbereitung wird die Kampagne alleine nicht leisten können. Die Verantwortung für die endgültige und dauerhafte Verhinderung des Heß-Gedenkmarsches liegt damit bei den antifaschistischen Gruppen im gesamten Bundesgebiet. Die Chancen stehen insgesamt besser als jemals zuvor.

Darüber hinaus hat die Kampagne ihr inhaltliches Betätigungsfeld erweitert. Neben dem Heß-Marsch wird sie sich inhaltlich mit dem Neonaziaufmarsch in Dresden zum Jahrestag der Bombardierung der Stadt durch die Alliierten, mit dem Pfingsttreffen der Gebirgsjäger in Mittenwald sowie mit dem Aufmarsch in Halbe zum Volkstrauertag beschäftigen. All dies sind Orte und Anlässe, bei denen ein Opfermythos zelebriert wird, der die Deutschen als die eigentlichen Opfer des Krieges darstellt, Tote gegeneinander aufrechnet und die Verbrechen des Nationalsozialismus relativiert. Die inhaltlichen Verbindungen zwischen diesen Ereignissen sollen aufgezeigt werden. Neben den inhaltlichen Parallelen, ist es die Gemeinsamkeit des Großereignisses, durch die eine neonazistische Erlebniswelt mit einer besonderen Anziehungskraft geschaffen werden soll. Die antifaschistische Bewegung hat die aktuelle Chance, eines der wichtigsten Ereignisse dieser Erlebniswelt endgültig zu verhindern – nutzen wir sie!                       

Ein Beitrag der »Kampagne NS-Verherrlichung stoppen!«
www.ns-verherrlichungstoppen.tk