Skip to main content

„Death in Custody“: Staatlicher Rassismus tötet

Kampagne "Death in Custody" (Gastbeitrag)
Einleitung

Berlin, 29. September 2016: Polizisten erschießen Hussam Fadl von hinten.
Fulda, 13. April 2018: Polizeibeamte erschießen Matiullah J.
Kleve, 17. September 2018: Amad Ahmad stirbt durch einen Zellenbrand in der örtlichen JVA.
Schweinfurt, 26. Februar 2019: Rooble Warsame kommt unter bislang ungeklärten Umständen in einer Polizeizelle ums Leben.
Erfurt, 20. Juli 2019: Ein algerischer Mann, dessen Name nicht bekannt ist, stirbt im Krankenhaus, nachdem die Bundespolizei ihn über Nacht in Gewahrsam genommen hatte.
Stade, 17. August 2019: Polizeibeamte erschießen Aman A.

Foto: Christian Ditsch

Regelmäßig sterben Menschen in Gewahrsam oder durch Polizeischüsse. Offizielle Statistiken werden dazu nicht veröffentlicht. Eine genaue Durchsicht der Fälle legt aber nahe, dass Menschen of Color in besonder Weise dem Risiko ausgesetzt sind, in staatlicher „Obhut“ ihr Leben zu verlieren oder durch die Polizei getötet zu werden.

Nur wenige Fälle werden einer breiteren Öffentlichkeit bekannt. Denn sich in einer Gewahrsamssituation zu befinden, bedeutet, in eine totale und schutzlose Abhängigkeit von Polizei, Wachdiensten, Ärzt*innen, Justiz- oder anderem Personal zu geraten. Was in Gewahrsam passiert, geschieht unter Ausschluss der Öffentlichkeit und entzieht sich äußerer Kontrolle. Das hat zur Folge, dass bei Todesfällen Polizei und Wachpersonal auch entscheiden können, was über den Vorfall berichtet wird. Meist sprechen sie schnell von Suizid oder Notwehr. Damit werden die Polizist*innen oder Wachdienste entlastet und dem*der Getöteten die Verantwortung für seinen*ihren Tod zugeschrieben.

Einer der bekannteren Todesfälle in Gewahrsam der letzten Jahre ist der von Amad Ahmad. Der Geflüchtete aus Syrien wurde am 6. Juli 2018 aufgrund einer Verwechslung in der JVA Kleve in Nordrhein-Westfalen inhaftiert. Unter höchst fragwürdigen Umständen blieb er in Haft, bis am 17. September 2018 in seiner Zelle ein Feuer ausbrach. Zwei Wochen später erlag Amad Ahmad im Krankenhaus seinen Verletzungen. „Suizid“, hieß es in den Akten. Jegliche Ermittlungen wurden im November 2019 eingestellt. Amad Ahmad wurde nur 26 Jahre alt. In Haft kam Amad Ahmad aufgrund der Ähnlichkeit seines Namens mit dem Aliasnamen eines Mannes, der wegen eines Diebstahls gesucht wurde. Neben dem ähnlichen Namen hatten die beiden Männer nichts gemeinsam. Weder Alter noch Herkunft noch Aussehen stimmten überein. Amad Ahmad bekam keine Möglichkeit, dieses Missverständnis aufzuklären. Nach seinem Tod stellte die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen ein, ohne die Todesumstände hinreichend aufzuklären oder die Ermittlungen gegen die Polizeibeamt*innen zu Ende zu führen, die für Amad Ahmad unrechtmäßige Inhaftierung verantwortlich waren.

Als Amad Ahmad in Folge eines Feuers in seiner Zelle starb, fühlten sich viele an den Tod von Oury Jalloh erinnert. Der Asylsuchende aus Sierra Leone verbrannte am 7. Januar 2005 im Alter von 36 Jahren in einer Dessauer Polizeizelle. Bis heute behaupten die Behörden, Oury Jalloh habe selbst die feuerfeste Matratze angezündet, auf der er – an Händen und Füßen gefesselt – lag. Im Unterschied zu Amad Ahmad gab es in diesem Fall zwar jahrelange Verfahren und 2012 auch eine Verurteilung zu einer Geldstrafe wegen fahrlässiger Tötung. Wegen eines vorsätzlichen Tötungsdelikts wurde aber zu keinem Zeitpunkt ernsthaft ermittelt, obwohl diverse unabhängige Gutachten zeigen, dass Oury Jalloh sich nicht selbst getötet haben kann.

Die Fälle Amad Ahmad und Oury Jalloh zeigen stellvertretend für viele andere, dass es kaum möglich ist, Todesfälle in Folge von staatlichem Rassismus aufzuklären. Auch bei öffentlichem Druck – wie bei Oury Jalloh – setzen die Behörden alles daran, Versäumnisse und Verbrechen von Bediensteten des Staates zu vertuschen und Ermittlungen zu verschleppen, bis ihre Einstellung kaum mehr mediales Interesse erzeugt. Die offizielle Begründung für den Todesfall lautet dann meist „Suizid“ bei Haftsituationen und „Notwehr“ bei offensichtlich aktiven Einwirkungen durch Polizei oder Wachdienste (z.B. bei Erschießungen). Wer die offizielle Deutung in Frage stellt, muss mit Repressionen rechnen – so werden Mitglieder der Initiative in Gedenken an Oury Jalloh seit Jahren mit Strafverfahren überzogen, eingeschüchtert und kriminalisiert.

Rassismus ist ein systemimmanentes Problem in Polizei und Justiz. Todesfälle machen dies besonders plastisch, aber rassistische Staatsgewalt beginnt nicht erst dort. Sie reicht von ständigen rassistischen Kontrollen und Durchsuchungen an öffentlichen Orten über körperliche Angriffe und Misshandlungen bis hin zur Tötung. Alle diese Taten werden so gut wie nie aufgeklärt, da Polizist*innen sich gegenseitig decken und keine ernsthaften Ermittlungen durch Kolleg*innen fürchten müssen. Stattdessen kommt es in aller Regel zu einer Kriminalisierung der Opfer rassistischer Polizeigewalt. Diese werden in Polizeimeldungen als „gefährliche Kriminelle“ dargestellt, gegen die man sich verteidigen müsse. Die bürgerlichen Medien übernehmen solche Darstellungen der Polizei meist ungeprüft, was zu einer weiteren Verbreitung und Verfestigung rassistischer Bilder in der Gesellschaft beiträgt.

Um diese Täter-Opfer-Umkehr nicht hinzunehmen und Druck auf die Behörden auszuüben, gründen sich immer wieder lokale Initiativen aus Angehörigen und Freund*innen der Opfer tödlicher Polizeigewalt. Sie fordern eine lückenlose Aufklärung der Todesumstände und protestieren gegen die Vertuschung und systematische Straflosigkeit bei Verbrechen des Staates. Gruppen wie „Remember Yaya Jabbi“ oder „Brechmittelfolter-Bremen“ in Gedenken an Laye Condé setzen sich dafür ein, dass Todesfälle nicht in Vergessenheit geraten und mangelhafte Aufklärung sichtbar wird.

Eine Initiative, die nun schon seit 14 Jahren mit viel Kraft, Ausdauer und Hartnäckigkeit aktiv ist, ist die „Initiative in Gedenken an Oury Jalloh“. U.a. organisiert sie jährlich Demos am Todestag von Oury Jalloh und gründete 2018 eine unabhängige internationale Untersuchungskommission. Wer Aufklärung will, muss sich selbst darum kümmern. Außerdem vernetzt sie sich international mit Initiativen von Angehörigen und Freund*innen von der Polizei getöteter Menschen, um Erfahrungen zu teilen und gemeinsame Strategien im Kampf um Aufklärung zu entwickeln.

Mit einem ähnlichen Ziel startete in Berlin im Herbst 2019 die antirassistische Kampagne „Death in Custody“. Sie setzt sich dafür ein, dass People of Color, die in Gewahrsam sterben, nicht kriminalisiert und ihre Geschichten nicht vergessen werden. In Zusammenarbeit mit Angehörigen und Freund*innen möchte sie die Geschichten der Verstorbenen aus ihrer Perspektive (neu) erzählen und damit der Version der Polizei eine andere Darstellung entgegensetzen.

Auch „Death in Custody“ plant, die vielen Einzelinitiativen stärker miteinander zu vernetzen. Zusätzlich sollen für andere Gruppen, die nicht explizit zu Todesfällen arbeiten, in ihrer Arbeit aber damit konfrontiert sein könnten (z.B. Gruppen, die zu Polizeigewalt, Knast oder Repression arbeiten) eine Austauschmöglichkeit geschaffen werden, damit bei künftigen Todesfällen schneller und effektiver gehandelt werden kann. Hierfür sind ein weiteres Vernetzungstreffen und eine bundesweite Demo in Berlin am Wochenende des internationalen Tags gegen Polizeigewalt (14. bis 15. März 2020) geplant.

Zur Zeit ist es schwierig bis unmöglich, an verlässliche Informationen über Todesfälle in staatlicher „Obhut“ zu kommen. Die einzige Möglichkeit stellt die Auswertung von Zeitungsmeldungen dar. Diese sind allerdings nur sporadisch zu finden und geben in der Regel unkritisch die Sichtweise der jeweiligen Polizeibehörde wieder. Deshalb hat sich die Kampagne auch vorgenommen, eigene Recherchen zu Todesfällen in Gewahrsam zu betreiben und Informationen darüber zu veröffentlichen, um sichtbar zu machen, wie häufig und kontinuierlich bei Polizeieinsätzen, in Gefängnissen und Polizeigewahrsam gestorben wird – und wie tödlich staatlicher Rassismus ist.