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Karrieren der Gewalt

Mallmann, Klaus Michael / Paul, Gerhard (hg.)

Über Jahrzehnte befasste sich die Geschichtswissenschaft in erster Linie mit der Funktionsstruktur des NS-Regimes. Über die detaillierte Deskription der NS-Bürokratie gerieten die Täter als handelnde Akteure aus dem Blick. Seit einem knappen Jahrzehnt nun stehen sie im Fokus des Forschungsinteresses. Gefragt wird nach den generationsprägenden, politischen und biographischen Sozialisationsvoraussetzungen verschiedener Akteure im Räderwerk der Shoah. Der vorliegende Band versammelt vierundzwanzig Kurzportraits von NS-Tätern.

In der historisch interessierten Öffentlichkeit stand Ulrich Herberts 1996 erschienene Studie über Werner Best für einen Paradigmenwechsel vom funktionalistischen zum mikrohistorischen/biographischen Blick auf die Täter. Es folgte Michal Wildts monumentale Studie über das Führungskorps des Reichssicherheitshauptamtes als dem Führungs- und Planungsstab des Holocausts. Gemein ist der neueren Täterforschung das Interesse, »die Täter [nicht] kurzschlüssig als verlängerten Arm ihrer Vorgesetzten, sondern als eigenständige Akteure [...] zu deuten.«1

Daher stehen im Mittelpunkt der Porträts von NS-Tätern nicht prominente NS-Führungsfiguren, sondern so unterschiedliche Akteure wie Oskar Dirlewanger oder Erich Ehrlinger. Der erstgenannte zeichnete als Führer der berüchtigten »Division Dirlewanger« für die »unorthodoxen« Methoden der Partisanenbekämpfung verantwortlich, deren entgrenzte Gewalt gegenüber der Zivilbevölkerung und militärische Rücksichtslosigkeit ihn auch in Konflikt mit der Wehrmacht brachte, die sich zugleich seiner Einheit bediente, um besonders verlustreiche militärische Operationen zu realisieren. Ehrlinger hingegen agierte als Jurist in den Amtsstuben des RSHA. Er stieg vom Leiter einer regionalen SA-Schule zum Kommandeur der Sicherheitspolizei und des SD im besetzten Warschau auf. Zuvor hatte er ab 1938 den Aufbau des SD in Wien koordiniert. Die Effektivität der NS-Vernichtungspolitik hing entscheidend von der Motivation und Eigeninitiative dieser Männer ab, die als »kleine Schwungräder des Genozids«2 an deren Umsetzung mitwirkten.

Der Band gibt einen hervorragenden Einblick in die Ergebnisse der Täterforschung der vergangenen Jahre. Die vierundzwanzig Porträts umfassen jeweils knapp zehn Seiten und verknüpfen gekonnt biographische und politische Aspekte der porträtierten Person. So entsteht ein Bild von der Heterogenität der Herkunft und Motivlage der Täter, die jedoch das Ziel der nationalsozialististischen Vernichtungspolitik einte. Nur eine Minderheit der porträtierten Täter musste sich nach dem Krieg juristisch für ihr Handeln verantworten. Ehrlinger wurde zwar wegen Beihilfe zum Mord in mehr als zehntausend Fällen verurteilt, das Urteil wurde jedoch nie rechtskräftig, da das Revisionsverfahren der Staatsanwaltschaft in eine Erkrankung Ehrlingers fiel. Er starb unbehelligt Anfang der neunziger Jahre in Karlsruhe.

Der Band kann als Einführung in den Themenkomplex Täterforschung mit Gewinn gelesen werden. Er ist Anregung, sich nicht nur mit der NS-Ideologie, sondern auch mit ihren Akteuren zu befassen.


Mallmann, Klaus Michael / Paul, Gerhard (hg.)
Karrieren der Gewalt: Nationalsozialistische Täterbiographien
Wissenschaftliche Buchgesellschaft (Darmstadt) 2004
282 S.

  • 1Mallmann/Paul a.a.O. S. 4
  • 2ebd. S. 4 ff