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Der alte Neonazi und das »dringende Bundesinteresse«

Einleitung

Während Verteidigungsminister Volker Rühe über außenpolitische Verantwortung doziert und die Truppe im internationalen Auftrag schon morgen in der ganzen Welt marschieren lassen will, sind nicht wenige »unserer Jungs« damit beschäftigt, immer neue Folgen aus der Reihe »Vorsicht Kamera!« zu drehen, Nazi-Parolen grölend durch die Gegend zu ziehen oder auch mal, wie im August 1997 in Dresden, eine Unterkunft ausländischer Bauarbeiter anzustecken. Derweilen blüht in den Kasernen der Handel mit NS-Devotionalien und Neonazi-Propaganda. Für den Verteidigungsminister kein Anlaß zu außergewöhnlicher Besorgnis, als Konsequenz sollen nun die Führungsoffiziere stärker in die Pflicht genommen werden. Dumm nur, wenn sich ausgerechnet die von einem Neonazi-Terroristen »weiterbilden« lassen. So geschehen am 24. Januar 1995 in der Führungsakademie der Bundeswehr in Hamburg, der höchsten Ausbildungseinrichtung der Bundeswehr, wo Manred Roeder über die "Regermanisierung" in Kaliningradskaja Oblast, dem früheren Nordostpreußen, referierte. Ein weiteres Kapitel in der Rühe'schen Einzelfall-Enzyklopädie.

Manfred Roeder NPD

Der Neonazi-Terrorist Manfred Roeder hält Vorträge von Bundeswehr bis NPD.

Nach den bisher bekannten Fakten, die vom Bundesministerium der Verteidigung offengelegt bzw. eingeräumt werden mußten, nahm die Liaison zwischen Manfred Roeder, seinem »Deutsch-Russischen Gemeinschaftswerk« und der "Führungsakademie der Bundeswehr" (FüAkBw) ihren Anfang auf der Veranstaltung »Humanitäre Hilfe für Parfino« am 5. März 1994 in der FüAkBw, bei der es um die »Pflege von Kriegsgräbern russischer und deutscher Soldaten im Raum Parfino« gegangen sein soll. Da diese »private Informationsveranstaltung« ausdrücklich für Angehörige von »Traditionsvereinigungen« gedacht war1 , wurde dem Veranstalter, einem Personenkreis um die Hamburger Familie Kölln (u.a. Harmen Kölln)2 , die Auflage gemacht, keine SS- oder Waffen-SS-Verbände als Teilnehmer zuzulassen. Herr Kölln sei im "Verein zur Erhaltung des 76er-Denkmals e.V." Mitglied und entsprechend vernetzt. Jedoch mußte Rühe am 10. Dezember eingestehen, daß »erhebliche Zweifel« bestünden, daß diese Auflage eingehalten wurde. So soll eine "Truppenkameradschaft 3. SS-Panzer-Division ,Totenkopf' e. V." ganz unkompliziert zwei Teilnehmer für die Veranstaltung offiziell angemeldet haben.2 Kommandeur und quasi Veranstalter der "Führungsakademie der Bundeswehr" war zu dieser Zeit Generalmajor Dr. Hartmut Olboeter. Bedenken aus dem Kreis der Bundeswehr gegen eine solche Art Veranstaltung seien wohl u.a. vom damaligen Chef des Akademiestabs Hartmut Klasing "vom Tisch gewischt" worden.3 Der von der FüAkBw zur Teilnahme abkommandierte Oberstleutnant Borwin Pahl soll dort den Hamburger Rolf Vissing kennengelernt haben, »der ihm später Manfred Roeder für den Vortrag empfahl«.1 Nach einem Vorgespräch, bei dem Roeder dem Leiter des Akademiestabes, Oberst Norbert Schwarzer, sein Vortragskonzept zum Thema "Die Übersiedlung von Rußlanddeutschen in den Raum Königsberg" vorstellte, erging am 16. Januar der von Schwarzer unterzeichnete »Befehl für die Offiziersweiterbildung« zur Teilnahme an der Veranstaltung am 24. Januar 1995. Zielgruppe waren Angehörigen des "Akademiestabes der Führungsakademie der Bundeswehr". Als Vortragender war „Herr Roeder, Deutsch-Russisches Gemeinschaftswerk" angegeben. Chef des Akademiestabes war zu der Zeit Oberst i.G. Schwarzer geworden und Kommandeur der Führungsakademie der Bundeswehr war immer noch Generalmajor Dr. Olboeter.

Der »alte Kamerad« Roeder, der sich rühmt, als 16-jähriger an den Endkämpfen um Berlin teilgenommen zu haben, schwärmt noch heute von der »zwanglosen Atmosphäre« im Kreise »von alten und neuen Kameraden«, von einer interessierten Zuhörerschaft und von der Übernachtung in der Akademie inklusive Frühstücksplausch mit lettischen und ukrainischen Offizieren. Aus Kreisen der Bundeswehr verlautete im Zuge der Aufarbeitung des Votrages, das Roeder nach dem Frühstück sogar noch mit einem Bundeswehrfahrzeug zum Haus des Herrn Vissing nach Hamburg-Blankenese in der Nachbarschaft der Führungsakademie gefahren worden sei.

Ausrüstung für die Ostlandritter

Doch dies war weder der erste noch der letzte Berührungspunkt zwischen der Roeder-Truppe und den Militärs. Bereits im Dezember 1993 hatte Roeder unter Berufung auf eine »Rücksprache mit Oberstltn. Eichhorn und Hptm. Waschkow in Hamburg«4 im Namen seines Vereines beim Materialamt des Heeres um kostenlose Überlassung von »ausgemusterten Heeresgut« für angeblich humanitäre Projekte in Kaliningradskaja Oblast gebeten. Zuvor hatte im März 1994 Rolf Vissing aus Hamburg bei Herrn Kölln Erkundigungen über die Möglichkeit eingeholt, alte Bundeswehr-Fahrzeuge von dort zu erhalten. Vom Materialamt, vertreten durch Oberstabsfeldwebel Herbert Schnitzler, wurde Roeder mit einigen Empfehlungen an das "Bundesministerium der Verteidigung", vertreten durch Oberstleutnant i.G. Christian Peter Carl Prinz zu Waldeck und Pyrmont2 , verwiesen, wo bis Ende Mai 1994 mindestens drei weitere Anträge eingingen, in denen der Vereinsvorsitzende Konrad Schneider auflistete, was als »Sofortmaßnahme« für die »Bevölkerung in Nord-Ostpreußen« gebraucht würde: Zwei Fahrzeuge, ein LKW sowie allerlei Maschinen und Werkzeuge. Schneider verwies hierbei auf die angebliche Gemeinnützigkeit des Vereines, die zu diesem Zeitpunkt längst schon widerrufen worden war. Als Empfänger der »Hilfsgüter« nannte er vier Familien in Kaliningradskaja Oblast, die auf freiem Feld hausen würden und die Fahrzeuge u.a. für Krankentransporte benötigten.5 Als Gewährsperson wurde von Schneider in dem Begründungs-Schreiben der zuständige Pfarrer aus Gumbinnen genannt. Das Schreiben endete mit einem Hinweis des Herrn Schneider auf seine zwei Söhne, die in der Bundeswehr Dienst leisteten. Das schien offenbar seriös genug zu sein. Über Frau Helga Kirmes, Referentin im Führungszentrum der Bundeswehr2 , ging der Antrag an das "Auswärtige Amt". Nachdem das Auswärtige Amt in Bonn dem Anliegen ein »dringendes Bundesinteresse« bescheinigt hatte, wurden die Anträge ohne weitere Prüfung genehmigt. Ein paar "Werkzeugsätze" gab es noch gratis dazu. Oberstleutnant i.G. Prinz zu Waldeck habe auch den Hinweis gegeben, daß bei Überschreiten einer Wertgrenze von 20.000 DM das Genehmigungsverfahren wesentlich länger dauere. Er habe bei seinen Vorschlägen extra diese Grenze zugunsten der Antragsteller bewußt ausgeschöpft.2 Für Roeder selbst kam dies »ganz unerwartet« und eröffnete ihm die Möglichkeit, »nunmehr ein Großprojekt in Angriff zu nehmen«. Nach den Unterlagen des Materialamtes wurden die Fahzeuge (PKW VW Kübel, PKW VW Iltis, LKW Daimler-Benz) am 20. Januar 1995 beim "Gerätehauptdepot" in Hesedorf (bei Rothenburg) abgeholt und - nachdem Roeder und sein Netzwerk die entsprechenden Kontakte geknüpft hatte - für mehrere Monate auf dem Gelände der FüAkBw in Hamburg zwischengelagert. Oberstleutnant i.G. PahI hatte in der ersten Jahreshälfte 1994 von Herrn Vissing eine entsprechende Bitte entgegengenommen und den damaligen Chef des Akademiestabes, Oberst i. G. Klasing, direkt um die nötige Genehmigung zum Unterstellen von Fahrzeugen gebeten. Dieser habe die Genehmigung sofort problemlos erteilt. Die Fahrzeuge seien in Hesedorf abgeholt und u.a. von Roeder und Vissing in der Führungsakademie deponiert worden. Ein am 27. März 1995 auf dem Gelände der Führungsakademie stattfindender Großer Zapfenstreich machte es zwischendurch allerdings nötig, die Fahrzeuge zu entfernen. Oberstleutnant i.G. Pahl, der auch mit der Ausrichtung des Großen Zapfenstreiches beauftragt worden war, rief daraufhin seinen Bekannten Herrn Vissing an und bat ihn, die Fahrzeuge doch bitte abzuholen. Am Ende wurden die Fahrzeuge von Herr Vissing sowie "zwei Bauern aus dem Hamburger Umland" abgeholt, die die Fahrzeuge einfach mal ohne amtliche Kennzeichen in die "Reichspräsident Ebert-Kaserne" (Logistikschule der Bundeswehr) fuhren. Dort hieß es später, Oberst i.G. Schwarzer sei es gewesen, der dort telefonisch einen Alternativ-Abstellplatz für Roeders Kameraden organisiert habe2 , obwohl dessen politische Gesinnung mittlerweile bekannt geworden war. Dort verblieben sie weitere sechs oder sieben Wochen bis zu ihrer endgültigen Abholung. Das genaue Datum der Abholung konnte im Nachhinein nicht mehr festgestellt werden. Einige Medien berichteten, im Juni 1995 seien sie an Roeder persönlich ausgehändigt worden, obwohl zu diesem Zeitpunkt die Chefetage der FüAkBw nach eigenem Bekunden genau wußte, mit wem sie es bei Roeder zu tun hatte.

Der weitere Verbleib der »Hilfsgüter« ist zum Teil ungeklärt. Zwei der Fahrzeuge wurden wohl 1996 und 1997 in Schönborn (bei Hamburg) zugelassen. In einem Fall auf eine "Privatperson" aus Hamburg. Der LKW wurde am 2. Oktober 1995 bei dem Landrat des Schwalm-Eder-Kreises/Homberg auf Manfred Roeder persönlich zugelassen. Der mit »2.500 kg humanitären Hilfsgütern« beladene LKW soll dann am 3. Oktober 1995 über die deutsch-polnische Grenze in Schwedt ausgeführt worden sein. Eine (angebliche) Empfangsbestätigung eines "Viktor V. Gnatschenko" (unterschrieben in „Bartenstein" am 4. Oktober 1995) ist der angebliche Ausfuhr-Beleg Roeders für die Behörden.2 Beim Zoll war dazu jedoch nur die Ausfuhr der Waren, nicht aber des LKW vermerkt gewesen. Seine Empfänger, die in »akuter Notlage« (Schneider) befindlichen Familien in Kaliningradskaja Oblast, erreichte der LKW nie. Im Juli 1996 verkaufte die Firma R. (Landmaschinen/Neukirchen/Hessen) den LKW für 6.500 DM an eine Gemeinde in Sachsen. Die Firma R. hatte im August 1993 einen Transport für das DRGW nach Rußland durchgeführt, konstatierten die Aufklärer der "Roeder-Affäre" dazu nur knapp. Die "Schwälmer Allgemeine" berichtete Ende August 1993 hingegen noch recht ausführlich darüber: Ein Sattelzug der Firma Roß-Landmaschinen aus Neukirchen sei gestartet, um einen Hilfstransport (Mähdrescher, Heuwender, Ackerpflug, Sämaschine) für Roeders Gemeinschaftswerk nach Ostpreußen zu bringen.6 Als (früherer) Eigentümer des Fahrezeuges war in den Papieren beim letzten Verkauf wohl noch immer der Namen von Manfred Roeder zu finden.

Regermanisierung als außenpolitische Maßnahme

Die »Übersiedlung der Rußland-Deutschen in den Raum Königsberg«, über die Roeder vor der FüAkBw referierte, bedeutet die Erschließung von Kaliningradskaja Oblast als Siedlungsgebiet für Deutsch-stämmige aus allen Teilen Rußlands, die unter dem Deckmantel humanitärer Hilfe (z.B. durch »gezielte Hilfe bei der Existenzgründung« mittels Landkauf) systematisch geworben und unterwandert werden. Diese Strategie zielt auf die Schaffung deutscher Volkstumsinseln als Grundsteine einer schrittweisen Herauslösung »Ostpreußens« aus dem russischen Staatsverbund. Bereits seit 1990 entwirft Roeder das Szenario der »Umwandlung Nord-Ostpreußens« in eine »russisch-balltische Republik«, woraus »mit Unterstützung deutschen Kapitals« eine »baltisch-russisch-deutsche Republik« werden solle.7 Der weitere Weg führe schließlich zum »Freistaat Preußen« unter einer (zeitlich befristeten) »gemeinsamen Verwaltung von Deutschen und Polen und Deutschen und Russen«.8 Doch Roeders Logik folgend sei »die Rückkehr der Gebiete nur eine Frage der Zeit«, »wenn Deutsche erst mal in einem Übergangsgebiet sitzen und das entscheidende Wort zu reden haben«.9 Theorie und Praxis des »ewigen Nazis aus dem Bilderbuch« (Frankfurter Rundschau) erweisen sich weitgehend kompatibel mit dem, was seit Jahren auf höchster politischer Ebene gefordert und umgesetzt wird.

So ist die Vision des »Freistaates Preußen« als eigenständige Republik dicht bei dem, was der CDU-Bundestagsabgeordnete Wilfried Böhm und der rechte Publizist Ansgar Graw 1993 als »verlockend« beschrieben. Könnte doch in einem »Königsberg als vierte baltische Republik« der »wirtschaftliche Aufbau des Gebietes dann ohne den verkrusteten Moskauer Apparat (...) in Angriff genommen werden.«10

In diese Richtung deuteten auch die Perspektiven des Dr. Wilhelm Christians von der "Deutschen Bank". Er plädierte für eine internationalisierte Sonderwirtschaftszone, die es im Oblast einzurichten gelte. Die "Financial Times" titelte am 25. Juli 1990: »Deutsche Bank steigt in die Schlacht um Königsberg ein«, um dann auszuführen: »Dr. Wilhelm Christians, Aufsichtsratsvorsitzender der Deutschen Bank, wurde in der ersten Schlacht verwundet: das war jener blutige Zusammenstoß, der den Vormarsch der Sowjettruppen nach Ostpreußen und den Anfang vom Ende des Dritten Reiches im Zweiten Weltkrieg markierte. Nun hat er sich entschieden, die überlegene Finanzkraft seines Instituts in einen neuen Kampf hineinzuwerfen - um das frühere Königsberg, von den neuen sowjetischen Herren in Kaliningrad umbenannt, in die erste echte internationale freie Wirtschaftszone der Sowjetunion umzuwandeln.«

Der politisch-wirtschaftliche Großangriff auf Kaliningradskaja Oblast scheint umso notwendiger, wollen doch Militärkreise schon eine »Begehrlichkeit der Polen und Litauer«10 auf das Gebiet ausgemacht haben. Als Beleg dafür wird der frühere SS-Oberjunker und rechte Autor Wolfgang Venohr zitiert, der davor warnt, »daß man In Warschau heute schon begehrlich nach Königsberg blickt und mit dem Gedanken spielt, sich das deutsche Nord-Ostpreußen (...) anzueignen«.10 Deshalb, so schreibt es Welt-Redakteur und Reserve-Oberstleutnant Clemens Range im Militärorgan "Europäische Sicherheit" (ES), das unter ständiger Mitarbeit der FüAkBw erstellt wird, sei Bonn »gut beraten«, »die Einflußmöglichkeiten« in Kaliningradskaja Oblast »so rasch wie möglich zu nutzen, um die weitere Entwicklung in, dieser Region mitgestalten zu können«.10 Und doch hätten die Offiziere der FüAkBw die ES, das wohl wichtigste Strategie- und Theorieorgan der Bundeswehr, aufmerksamer lesen sollen. Denn dort heißt es auch, »man solle die Empfindlichkeiten« der Russen »berücksichtigen«10 . Und genau dies scheint der eigentliche Fehler der FüAkBw-Offiziere gewesen zu sein.

Einen bekannten Nazi-Terroristen einzuladen, verstößt gegen den guten Stil und läßt jede Rücksichtnahme auf Animositäten der im Oblast Regierenden sträflich vermissen. Genauso dürfte die eigentliche Kritik der Bundesregierung an den Offizieren lauten, die aber so nicht der Öffentlichkeit verkauft werden kann: Schließlich handelt es sich bei der Regermanisierung des Kaliningradskaja Oblasts um Optionen der verdeckten deutschen Außenpolitik, die oftmals im Widerspruch zur offiziellen Außenpolitik der BRD stehen.

deutsch-völkische Pläne von rechts bis ganz rechts

Das Patentrezept für die »Einflußmöglichkeiten« scheint zu sein, mit dem Aufbau deutscher Enklaven und Volkstumsinseln in Kaliningradskaja Oblast Brückenköpfe für eine weitergehende Interventionspolitik zu installieren. Den Neonazis fällt dabei faktisch die Rolle der »nationalen Hilfstruppe« und der Vorhut zu.

Die wohl einflußreichsten völkisch geprägten Organisationen, die an der Umsetzung dieses Konzeptes wirken und dabei völkischen Interessen Tür und Tor öffnen, sind der »Verein für das Deutschtum im Ausland« (VDA) und die »Landsmannschaft Ostpreußen e. V.« (LO), bzw. deren Kulturorganisationen und Stiftungen. Die LO, die noch 1996 mit (offiziell) 410.000 DM aus Bundesmitteln unterstützt wurde, machte den Aufbau örtlicher Basisgruppen im ehemaligen Ostpreußen, sogenannte »Kreis- oder Stadtgemeinschaften«, als »wichtige Stützen für Deutschtum in der Heimat« zu einem Schwerpunkt ihrer Politik. Zur Koordination der Aktivitäten »aller in Nord-Ostpreußen Tätigen« lud sie am 8. Mai 1993 auch neonazistische Gruppen, so z.B. die lange Zeit mit Roeder liierte »Gemeinschaft Deutscher Osten« (GDO), in die Räume ihrer Bundesgeschäftsstelle. Die GDO mit Sitz in Hannover wird von Raimund Bachmann (Ostrau), Tino Renz (Finsterwalde) und Sylvia Bachmann (Ostrau) geleitet.

Der VDA, der gar mit der Schaffung einer deutschen Wolgarepublik liebäugelt, wurde Anfang der neunziger Jahre vom Innenministerium mit einer zweistelligen Millionensumme unterstützt. Die Gelder wurden, wie in einem schlechten Film, z.T. in Geldkoffern über die Ostgrenzen transportiert und verschwanden dort zuweilen spurlos. Exponenten der VDA sind auf vielfältige Weise mit rechten Netzwerken bis hin zum Rechtsaußenspektrum verbunden. Sie bilden u.a. eine Art Hintergrund-Lobby der 1996 gegründeten »Arbeitsgemeinschaft Nord-Ostpreußen« (AGNO)11 , die versucht, die Aktivitäten der verschiedenen Gruppen und Initiativen zu bündeln.12

Roeders Weg ins völkische Establishment

Im Gruppengeflecht der Volkstumskämpfer im »sowjetisch besetzten Nord-Ostpreußen« (Range), in welchem wirtschaftlicher Expansionsdrang, großdeutsche Nostalgie, deutscher wie europäischer Nationalismus und der neofaschistische »Kampf ums Reich« die unterschiedlichen Hintergründe sind und sich allenfalls in den Optionen, nicht aber im Ansatz und in der mittelfristigen Perspektive unterscheiden, ist Roeder nicht mehr als eine Randfigur. Und er ist umstritten.

Eine wesentliche Kritik bezieht sich dabei auf Roeders großmäuliges Auftreten und auf seine sattsam bekannte Art, die eigene Person in den Vordergrund zu stellen. Die GDO, unter deren Dach die »Aktion Ostpreußenhilfe« (die 1993 in "Deutsch-Russisches-Gemeinschaftswerk" umbenannt wurde) ihre Aktivitäten begann, beschuldigte 1993 Roeders Geschäftsführer Siegfried Godenau (der Schwiegervater des Neonazis und Roeder-Kumpans Roy Godenau) des Treuebruchs und monierte, Roeder und Godenau hätten die GDO als »Spendenquittungsbeschafferin mißbraucht« und sich dann vom "Salem Hilfswerk", gemeint ist vermtlich das »Förderverein Hilfswerk Salem« von Gottfried Müller und Ursula Müller (geb. Schweizer), "einkaufen" lassen.13 Auch der in Ostpreußen engagierte "Wehrmachts"-Verteidiger Heinz Manke ging 1995 auf Distanz zu Roeder, nachdem er feststellte, daß vom Vorzeigeprojekt des »Deutsch-Russischen-Gemeinschaftswerk«, dem Musterdorf »Birkenhöhe«, entgegen aller Versprechungen bis zu diesem Zeitpunkt lediglich ein Haus fertiggestellt war.

Offene Türen bei der "seriösen" Rechten

Während sich also das Engagement der völkischen Ostpreußen-Kreise für den Profilneurotiker und selbsternannten Heilsbringer durchaus in Grenzen hält, gelang es Roeder, in konservativen wie militärischen Gefilden der Rechten erfolgreicher Fuß zu fassen.

Die 1996 aufgelöste und z.T. mit hochdekorierten Altnazis und Bundeswehrangehörigen bestückte »Deutsch-Russländische Gesellschaft« (Frankfurt/Main) stellte dem »Deutsch-Russischen Gemeinschaftswerk« und seiner Vorläuferorganisation in den Jahren 1992 und 1993 mehrfach ihr Mitteilungsblatt "Russland und wir"  zur Verfügung. Selbst nach antifaschistischen Protesten hielt es diese der "Paneuropa Union" angeschlossene und von Teilen der CDU geförderte Vereinigung um den Vorstand von Klausgeorg Straube, Heinz Rudolph Wehmeier und Anna Moutchnik nicht für nötig, der Neonazitruppe diese Plattform zu entziehen.

Einen weiteren Mitstreiter fand Roeder 1992 im ehemaligen NPD- und heutigen CDU-Anhänger Hans-Dietrich Otto vom »Verein zur Förderung der Rußlanddeutschen in Trakehnen«. An dessen "Basis Hoch-Tiefbau GmbH" vergab die "Aktion Ostpreußenhilfe" 1992 angeblich einen Auftrag über den Ausbau von Wohnungen in Kaliningradskaja Oblast. Zu Vereinsfeierlichkeiten soll Roeder noch 1994 als Ehrengast eingeladen worden sein.

Die »Fördergemeinschaft für Soldatenverbände« (FfS) in Marburg, über die das AIB in seiner letzten Ausgabe bereits berichtet hatte, warb 1992 in einem Rundbrief für Roeders »Ostpreußenhilfe« und gab an, »die Deutschen aus Rußland, die sich in Nordostpreußen angesiedelt haben«, unterstützen zu wollen.14 Der Verein wird von O. Siegfried Müller, Joachim Stickler und Konrad Bahr geleitet. Als Kontaktperson fungierte der Ortsvorsteher Hans-Joachim Jünger aus Rauschenberg-Josbach, der als Schatzmeister der FfS fungiert. Er ist auch Funktionär des bei der Bundeswehr hoch angesehenen "Kyffhäuserbund e. V.". Zu den Mitgliedern der FfS, die sich als politischer Dachverband regionaler Militaristenvereine versteht und erst im September die Kampagne gegen die Ausstellung »Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941-1944« in Marburg anführte, zählen neben alten Nazis und einem stadtbekannten Holocaustleugner auch CDU-Funktionäre und Bundeswehrangehörige, wie z.B. Oberst a.D. Wilfried Guder, der bis zu seiner Pensionierung 1993 Leiter der Artillerieschule in Idar-Oberstein war.

Die "Bruderschaft Salem" von Gottfried Müller und Ursula Müller (geb. Schweizer) aus dem fränkischen Stadtsteinach, die sich ungeachtet einer jahrzehntelangen Geschichte im Rechtsaußenspektrum immer noch dem Ruf einer »karitativen Organisation« bedienen kann, war 1993 von einem der Siedlungsprojekte Roeders derart angetan, daß sie ihm das Copyright hierfür abkaufte und zum Aushängeschild ihrer "Salem Ostpreußenhilfe" machte. Nach Angaben der damit verprellten GDO habe Salem-Chef Müller daraufhin laut eigener Aussage bei »100.000 Aussendungen mit der Bitte um Spenden« auf jede Aussendung »im Durchschnitt eine Spende von 100 DM erhalten«15 .

Für Roeder öffnete sich indes die Möglichkeit, seine »Hilfstransporte« im Namen des "Salem-Hilfswerkes" und somit - nach vorliegenden Kenntnissen - wohl unter dem Banner des Roten Kreuzes durchzuführen. Mit einer "Bruderschaft Salem GmbH" hat das Ehepaar Müller gemeinsam mit der Oberschwester Lotte Rokitta 1968 eine seriöse Parallel-Institution für "Soziale Arbeit" geschaffen. Hierfür wurde offenbar auch Fachpersonal hinzugezogen. Rokitta wurde einige Jahre nach der Gründung vom Sozialpädagogen Manfred Olszewski abgelöst. Mit dem Erzieher Gehard Lipfert kam später ein entsprechender Geschäftsführer hinzu. Beide sollen mittlerweile als "Missionare" in Ostpreußen unterwegs sein. Zumindest Olszewski bestätigt dies durch einen Bericht in den "Salem Mitteilungen".

Ähnlich wie Roeder gelang es auch anderen Neonazis, sich im vermeintlich seriösen Spektrum zu etablieren. So z.B. dem Kieler Verleger Dietmar Munier, der als einer der Vorreiter jenes (u.a. von Roeder kopierten) Regermanisierungs-Konzeptes gelten kann, und dessen Aktivitäten vom Bundesministerium des Innern als »sehr anerkennenswert«16 gelobt und vom Beinahe-Bundespräsidenten Steffen Heitmann beglückwünscht wurden.17

Der Fisch stinkt vom Kopf her

Roeders Hofierung durch die FüAkBw und durch das Auswärtige Amt zu einer »Verkettung unglücklicher Umstände« (FüAkBw) zu erkären, ist angesichts dieses Interessengemenges zwischen Neonazis, Braunzone und staatlicher Politik genauso dreist wie verlogen. Und Rühe's Behauptung, Roeders Vortrag widerspreche »diametral der außenpolitischen Linie der Bundesregierung«18 , ist nur eine weitere Lüge im Sinne (außen)politischer Schadensbegrenzung.

Die Fragen, wer Roeder die Tür zum Führungskreis der Bundeswehr aufgemacht hat, oder wer da mal wieder »geschlafen« hat, mögen allenfalls für diejenigen von übergeordnetem Interesse sein, die die Verantwortung auf eine individuelle Ebene abschieben und die Geschichte mit ein paar Bauernopfern aus der Welt schaffen wollen. Für die antifaschistische Bewegung eröffnet der »Roeder-Skandal« einen Ansatzpunkt, die revanchistische und pangermanische Außenpolitik der Bundesregierung in ihrem Kontext mit dem wirtschaftlichen Griff nach dem Osten mit allem Nachdruck zu thematisieren und - in Bezug auf die Bundeswehr - das zu unterstreichen, was dem Fraktionssprecher der Grünen in Sachsen-Anhalt, Michael Rost, beinahe den Job gekostet hätte. Die Bundeswehr, so schrieb Rost im Hinblick auf den Brandanschlag zweier Soldaten auf eine Unterkunft italienischer Arbeiter am 8. August in Dresden, sei »offenbar der Haufen, der braungesinnte Scheißhausfliegen magisch anzieht.«19

  • 1a1bVorabbericht zu den Vorfällen an der Führungsakademie der Bundeswehr, Bundesmin. d. Verteidigung, 8.12.1997
  • 2a2b2c2d2e2f2gDeutscher Bundestag - 13. Wahlperiode Drucksache 13/11005
  • 3taz. die tageszeitung: "Die Bundeswehr, die Gnade und die Angst" von Bettina Gaus; 6. 2.1998.
  • 4Antrag »Deutsch-Russisches Genleinschaftswerk« vom 21.12.1993.
  • 5Antrag »Deutsch-Russisches Gemeinschaftswerk« vom 30.5.1994.
  • 6Franziska Hundseder: Rechte machen Kasse, Knaur Verlag
  • 7Rundbrief »Deutsche Bürgerinitiative« weltweit, Nr.8 (1994).
  • 8»persönlicher Brief« von Roeder an Michail Gorbatschow, 1990.
  • 9Manfred Roeder in: »Die Bauernschaft« 12/1990
  • 10a10b10c10d10eWilfried Böhm / Ansgar Graw in: Königsberg morgen - Luxemburg an der Ostsee, Asendorf 1993
  • 11Der Artikel »Arbeitsgemeinschaft Nord-Ostpreußen...« im AIB Nr. 42 auf Seite 14 zeigt, in welcher Weise verdeckte deutsche Außenpolitik im Oblast agiert.
  • 12vgl. dazu Schaubild AIB Nr. 42, Seite 15
  • 13Gemeinschaft deutscher Osten: Bericht zum Fall Godenau, 10.12.1993
  • 14Einladung zum »Gesprächskreis Studenten -Soldaten«, FfS, 25.8.1993
  • 15»Gemeinschaft deutscher Osten«: Bericht zum Fall Godenau, 10.12.1993
  • 16Brief Fischer (BMI) an Axel Neu ("Schulverein zur Förderung der Rußlanddeutschen in Trakehnen", Teil des Organisationsgeflechts von Munier) vom 19.12.1995
  • 17Grußbotschaft von Steffen Heitmann zur Jahrestagung 1994 des »Schulvereins zur Förderung der Rußlanddeutschen in Trakehnen«, vgl. »Deutsche Schule in Trakehnen - Nachrichten des Schulvereins«
  • 18Erklärung des Bundesministers der Verteidigung Volker Rühe, gelegentlich der Sitzung des Verteidigungsausschusses des Deutschen Bundestages am 10.12.1997
  • 19persönlicher Leserbrief von Michael Rost an die »Magdeburger Volksstimme«, August 1997