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Ein seltener Erfolg für Antifaschist:innen

Klaus Blees und Roland Röder, Aktion 3.Welt Saar e.V. (Gastbeitrag)
Einleitung

Zum Ende des Prozesses wegen des rassistischen Mords an Samuel Yeboah.

Samuel Yeboah

Der 27jährige Samuel Kofi Yeboah wurde durch einen rassistischen Brandanschlag ermordet.

Den politischen Prozess gewonnen, aber einen Menschen durch Mord verloren - so könnte man das Ende des Mordprozesses „Samuel Yeboah“ am 9. Oktober 2023 vor dem Staatsschutzsenat des Oberlandesgerichts (OLG) Koblenz bilanzieren. Der Angeklagte Peter S. (52 Jahre) wurde für schuldig befunden, in der Nacht zum 19. September 1991 in Saarlouis-Fraulautern den Brand in der Flüchtlingsunterkunft in der Saarlouiser Straße gelegt zu haben und zu sechseinhalb Jahren nach Jugendstrafrecht verurteilt. Der 27-jährige Flüchtling Samuel Kofi Yeboah aus Ghana wurde durch diesen Brandanschlag ermordet. Von den 20 anderen Anwesenden – Bewohner:innen und deren Besucher:innen - wurden einige verletzt, direkt durch den Brand oder durch Sprünge aus dem Fenster.  Alle wurden in unterschiedlichem Ausmaß traumatisiert. Diese Traumatisierungen wurden auch immer wieder in den Zeugenaussagen von Überlebenden deutlich, die diese teilweise unter Tränen machten. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Sowohl die Verteidigung als auch die Anklage sowie die Nebenkläger:innen haben Revision eingelegt. Das Gericht folgte der Argumentation der Verteidigung nicht, die wegen der schwierigen Kindheit des Angeklagten für eine niedrigere Strafe plädierte.

Dass es überhaupt zu dem Prozess, den vorangegangenen Ermittlungen, der Schlüsselaussage einer Zeugin 2019 und dem nun folgenden Untersuchungsausschuss (UA) im saarländischen Landtag kam (der Beschluss zur Einsetzung des UA erfolgte am 21. Juni 2023), lag daran, dass mit der Aktion 3.Welt Saar, der Antifa Saar (vorher Antifa Saarlouis) und dem Saarländischen Flüchtlingsrat drei Organisationen und Milieus 30 Jahre lang entgegen aller betriebswirtschaftlicher Vernunft und gegen massive politische Widerstände mit einem hohen finanziellen Aufwand die Erinnerung an drei Tatsachen hochhielten: Den Mord an Samuel Yeboah, die Existenz einer handlungsfähigen, gewaltbereiten Neonazi-Szene im Saarland und das politisch gewollte saarländische Staatsversagen, weil Polizei, Justiz und Parteien aktiv weg schauten und meist nur gegen links vorgingen. Einige der zahlreichen Medienvertreter:innen (mehrere TV-Sender und Zeitungen), die ansonsten detailgenau über den Prozess berichteten, tun sich schwer damit, die politische Dimension und Dynamik von sozialen Bewegungen zu begreifen. In der Tat ist es einfacher, politische Prozesse so darzustellen, als würden lediglich staatliche Institutionen und Parteien als Akteure agieren, die von einer nicht näher benannten Zivilgesellschaft begleitet werden.

Erstmals ernsthafte Wahrheitssuche

Seit dem 16. November 2022 wühlte sich das Gericht mit seinen fünf Richter:innen, zwei Vertreter:innen der Generalbundesanwaltschaft (GBA), vier Anwält:innen der Nebenklage, zwei Sachverständigen und zwei Verteidigern des Angeklagten an 48 Prozesstagen durch die saarländische Neonaziszene der 1990er und 2000er Jahre. Dabei wurde oft deutlich - zum Beispiel bei der Zeugenvernehmung von damaligen Polizisten (ein gendern ist hier nicht nötig) -, dass es manchmal ein freundschaftliches Miteinander gab. Die Anwesenheit von Neonazis im Saarland wurde zum Teil geleugnet oder zu niedrigen einstelligen Zahlen verharmlost. Zeugen sagten aus, dass Neonazis bei Vernehmungen auch mal geduzt wurden oder ein Bier angeboten bekamen. Vernehmungsprotokolle von Zeug:innen der Tatnacht wurden zum Teil nicht unterschrieben oder erhielten seltsame sprachliche Veränderungen. Aus der Beschreibung von zwei Personen mit schwarzen Mänteln wurden im Polizeiprotokoll „N..er“. Die Verteidigung schob dies entschuldigend auf die „damalige Zeit“. Die Nebenklage widersprach: Das N-Wort sei auch damals schon rassistisch gewesen. Eine rassistische Tatmotivation schlossen die damaligen Ermittler aus. Neonazis wurden 1991 als mögliche Täter:innen explizit ausgeklammert, die Ermittlungen nach wenigen Wochen eingestellt.

Im ersten Prozessdrittel, in dem mehrere Ex-Polizisten vernommen wurden, schüttelte der Vorsitzende Richter Konrad Leitges ob dieser handwerklichen Fehler mehrfach den Kopf. Das OLG arbeitete seriös und war 30 Jahre nach der Tat um bestmögliche Aufklärung bemüht. Dazu gehörte das für Jurist:innen eher seltene Eingeständnis, dass der Angeklagte nicht alleine handelte, sondern in einem gesellschaftlichen Umfeld, das von massiver Hetze gegen Fremde - also Ausländer:innen, Punks, Linke - geprägt war. Zum Teil wurde diesen unter Bezugnahme auf die Herrenmenschenideologie des NS das Lebensrecht abgesprochen.

Bei aller Ernsthaftigkeit des Prozesses um dieses rassistische Verbrechen und der zugrunde liegenden Tragik gab es während des Verfahrens auch immer wieder unfreiwillig komische Momente, welche die Beobachter:innen zum Lachen brachten. So erschien ein vorgeladener Zeuge aus der Neonazi-Szene nicht vor Gericht: Statt den Zug von Saarbrücken nach Koblenz zu nehmen, stieg er in den falschen ein und landete in Paris. Eine vom Anschlag betroffene Zeugin – sie war als Freundin eines Bewohners der Unterkunft in der Tatnacht dort zu Besuch – fragte mit Blick in Richtung des Angeklagten und seines Verteidigers: „Wer ist denn der Angeklagte?“

Bewertung des Prozesses

Die Bewertung des Prozesses lässt sich in drei Kategorien einordnen:

• Zum ersten Mal standen die Opfer des rassistischen Brandanschlags von 1991 im Mittelpunkt. Neben dem ermordeten Samuel Kofi Yeboah waren dies die Bewohner:innen und Besucher:innen des Wohnhauses in Saarlouis-Fraulautern in der Brandnacht. Den Opfern, von denen mehrere als Zeug:innen aussagten und heute noch traumatisiert sind, wurde Wertschätzung entgegengebracht vom Gericht, von der GBA und den Anwält:innen der Nebenklage.

• Der Prozess hat alles bestätigt, was antifaschistische und antirassistische Organisationen bereits „damals“ analysierten und äußerten: Nichts von dem, was vor Gericht zur Sprache kam, war (grundlegend) neu. Es war ein rechter Anschlag mit nationalsozialistischem Hintergrund. Die Polizei im Saarland hat jahrelang weggeschaut und die Neonazi-Szene in Saarlouis bagatellisiert. Sofern sie überhaupt Neonazis festgestellt hat. Ebenso haben sich Justiz und Parteipolitik verhalten. Die gleiche Polizei hat jedoch gegen links fleißig agiert und Verfahren angeregt. Ministerpräsident war 1991 Oskar Lafontaine (damals SPD), Innenminister war Friedel Läpple (SPD). Ein Überlebender berichtete am 42. Prozesstag (4. September 2023) im Zeugenstand über ein Gespräch, das er nach der Nacht des Anschlags mit Lafontaine geführt habe. Er habe diesen um die Einrichtung von Sprachkursen für die betroffenen Flüchtlinge gebeten. Lafontaines Antwort: Dies sei nicht nötig, denn sie würden ja bald abgeschoben. Tatsächlich wurden dann mehrere der Überlebenden abgeschoben. Im angenehmen Gegensatz zur Nichtarbeit ihrer damaligen „Kollegen“ steht die professionelle und sorgfältige Ermittlungsarbeit der heute mit dem Anschlag befassten Polizist:innen. Diese waren erkennbar über die schlampige Arbeit ihrer damaligen „Kollegen“ entsetzt und zeigten im Zeugenstand wiederholt auch persönliche Betroffenheit, als sie über die traumatisierenden Erlebnisse sprachen, die Zeug:innen ihnen bei den Vernehmungen geschildert hatten.

Auch wenn inhaltlich nicht viel Neues ans Licht kam: Die Aussagen wurden gerichts- und aktenkundig: Mord wird als Mord bezeichnet und Rassismus als Rassismus. DAS ist neu. Damit halten die Aussagen Einzug in die juristischen und medialen Archive. Das ist nicht zu unterschätzen, wenn es zukünftig um die Bewertung und wissenschaftliche Aufarbeitung geht. Dafür werden öffentlich zugängliche (Archiv)quellen genutzt, die jetzt noch mehr Material enthalten.

• Mit zur Aufklärung im Prozess hat ein Szene-Aussteiger beigetragen, der zu Beginn der 1990er Jahre als rechter Skinhead agierte und Mitte der 1990er ausstieg. Zwischen den Prozessbeobachter:innen war man sich uneinig, ob er wirklich ein Aussteiger sei und man ihm trauen könne oder ob er nur seine Haut retten wolle. Diese Frage ist berechtigt. Niemand kann in den Kopf eines anderen hineinschauen, und Anfang der 1990er war er „dicke dabei“. Aber er hat umfangreich bei der Polizei, der Bundesanwaltschaft und vor Gericht ausgesagt. 

Seine Aussagen führten dazu, dass der mutmaßliche Skinhead-Anführer von damals, Peter St., seit Juni 2023 in Untersuchungshaft sitzt und am 13. November 2023 Anklage gegen ihn erhoben wurde. Und so sehr der Name des Aussteigers vor Gericht nicht zur Gänze genannt wurde, die Neonazis wissen, wie er heißt und wo er wohnt. Letztlich geht er ein hohes Risiko ob seines Verrats ein und hat längst alle Brücken zu den Kameraden von damals abgebrochen. Gegenüber Medien lehnt er Gespräche ab, in Talkshows tritt er nicht auf. (vgl. AIB Nr. 74, 1/2007, AIB Nr. 66, 2/2005, AIB Nr. 53, 2/2001) 

Was hat zur Wiederaufnahme der Ermittlungen geführt?

Ein Grund dafür, dass heute die Bedrohung durch rechte Gewalt ernster genommen wird als damals, dürfte sein, dass auch staatliche Institutionen ins Visier dieser Gewalt geraten sind. Als der NSU aufflog, zeigte sich, dass nicht nur neun Migrant:innen von diesem ermordet worden waren, sondern auch eine deutsche Polizistin. Ebenso wurde der Kasseler Regierungspräsident Walter Lübcke am 2. Juni 2019 von einem Neonazi ermordet. Es ließ sich nicht mehr leugnen, dass rechte Kreise bewaffnet und auch bereit sind, auf Vertreter:innen des Staates zu schießen.

Der Staat gerät unter Rechtfertigungsdruck

Spätestens im NSU-Prozess zeigte sich, dass, zurückhaltend ausgedrückt, mehrere staatliche Stellen in das NSU-Umfeld involviert waren und zu keinem Zeitpunkt die Reißleine zogen: Neben dem Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) unter seinem Ex-Präsidenten (2012-2018) Hans-Georg Maaßen, das unter anderem NSU-Akten schredderte und sie damit dem Prozess vorenthielt, waren es drei weitere bundesdeutsche Inlandsgeheimdienste aus Hessen, Thüringen und Sachsen.

Unfreiwillig wurde Maaßen zum Beschleuniger von staatlichen Ermittlungen gegen rechts. Er machte keinen Hehl aus seiner Abneigung gegen Flüchtlinge bei gleichzeitigen Sympathien für die AfD und andere rechte Netzwerke. Er wurde entlassen, weil er es übertrieb. Das staatliche Legitimationsproblem im Umgang mit rechter Gewalt war offensichtlich.

Im Mordfall Yeboah übernahm 2020 (!), fast 30 Jahre nach dem Anschlag, die GBA die Ermittlungen und erteilte saarländischen Behörden den Arbeitsauftrag, Zeug:innen aus dem Umfeld des Verdächtigen vorzuladen und zu befragen. Ausgelöst wurde die Wiederaufnahme der Ermittlungen durch die Aussage einer nicht der Neonazi-Szene zugehörigen Zeugin, welcher, wie sie berichtete, der Angeklagte auf einer Grillfeier 2007 gestanden hatte: „Das war ich, und sie haben mich nie erwischt.“ An die Polizei wandte sie sich mit ihrem Wissen dann erst 2019, denn zum Zeitpunkt der Grillfeier war sie sich der Tragweite des Geständnisses nicht bewusst, ahnte auch nicht, dass damals ein Mensch ums Leben gekommen war.

Diese Aussage der Zeugin, die alles wieder ins Rollen brachte, war aber nicht einfach ein glücklicher Zufall, sondern hatte politische Gründe: Ohne dass die drei genannten Organisationen die Erinnerung an Samuel Yeboah und das Verbrechen wachgehalten hätten, hätte es darüber so lange nach der Tat keine Medienberichte gegeben, durch welche der Zeugin die Bedeutung des Geständnisses erst deutlich geworden ist.

Ein Erfolg der Beharrlichkeit der drei Organisationen ist neben der Einrichtung des UA auch der von der saarländischen Ministerpräsidentin Anke Rehlinger (SPD) angekündigte Entschädigungsfonds für die Opfer.

Wie reagiert das politische Saarland innerhalb und außerhalb der Parteien?

Der UA hat sich einen relativ breiten Aufgabenbereich als Untersuchungsgenstand gesetzt und nimmt alle Landesregierungen von 1991 bis 2020 ins Visier. Ministerpräsident:innen waren in diesem Zeitraum Oskar Lafontaine (SPD), Reinhard Klimmt (SPD), Peter Müller (CDU), Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) und Tobias Hans (CDU). Damit geht es letztlich auch um die Vielzahl der unaufgeklärten Fälle von Neonazi-Gewalt im Saarland der 1990er Jahre: Bombenanschlag auf die „Wehrmachtsausstellung“ in Saarbrücken 1999, die sogenannten Völklinger Brandanschläge auf Migrantenwohnungen, die missglückten Bombenanschläge auf Flüchtlingsunterkünfte, auf das Saarlouiser Jugendzentrum KOMM und das Landesbüro der damaligen PDS – hat man nie Täter:innen ermittelt. Über zwei Dutzend rechte Brand-, Bomben- und Terroranschläge wurden nie aufgeklärt. Diese Quote überrascht noch nach Jahrzehnten. Der UA konstituierte sich am 4. Oktober 2023, nahm die Arbeit auf, und ab Frühjahr 2024 soll er einmal die Woche öffentlich tagen. So sehr SPD und CDU in der Landtagssitzung, in der der UA beschlossen wurde, eine seriöse Aufklärung versprachen und sich öffentlich bei der Antifa, dem Flüchtlingsrat und der Aktion 3.Welt Saar, die die Einrichtung des UA gefordert hatten, für ihre jahrzehntelange Aufklärungsarbeit bedankten, so bleiben zwei Defizite bestehen: Zum einen sind mit SPD und CDU in dem UA diejenigen die Chefaufklärer:innen, die 30 Jahre lang die Suche nach der Wahrheit blockierten. Und während jede Parteifraktion eine Stelle zur Ausschussbegleitung bezahlt bekommt, müssen diejenigen, die 30 Jahre die Aufklärung betrieben haben, ihre Recherche- und Aufklärungsarbeit aus eigener Tasche bezahlen. Ein strukturelles Ungleichgewicht. Ohne sie ist es aber fraglich, ob der UA den Mut aufbringen wird, alle relevanten Zeug:innen ohne die üblichen saarländischen Samthandschuhe zu befragen, auf die Herausgabe der Akten des Verfassungsschutzes zu bestehen, die Kontakte zwischen VS und Neonazis zu erfragen sowie sich mit dem Projekt „Akzeptierende Sozialarbeit mit rechten Jugendlichen“ zu beschäftigen, das den Neonazi-Skins nicht schadete, sondern ihnen erst recht Räume öffnete – nicht nur im übertragenen Sinne.

Die Erfahrungen bei ähnlichen Untersuchungsausschüssen in Hamburg zum NSU-Komplex oder in Berlin zu extrem rechten Straftaten in Neukölln zeugen von diesen Problemen.

Außerhalb des Parlaments fallen die parteinahen Stiftungen von SPD (Stiftung Demokratie Saarland) und CDU (Union Stiftung) durch lautes Schweigen auf, während sie ansonsten zu vielen politischen Themen Veranstaltungen anbieten. Einzig die grünennahe Heinrich-Böll- Stiftung hat den Prozess ähnlich wie Antifa Saar und die Aktion 3.Welt Saar durchgehend beobachtet und im Juli 2023 dazu eine Veranstaltung mit dem Nebenklageanwalt Björn Elberling angeboten, der mehrere Opfer der Saarlouiser Brandnacht vertritt.

In Saarlouis deutet sich eine Abkehr von der städtischen Blockadehaltung an. 2024 wird ein neuer Oberbürgermeister (OB) gewählt, die aussichtsreichen Kandidaten sind die MdLs Florian Schäfer (SPD) und Marc Speicher (CDU). Beide votierten im Landtag für den UA und stehen für einen anderen Umgang mit der Erinnerung an Samuel Yeboah. Der aktuelle OB Peter Demmer (SPD), der Anfang der 1990er Jahr in Saarlouis als Polizist arbeitete, lehnt bis heute beharrlich eine Erinnerung an Samuel Yeboah im Stadtzentrum ab.

In der Vergangenheit hatte sich die Stadt im Umgang mit dem Verbrechen nicht mit Ruhm bekleckert: Als am 19. September 2001 nach einer Gedenkkundgebung und -demonstration am Rathaus Saarlouis eine Gedenktafel („In Erinnerung an / Samuel Yeboah / Flüchtling aus Ghana / am 19.9.1991 durch / einen rassistischen / Brandanschlag in / Saarlouis ermordet“) angebracht wurde, wurde sie postwendend von der Stadt abmontiert und die Veranstalterin vier (!) Jahre lang mit einem Prozess überzogen, um am Ende 134,50 Euro (!) Strafe zu erwirken. Als am 19. September 2006 eine Schwester von Samuel Yeboah auf der Gedenkveranstaltung in Saarlouis anwesend war und Vertreter:innen aus Mölln und Solingen darüber berichteten, wie man dort mit den Anschlägen umging, weigerte sich die Stadt Saarlouis, diese zu empfangen.

Eine offizielle Entschuldigung für das damalige Versagen der Polizei kam am 4. April 2022 vom saarländischen Polizeipräsidenten Norbert Rupp. Für einen Polizisten ist das ebenso bemerkenswert wie selten. Aber präzisere Angaben zu den Verbindungen „seiner“ Polizei und der rechten Szene machte er nicht. Und genau dies ließe sich mit den Akten verifizieren oder, wenn es denn nicht stimmt, falsifizieren. Solange die Akten nicht freigegeben werden, liegt es nahe, dass jemand etwas zu verbergen hat.

Auch in der viel gelobten Zivilgesellschaft ist nicht alles Gold, was glänzt. Dort war manchen Organisationen jahrzehntelang der Mord an Samuel Yeboah relativ egal und man hat sich dazu nicht verhalten, weil es keine Projektgelder gab. Erfahrungsgemäß ändert sich dies schnell, wenn sich die öffentliche Deutung eines Ereignisses verschiebt. Sobald Geld für Erinnerungsarbeit in Aussicht gestellt wird, gibt es erfahrungsgemäß schnell NGOs, die mit ihren engagierten pädagogischen Projekten dabei sind. Jede Krise hat in der Marktwirtschaft auch ihre Gewinner.

Fazit

Wichtiger als die individuelle Verurteilung des Angeklagten sind das Stattfinden des Prozesses, die Aussagen der Zeug:innen, die seriösen Ermittlungen der Polizei und der GBA seit 2020, die Präsenz der Opfer der Brandnacht durch die Nebenklage, die (über-)regionalen Medienberichte und die politische Prozessbeobachtung durch die Aktion 3.Welt Saar, die Antifa Saar, die Heinrich-Böll-Stiftung und den Saarländischen Flüchtlingsrat. Die gemeinsame Schnittmenge der unterschiedlichen Gruppen war das Eintreten für Bürgerrechte – zugespitzt: für die Republik. Jetzt folgt mit dem UA und dem Prozess gegen eine weitere Führungsperson der Saarlouiser Neonazi-Skinheads der zweite Teil der Aufarbeitung des saarländischen Staatsversagens. Den ersten Teil dieses politischen Kampfes haben Antifaschist:innen gewonnen. Es ist eine der seltenen Situationen in Deutschland, in denen dies gelingt. Darüber dürfen wir uns freuen.

Die Autoren gehören zum Prozessbeobachtungsteam der Aktion 3.Welt Saar. Die Prozessberichte von November 2022 bis Oktober 2023 finden sich unter www.a3wsaar.de.

Ausführlich zum Prozess siehe auch unsere Beiträge in den „Saarbrücker Heften“ (www.saarbrueckerhefte.de)