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Der vergessene Anschlag auf Simon Wiesenthal

Einleitung

Eine gewaltige Detonation ­schreckte am 16. Juni 1987 um 22.37 Uhr in ­Wien-­Döbling viele Anwohner und Anwohnerinnen aus dem Schlaf. Vor der Wohnung Simon Wiesenthals war ein Sprengsatz explodiert. Dutzende Fensterscheiben zersplitterten, die Eingangstür wurde nach innen gedrückt. Verletzt wurde niemand. Wiesenthal und seine Frau Cyla Wiesenthal hielten sich zu diesem Zeitpunkt im ersten Stock auf.

Ein zeitgenössischer Medienbericht über das Netzwerk um Ekkehard Weil.
(Bild: Faksimile Profil)

Ein zeitgenössischer Medienbericht über das Netzwerk um Ekkehard Weil.

Eine Neonazi-Feindesliste

Dieses Attentat war der Höhepunkt einer antisemitischen Terrorwelle, die vor 40 Jahren durch Österreich zog. Akiba Eisenberg, der erste Oberrabbiner der Israelitischen Kul­tus­gemeinde in Wien nach dem Zweiten Weltkrieg, war ebenso Ziel eines Spreng­stoffanschlags wie der Schriftsteller und Journalist Alexander Giese oder Filialen der Bekleidungskette Schöps, deren Besitzer Jude war. Alle Ziele befanden sich ausnahms­los auf einer Feindesliste, die der Zeitschrift „Österreichischer Beobachter – Kampfblatt der NSDAP (Hitlerbewegung) in Österreich“ beigelegt worden war. Offensichtlich bombten sich Neonazis durch diese Liste.

Der Anschlag auf Wiesenthal sorgte weltweit für Schlagzeilen. US-Politiker, ehemalige Widerstandskämpfer und KZ-­Häftlinge schrieben ihm Briefe mit beistehenden Worten, die sich heute im Nachlass des 2005 Verstorbenen befinden. Unbekannte boten ihm und seiner Frau Unterstützung an, einige sogar Wohnungen. Daneben bekam Wiesenthal auch handgeschriebene Postkarten, auf denen er antisemitisch beschimpft wurde. „Schade, dass es Dich nicht erwischt hat“, ist auf einer zu lesen.

Wiesenthal als Nazi-Jäger

Der ehemalige KZ-Häftling Wiesenthal wurde oft als Nazi-Jäger bezeichnet. Er hatte geholfen, zahlreiche NS-Verbrecher, einschließlich Adolf Eichmann, einen der Hauptverantwortlichen für die Ermordung der europäischen Jüdinnen und Juden, aufzuspüren und so vor Gericht zu bringen. Ebenso jenen Wiener Polizisten, der 1944 die damals 15-jährige Anne Frank in Amsterdam verhaftete.

Kurz nach der ersten Regierungsbildung unter dem sozialistischen Bundeskanzler Bruno Kreisky im Jahr 1970 ­machte Wiesenthal öffentlich, dass fast ein Drittel der Regierung aus ehemaligen National­sozialisten bestand. Fünf Jahre später brachte er ans Licht, dass der damalige FPÖ-Obmann Friedrich Peter Mitglied einer SS-Mordeinheit war, die 1941 mindestens 17 000 Jüdinnen und Juden und rund 25 000 sowjetische Kriegsgefangene ermordet hatte.

Die Netzwerke hinter den Anschlägen

Knapp zwei Monate nach dem Anschlag auf das Wohnhaus von Wiesenthal wurde schließlich einer der mutmaßlichen ­Attentäter verhaftet: Ekkehard Walter Weil, ein mehrfach wegen Gewalttaten vorbestrafter Neonazi aus Berlin. Schon 1970 hatte er einen sowjetischen Soldaten am Ehrenmal in Berlin-Tiergarten durch Schüsse verletzt und 1979 einen Brandanschlag auf ein Büro der „Sozialistischen Einheitspartei West-Berlin“ (SEW) verübt. Norbert Burger, eine zentrale Person des Rechtsextremismus in Österreich nach 1945, lieferte Weil an die Polizei aus und half sogar mit, den Attentäter in eine Falle zu locken. Der Polizei sagte Burger, Weil habe sich gegenüber anderen Neonazis zu den Anschlägen auf Eisenberg, Wiesenthal, Giese und die Schöps-Filialen bekannt.

Der Olympia-Burschenschafter Burger mischte in den 1950er- und 1960er-Jahren im Südtirol-Konflikt mit und trug wesentlich zu dessen Eskalation bei. Er schickte junge Burschenschafter nach Italien, die dort Anschläge auf Bahnhöfe in Rom und Verona durchführten. In Italien wurde Burger 1971 wegen terroristischer Aktivitäten in Südtirol in Abwesenheit einmal zu lebenslänglich und einmal zu 28 Jahren Haft verurteilt. 1967 gründete Burger mit einigen Gesinnungsgenossen die „Nationaldemokratische Partei“ (NDP), die 1988 vom Verfassungsgerichtshof verboten wurde. Bei Wahlen blieb die NDP bedeutungslos, jedoch konnte Burger bei der Bundespräsidentenwahl 1980 beachtliche 140 000 Stimmen (3,2 Prozent) erreichen.

Der Erfolg sorgte allerdings für tiefe Gräben in der Szene. Während Burger vom Überspringen der Vierprozenthürde und dem damit verbundenen Einzug in den Nationalrat träumte, rüttelten jüngere Neonazis an dessen Führungsanspruch. Sie gaben sich fanatischer und militanter als die alten Herren der NDP in ihren Lodenmänteln und wollten nicht auf Wahlerfolge warten.

Nachdem Burger den deutschen Terroristen Weil an die Polizei verraten hatte, vertiefte sich die Spaltung der Szene. Rechts von der NDP entstanden neue Parteien und Gruppierungen wie die „Ausländer halt!“-Bewegung, an deren Veranstaltungen auch der spätere FPÖ-Chef und Vize­kanzler Heinz-Christian Strache teilgenommen haben soll. Strache hielt aber auch Kontakt zu Burger. Ende der 1980er-Jahre verliebte er sich in eine Tochter Burgers, und der NDP-Gründer wurde „ein Vaterersatz“, wie Strache später selbst einmal erklärte.

Nach der Verhaftung von Weil wurde dessen Umfeld von den Sicherheitsbehörden durchleuchtet, wodurch weitere Komplizen verhaftet wurden, die schließlich 1984 vor Gericht landeten. Einer von ihnen war Gottfried Küssel, der heute als „Säulenheiliger“ der Neonazi-Szene gilt und bei ­Corona-Demonstrationen in Wien und ­Eisenstadt mitmischt. Jene Angeklagten, die damals „nur“ wegen NS-Wiederbetätigung vor Gericht standen, kamen mit sehr milden Strafen davon.

Die Urteile

Am 2. April 1984 wurde Weil zu fünf Jahren Haft verurteilt. Sein Komplize, der Salzburger Attila B., bekam drei Jahre für die Beteiligung an einem Anschlag sowie einem Einbruch in ein Sprengstoffdepot und Wiederbetätigung. Ein weiterer Mann, der ebenfalls am Diebstahl des Sprengstoffs beteiligt war, erhielt zweieinhalb Jahre Freiheitsentzug.

Die Urteile gegen Weil und Attila B. wurden in Zeitungsartikeln als mild bezeichnet. Obwohl die Bombenanschläge auf Wiesenthal, Giese und die zwei Schöps-Filialen „die gleiche Handschrift“ trugen, wie der Staatsanwalt betonte, sprachen die ­Geschworenen Weil mit 4:4 Stimmen im Zweifel von dem Vorwurf frei, für die Anschläge auf Wiesenthal und Giese verantwortlich gewesen zu sein. „Wahrscheinlich war‘s ja der Weil, nur beweisen konnte man es nicht ganz sicher“, erklärte der Staatsanwalt damals den Journalisten und Journalistinnen.

Auch für Wiesenthal war klar, dass Weil hinter dem Anschlag auf ihn steckte. In seiner Autobiografie „Recht, nicht Rache“ bezeichnete er ihn als jenen Mann, der den „ernsthaftesten Attentatsversuch“ gegen ihn unternommen habe. Weil blieb der Szene treu. Bei Durchsuchungen von seinen Wohnungen in Berlin und Bochum wurden 1995 unter anderem eine Handgranate mit Zünder, zwei elektrische Zünder, eine Pistole sowie Munition beschlagnahmt. Auch danach tauchte sein Name im Zusammenhang mit Rechtsterror auf, ­allerdings blieb dies meist im Bereich der Spekulationen.

Die Spur zur WSG Hoffmann

Die Prozesse brachten nur wenig über das Umfeld und Netzwerk von Weil und Attila B. ans Tageslicht. Aber immerhin wurde bekannt, dass Attila B. bei der deutschen „Wehrsportgruppe Hoffmann“ trainierte, die als Durchlaufstation des bundesdeutschen Rechtsterrorismus gilt. Das ehemalige Mitglied Gundolf Köhler verübte am 26. September 1980 in München das Oktoberfestattentat, den bisher schwersten Terroranschlag der bundesdeutschen Geschichte. 13 Personen wurden dabei getötet und 221 verletzt.

Mindestens zwei Personen aus Österreich waren im Förderverein der Wehrsportgruppe. Ein Mitglied des Fördervereins ist mittlerweile ein bekannter Winzer in Niederösterreich. Wenn er feiert, sind in seiner Nähe hochrangige Polizisten ebenso zu finden, wie Generalmajor Rudolf Striedinger, der Generalstabschef des österreichischen Bundesheeres.

Burgers Umfeld

Zusätzlich war Attila B. auch in Burgers NDP in Salzburg aktiv. Ein Umstand, der Burger ungelegen kam, schließlich hatte er mit der Auslieferung des Attentäters Weil versucht, sich als „Saubermann“ zu präsentieren, der bei den nächsten Wahlen ins Parlament einziehen wollte.

In Salzburg war mit Fritz Rebhandl ein ehemaliger SS-Mann der Statthalter Burgers. In seinem Haus ging der vor einigen Jahren verstorbene Attila B. ein und aus. Rebhandl war auch Herausgeber des „Volkstreuen“, einer Zeitschrift, in der die Shoah geleugnet wurde. Im Jahr 2018 sorgte sein Sohn Reinhard für Schlagzeilen. Im Zuge seiner (vergeblichen) Kandidatur für den Salzburger Landtag wurden seine Aktivitäten für die NDP Anfang der 1980er-Jahre ein Thema. Auch wurde öffentlich, dass der damalige FPÖ-Politiker den extrem rechten „Identitären“ Geld gespendet haben soll.

Die antisemitische Terrorwelle vor 40 Jahren ist heute weitgehend in Vergessenheit geraten. Behörden oder Politik reden die Gefährlichkeit von Rechtsterrorismus weiter klein. Ein Blick zurück ist damit immer auch ein Blick nach vorne.