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Fluchthilfe in Dänemark

Einleitung

Die ersten Flüchtlinge trafen am Morgen des 6. Septembers 2015 in der dänischen Grenz- und Hafenstadt Rødbyhavn ein. Die dänische Polizei fing die Menschen ab und bestand auf einer Registrierung in Dänemark. Da dies einem Asylantrag in Dänemark gleichgekommen wäre und die sehr harten Asylregeln dieses Landes bekannt sind, verweigerten sich die allermeisten Flüchtlinge dieser Forderung. Es kam zu chaotischen Szenen. Die Polizei versuchte die Menschen in einer Sporthalle in Rødbyhavn zu sammeln und zu registrieren. Der Widerstand der Flüchtlinge dagegen war jedoch groß und Vielen gelang es sich dieser Maßnahme zu entziehen, indem sie sich versteckten oder auf Umwegen versuchten, weiterzukommen. Einige machten sich sogar zu Fuß auf den Weg nach Kopenhagen. Das eigentliche Ziel hieß Schweden. 

Foto: flickr.com/MPD01605 (CC BY-SA 2.0)

Die dänische Polizei war überhaupt nicht vorbereitet, agierte kopflos und widersprüchlich. Die ersten Bilder von verzweifelten aber auch wehrhaften Flüchtlingen verbreiteten sich in Windeseile über die sozialen Medien. Diese Bilder waren der Startschuss für eine aktive Fluchthilfe, wie sie seit Ende des zweiten Weltkrieges in Dänemark nicht mehr vorgekommen ist. Asylaktivist Daniel beschreibt den 6. September so: „Es wurde klar, dass die Flüchtlinge nach Schweden wollten und sich aus diesem Grund dem Zugriff der Polizei entziehen mussten. Da wollten, nein, da mussten wir helfen. Wir fuhren ganz spontan mit zwei Autos nach Rødbyhavn. Der Ort war von der Polizei abgeriegelt. Aber wir fanden einen Schleichweg und sehr schnell wurde klar, dass wir nicht die einzigen waren, die sich auf den Weg gemacht hatten. Zwei bis drei dutzend Autos fuhren langsam im Ort und der näheren Umgebung umher und suchten nach Menschen. An vielen Stellen lagen zurückgelassene Kleidung, Essensreste und leere Getränkeflaschen. Schließlich fanden wir Menschen in einem Gebüsch zusammengekauert. Wir luden sie ein, umfuhren die Absperrungen der Polizei und verschwanden glücklich in der Nacht.“

In den darauffolgenden Tagen folgten immer mehr Menschen Daniels Beispiel und fuhren in die deutsch/dänischen Grenzorte. Gleichzeitig wurden Wohnungen in Kopenhagen organisiert, ein Melder_innensystem auf die Beine gestellt, Telefonnummern öffentlich gemacht und Kontakte in die Grenzorte nach Deutschland und Schweden organisiert. Flüchtlinge, die es geschafft hatten per Zug nach Kopenhagen zu reisen wurden am Bahnhof empfangen, an der Polizei vorbeigeschleust und mit Fahrkarten ausgestattet in die Züge und Fähren nach Schweden gesetzt. In einigen Fällen wurden Personen in privaten Booten über den wenige Kilometer breiten Fluss Øresund ins Nachbarland gesegelt. Welch großes Ausmaß die Fluchthilfe plötzlich annahm, zeigt, dass verschiedene Netzwerke parallell und unabhängig von einander aktiv wurden. Es war also nicht nur die radikale Linke, sondern auch Netzwerke der NGOs und über Facebook Vernetzte, ansonsten unorganisierte Menschen wurden aktiv. Sehr viele der Personen, die sich spontan zur Hilfe entschlossen hatten, waren in Dänemark lebende Menschen mit Migrationshintergrund.

Das Agieren der Polizei wurde immer chaotischer und willkürlicher. Einige Menschen wurden mit Gewalt festgesetzt, während Andere sich, zum Teil relativ ungehindert, dem Zugriff der Polizei entziehen konnten. Die Fluchthilfe wurde mittlerweile auch immer organisierter und offener. Über die sozialen Medien meldeten sich vielfach Leute, die bereit waren, Flüchtlinge zu fahren. Teilweise wurden Menschen vor den Augen der Polizei in bereitstehende Autos gesetzt und weggefahren. An einem Mittwochmorgen erreichte das Chaos bei der dänischen Polizei seinen Höhepunkt. Es wurde verkündet, dass ein Zug mit Flüchtlingen aus Rødbyhavn nach Kopenhagen und dann weiter nach Schweden fahren darf. Einige Stunden später wurde diese Meldung wieder dementiert. Hunderte Flüchtlinge harrten lange im Zug aus. Nach über zwölf Stunden Wartezeit wurde es einigen zuviel und sie setzten sich über die Gleise in einen naheligenden Wald ab. Die Polizei machte nur halbherzige Versuche, dies zu unterbinden. Als dann am Abend endgültig klar wurde, dass der Zug nicht abfahren würde, brachen alle Dämme. Jetzt geschah die Fluchthilfe ganz offensichtlich. Alle Menschen verließen den Zug und stiegen in die ca. 60 bereitstehenden PKWs, die sich im Laufe des Tages neben den Schienen versammelt hatten. Die Polizei beschränkte sich aufs Beobachten und zog sich zum Schluss sogar ganz zurück. Innerhalb kurzer Zeit war der Zug leer und die Menschen weg.
Am Tag darauf verkündeten die Behörden, dass die Flüchtlinge freies Geleit erhalten. Die Fluchthilfestrukturen formierten sich schnell zur sogenannten Willkommenskultur. 

Die illegalisierte Fluchthilfe in Dänemark hatte in den ersten Septembertagen einen enormen Umfang erreicht. Mitte September verkündeten die dänischen Behörden, dass von den ersten 800 Personen, die in Dänemark angekommen waren, innerhalb von vier Tagen 600 wieder „verschwanden“.

Diese Zahl zeigt, dass es den spontanen Strukturen durchaus gelungen ist, den Menschen auf ihrem Weg nach Schweden zu helfen. Sehr viele Menschen aus allen Teilen der Gesellschaft waren zum Gesetzesbruch bereit und drückten somit auch ihren Protest gegen die sehr strikte Asylpolitik und den generellen Rechtsruck des Landes aus.

Das freie Geleit für die Flüchtlinge und die damit auch stark abnehmende mediale Präsenz des Themas sorgte leider auch für ein markantes Abnehmen in der Hilfsbereitschaft. Jetzt, zwei Monate später, ist Asylarbeit wieder das politische Thema einiger weniger politischen Aktivist_innen. Die Nachhaltigkeit der Fluchthilfe ist damit versandet.