Skip to main content

Deutschpop halt's Maul! - Für eine Ästhetik der Verkrampfung

Frank Apunkt Schneider

Frank Apunkt Schneider legt mit „Deutschland halt’s Maul — Für eine Ästhetik der Verkrampfung“ eine Gegengeschichte zur hegemonialen deutsch-identitären Poperzählung vor. Im Zuge sich rasant vermehrender Reproduktionsmöglichkeiten von Kunst­werken und der damit zusammenhängenden Entwicklung der modernen Kulturindustrie wird der politische Gehalt in der Warenform pop-kultureller Erscheinungen erkannt. Dieser Konstruiertheit der Warenform wohnt der Verlust von Identität und Authentizität (trotz aller immer wieder auch in Pop-Kontexten beschworenen Kategorien wie z.B. Nationalität,  Geschlecht etc.) inne. Die Kapitulation des nationalsozialistischen Deutschland stellt hierbei einen wesentlichen Anknüpfungspunkt für die Etablierung einer Popkultur (vor allem zunächst in der Begegnung mit Besatzungssoldaten) dar, welche die enge Welt von verordneter Identität, Herkunft und Traditionen der Volksgemeinschaft befreite. Diese Befreiung zeigte sich vornehmlich in der Nachahmung von pop-kulturellen Ausdrucksweisen (Beatmusik, bestimmte Körperhaltungen/ Tanzstile, Bekleidungsstile), wobei anzumerken ist, dass sich ein „genuin deutscher“ Beitrag zum Pop nicht wirklich aufzeigen lässt. In den letzten Jahrzehnten der Entwicklung des Pop werden jedoch zunehmend „deutsche Entwicklungslinien“ hervorgehoben. Zunächst vereinzelt z.B. in den 1970er bzw. 1980er Jahren, zeigte sich im Zuge des Niedergangs der realsozialistischen Staaten 1989, der Vereinigung von BRD & DDR sowie der sogenannten geistig moralischen Wende Ende der 1990er Jahre (schwarz-rot-grün an der Macht mit Popsozialisation) eine immer stärker werdende deutsch-identitäre Poperzählung, wobei durchaus unterschiedliche Akzentuierungen erkennbar sind. Schneider gelingt es, diese Form der Poperzählung schwungvoll, polemisch und faktenreich zu demaskieren, wohl wissend, dass seine Erzählung weder Vollständigkeit noch den eigenen Konstruktionscharakter verbergen kann. Nichts­­destotrotz konnte er dem eigenen Anspruch gerecht werden, die Konstruktionspläne deutscher Popidentität feindlich zu übernehmen und mit ihnen einen anderen Sinn zu machen. Die ästhetische Verkrampfung, welche ein besseres Leben zumindest zu kleinen Teilen spürbar bzw. erlebbar scheinen ließ, ist einer erdrückenden Masse WIR-krampfgelöster Deutscher und entsprechender Ästhetik gewichen. Auswege aus dieser Situation scheinen nur am Rande pop-kultureller Entwicklung auf, welche sich der Herstellung, Konstruktion wie auch einer Fiktionalität von Identität und Authentizität  verschreiben. Letzteres war allerdings auch nicht Thema des vorliegenden Buches, welches ge­nau an diesem Punkt endet.

Frank Apunkt Schneider
Deutschpop halt's Maul!
Für eine Ästhetik der Verkrampfung

Ventil Verlag 2015, 112 Seiten, 10,00 €
ISBN 978-3-95575-030-5